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Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. I. Band.

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Ruf nach einer Reform der Kirche an Haupt und Gliedern ward immer lauter,
immer allgemeiner; und was lag nach solchen Lehren naher, als diese Reform
statt von dem Papste, von einem allgemeinen Concile zu erwarten? DaS
allgemeine Concil versammelte sich denn auch;-- zuerst in Pisa, dann in Kon¬
stanz. Auf dem Concile zu Konstanz (1414) ward von den Reformfreunden
nicht das Höchste, doch immerhin Bedeutendes erreicht: vor allem eine, bis zur
Absetzung der Päpste gehende praktische Durchführung des Grundsatzes, daß ein
allgemeines Concil noch über den Päpsten stehe und daß es alle zehn Jahre
wieder zusammenkommen müsse, um dieses oberste Regiment zu führen. Aber
die vom Kaiser Sigismund beantragte Durchführung der inneren Kirchen-
reform wurde von den nichtdeutschen Nationen (denn nach Nationen
stimmte ja dies Concil) verworfen und mit dem Scheiterhaufen des Johann
Huß beantwortet, damit die in dem conservativen Programme jener Zeit zur
Devise gewordene "Erhaltung der Einheit der Kirche" nicht beeinträchtigt werde.
Und nun e-hob sich in den furchtbaren Empörungstämpfen und verwüstenden
Zügen der Hussiten in die benachbarten Reichslande jener gewaltige Sturm,
der vor allem auch eine sehr bestimmte politische Wirkung haben sollte: die
nämlich, daß er ganz besonders die inneren Schäden und namentlich die mili¬
tärische Schwäche des Reichs in noch höherem Grade bloßlegte. als schon die
inneren Fehden es gethan. Die Siege der unter der hervorragenden Führung
eines Ziska. eines Procop in einer Reihe von Schlachten und in einem jahre¬
langen Lagerleben fest zusammengefügten und kriegsgeübten, dazu von fanatischer
Begeisterung erfüllten Hussiten über die deutschen Reichsheere legten die Kriegs"
untüchtigkeit dieser letzteren, dieses bunt zusammengeworfenen, ungeübten, un-
discivlirurten und überdies noch der einheitlichen Führung entbehrenden losen
Conglomerats bald völlig klar. Die immer sich erneuernden Niederlagen und
schmählichen Fluchten dieses Reichsheeres bei dem bloßen Herannahen von Ziska
odcr Procop, die zuchtlose Haltung dieser Reichstruppen, die, je öfter sie von
neuem zusammengerafft und gegen dieHussiten geführt wurden, um so mehr bewiesen,
daß sie nur zum Niederbrennen wehrloser Dörfer und zum Ausreißen vor dem
Feinde befähigt waren, -- diese beschämenden Thatsachen führten auf den
Reichstagen zu Nürnberg und Franksuit a. M. (1422 und 1427) zu ernstlichen
Vorschlägen und Erwägungen, wie diesem dringenden Uebelstande abzuhelfen.
Allerseits ward das Bedürfniß eines wahrhaft kriegslüchtigen. wohldisciplinirten,
einheitlich ausgebildeten und einheitlich geleiteten stehenden Reichshceres im
Principe anerkannt, aber wenn die Mittel hierzu durch eine allgemeine Reichs¬
steuer, eine Capitalsteuer unter dem Namen des "gemeinen Pfennigs" erbracht
werden sollten, erhoben sich so viel Widersprüche und Schwierigkeiten bald unter
den Fürsten einerseits und den Städten andererseits über den Maßstab der
beiderseitigen Beitragspflicht, bald von Seiten der Ritterschaft, die ihrer Leistungs-


Ruf nach einer Reform der Kirche an Haupt und Gliedern ward immer lauter,
immer allgemeiner; und was lag nach solchen Lehren naher, als diese Reform
statt von dem Papste, von einem allgemeinen Concile zu erwarten? DaS
allgemeine Concil versammelte sich denn auch;— zuerst in Pisa, dann in Kon¬
stanz. Auf dem Concile zu Konstanz (1414) ward von den Reformfreunden
nicht das Höchste, doch immerhin Bedeutendes erreicht: vor allem eine, bis zur
Absetzung der Päpste gehende praktische Durchführung des Grundsatzes, daß ein
allgemeines Concil noch über den Päpsten stehe und daß es alle zehn Jahre
wieder zusammenkommen müsse, um dieses oberste Regiment zu führen. Aber
die vom Kaiser Sigismund beantragte Durchführung der inneren Kirchen-
reform wurde von den nichtdeutschen Nationen (denn nach Nationen
stimmte ja dies Concil) verworfen und mit dem Scheiterhaufen des Johann
Huß beantwortet, damit die in dem conservativen Programme jener Zeit zur
Devise gewordene „Erhaltung der Einheit der Kirche" nicht beeinträchtigt werde.
Und nun e-hob sich in den furchtbaren Empörungstämpfen und verwüstenden
Zügen der Hussiten in die benachbarten Reichslande jener gewaltige Sturm,
der vor allem auch eine sehr bestimmte politische Wirkung haben sollte: die
nämlich, daß er ganz besonders die inneren Schäden und namentlich die mili¬
tärische Schwäche des Reichs in noch höherem Grade bloßlegte. als schon die
inneren Fehden es gethan. Die Siege der unter der hervorragenden Führung
eines Ziska. eines Procop in einer Reihe von Schlachten und in einem jahre¬
langen Lagerleben fest zusammengefügten und kriegsgeübten, dazu von fanatischer
Begeisterung erfüllten Hussiten über die deutschen Reichsheere legten die Kriegs«
untüchtigkeit dieser letzteren, dieses bunt zusammengeworfenen, ungeübten, un-
discivlirurten und überdies noch der einheitlichen Führung entbehrenden losen
Conglomerats bald völlig klar. Die immer sich erneuernden Niederlagen und
schmählichen Fluchten dieses Reichsheeres bei dem bloßen Herannahen von Ziska
odcr Procop, die zuchtlose Haltung dieser Reichstruppen, die, je öfter sie von
neuem zusammengerafft und gegen dieHussiten geführt wurden, um so mehr bewiesen,
daß sie nur zum Niederbrennen wehrloser Dörfer und zum Ausreißen vor dem
Feinde befähigt waren, — diese beschämenden Thatsachen führten auf den
Reichstagen zu Nürnberg und Franksuit a. M. (1422 und 1427) zu ernstlichen
Vorschlägen und Erwägungen, wie diesem dringenden Uebelstande abzuhelfen.
Allerseits ward das Bedürfniß eines wahrhaft kriegslüchtigen. wohldisciplinirten,
einheitlich ausgebildeten und einheitlich geleiteten stehenden Reichshceres im
Principe anerkannt, aber wenn die Mittel hierzu durch eine allgemeine Reichs¬
steuer, eine Capitalsteuer unter dem Namen des „gemeinen Pfennigs" erbracht
werden sollten, erhoben sich so viel Widersprüche und Schwierigkeiten bald unter
den Fürsten einerseits und den Städten andererseits über den Maßstab der
beiderseitigen Beitragspflicht, bald von Seiten der Ritterschaft, die ihrer Leistungs-


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[0472] Ruf nach einer Reform der Kirche an Haupt und Gliedern ward immer lauter, immer allgemeiner; und was lag nach solchen Lehren naher, als diese Reform statt von dem Papste, von einem allgemeinen Concile zu erwarten? DaS allgemeine Concil versammelte sich denn auch;— zuerst in Pisa, dann in Kon¬ stanz. Auf dem Concile zu Konstanz (1414) ward von den Reformfreunden nicht das Höchste, doch immerhin Bedeutendes erreicht: vor allem eine, bis zur Absetzung der Päpste gehende praktische Durchführung des Grundsatzes, daß ein allgemeines Concil noch über den Päpsten stehe und daß es alle zehn Jahre wieder zusammenkommen müsse, um dieses oberste Regiment zu führen. Aber die vom Kaiser Sigismund beantragte Durchführung der inneren Kirchen- reform wurde von den nichtdeutschen Nationen (denn nach Nationen stimmte ja dies Concil) verworfen und mit dem Scheiterhaufen des Johann Huß beantwortet, damit die in dem conservativen Programme jener Zeit zur Devise gewordene „Erhaltung der Einheit der Kirche" nicht beeinträchtigt werde. Und nun e-hob sich in den furchtbaren Empörungstämpfen und verwüstenden Zügen der Hussiten in die benachbarten Reichslande jener gewaltige Sturm, der vor allem auch eine sehr bestimmte politische Wirkung haben sollte: die nämlich, daß er ganz besonders die inneren Schäden und namentlich die mili¬ tärische Schwäche des Reichs in noch höherem Grade bloßlegte. als schon die inneren Fehden es gethan. Die Siege der unter der hervorragenden Führung eines Ziska. eines Procop in einer Reihe von Schlachten und in einem jahre¬ langen Lagerleben fest zusammengefügten und kriegsgeübten, dazu von fanatischer Begeisterung erfüllten Hussiten über die deutschen Reichsheere legten die Kriegs« untüchtigkeit dieser letzteren, dieses bunt zusammengeworfenen, ungeübten, un- discivlirurten und überdies noch der einheitlichen Führung entbehrenden losen Conglomerats bald völlig klar. Die immer sich erneuernden Niederlagen und schmählichen Fluchten dieses Reichsheeres bei dem bloßen Herannahen von Ziska odcr Procop, die zuchtlose Haltung dieser Reichstruppen, die, je öfter sie von neuem zusammengerafft und gegen dieHussiten geführt wurden, um so mehr bewiesen, daß sie nur zum Niederbrennen wehrloser Dörfer und zum Ausreißen vor dem Feinde befähigt waren, — diese beschämenden Thatsachen führten auf den Reichstagen zu Nürnberg und Franksuit a. M. (1422 und 1427) zu ernstlichen Vorschlägen und Erwägungen, wie diesem dringenden Uebelstande abzuhelfen. Allerseits ward das Bedürfniß eines wahrhaft kriegslüchtigen. wohldisciplinirten, einheitlich ausgebildeten und einheitlich geleiteten stehenden Reichshceres im Principe anerkannt, aber wenn die Mittel hierzu durch eine allgemeine Reichs¬ steuer, eine Capitalsteuer unter dem Namen des „gemeinen Pfennigs" erbracht werden sollten, erhoben sich so viel Widersprüche und Schwierigkeiten bald unter den Fürsten einerseits und den Städten andererseits über den Maßstab der beiderseitigen Beitragspflicht, bald von Seiten der Ritterschaft, die ihrer Leistungs-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_190158/472>, abgerufen am 30.09.2024.