Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

viele Territorialherren bereits freigebig gespendeten Privileg et" non vvoeanäo
in ihrer Thätigkeit sehr beschränkt, theils fehlte es an der Vollziehung ihrer
Urtheilssprüche. König Wenzel hatte bekanntlich noch in seiner ersten gute"
Zeit die Idee, nicht blos jene aufstrebenden Landeshoheiten, sondern auch
sämmtliche von letzteren noch nicht ganz verschlungene, mit der Reichsgewalt
noch in einig'er unmittelbarer Verbindung gebliebene mindcrwichtige Glieder
zu einer großen Gesammtheit zu einer alle Classen der deutschen Nation
umschließenden Neichseinung zu verbinden. Eine solche Gesammteinigung wäre
jedenfalls ein wirksameres und durchgreifenderes Organ zur Ausübung des
Rechtsschutzes gewesen, als jene Separateinigungen. Aber freilich hätte auch
der Landfriede, den sie aufrecht erhalten sollte, ein anderer werden müssen.
Dieser principiell schon längst anerkannte und stets von neuem in den ver¬
schiedenen Territorien verkündete sogenannte "gemeine Friede- war an sich ein
ungenügendes Verbot, das nur die vorher nicht gehörig angesagten Fehden,
und die Fehden gegen solche, welche sich zu Recht erboten hatten, keineswegs
alle Fehden ohne Unterschied verbot. Ueberdies war Wenzel nicht der Mann,
ein solches Verbot durchzuführen. Dazu war er -- selbst in seiner ersten guten
Zeit -- zu unstet und leidenschaftlich, zu abgezogen und in Anspruch genom¬
men von seinen Händeln in Böhmen, und bald machte seine Tünkwuth ihn
völlig unzurechnungsfähig. So kam eS, daß der im Flusse begriffene Ordnungs¬
trieb im Reiche sich zersplitterte. Die schwächeren und daher am meisten be¬
drohten Glieder des Reiches, die Städte und die Neichsntterschaft, die aus
solch einer Reform der Reichsverfassung den meisten Nutzen gezogen und dem
Kaiser dafür die beste Stütze geboten haben würden, sahen sich nunmehr durch
das Mißlingen des wenzelschen Planes wiederum und mehr als je darauf ver¬
wiesen, in Euugungen unter sich selbst den nöthigen Schutz und Schirm gegen
die Uebergriffe der Mächtigeren zu suchen. So die Reichsstädte in Schwabe"
(gegen den Grafen Eberhard von Würtemberg), im Elsaß, am Mttelrhein;
die Reichsritterschaft vom Rheine und den Niederlanden bis zu den Alpen u"v
dem thüringer Walde in verschiedenen Gesellschaften und Bünden. In diesen
Einigungen, welche förmlich organisirt waren und von Hauptleuten und Räthen
geleitet wurden, verpflichteten sich die einzelnen Glieder einestheils. sich gage"'
seitig nicht zu befehden, sondern etwaige Zwiste durch "gekorene Richter" (Aus-
träge) entscheiden zu lassen, andererseits sich gegenseitig selbst mit den Waffen
zu schützen gegen den Landfriedensbruch Dritter, und endlich in jährlichen Ve>'
Sammlungen die Bundesangelegenheiten gemeinschaftlich zu berathen. Aber diese
aus dem Mangel an Reichsschutz entstandene Privathilfe war nur ein ungenü¬
gender Noihbehelf. Denn ein guter Theil der Rcichsglieder blieb außerhalb
solcher Einigungen und diese Bünde und Gesellschaften bekämpften sich selbst


viele Territorialherren bereits freigebig gespendeten Privileg et« non vvoeanäo
in ihrer Thätigkeit sehr beschränkt, theils fehlte es an der Vollziehung ihrer
Urtheilssprüche. König Wenzel hatte bekanntlich noch in seiner ersten gute»
Zeit die Idee, nicht blos jene aufstrebenden Landeshoheiten, sondern auch
sämmtliche von letzteren noch nicht ganz verschlungene, mit der Reichsgewalt
noch in einig'er unmittelbarer Verbindung gebliebene mindcrwichtige Glieder
zu einer großen Gesammtheit zu einer alle Classen der deutschen Nation
umschließenden Neichseinung zu verbinden. Eine solche Gesammteinigung wäre
jedenfalls ein wirksameres und durchgreifenderes Organ zur Ausübung des
Rechtsschutzes gewesen, als jene Separateinigungen. Aber freilich hätte auch
der Landfriede, den sie aufrecht erhalten sollte, ein anderer werden müssen.
Dieser principiell schon längst anerkannte und stets von neuem in den ver¬
schiedenen Territorien verkündete sogenannte „gemeine Friede- war an sich ein
ungenügendes Verbot, das nur die vorher nicht gehörig angesagten Fehden,
und die Fehden gegen solche, welche sich zu Recht erboten hatten, keineswegs
alle Fehden ohne Unterschied verbot. Ueberdies war Wenzel nicht der Mann,
ein solches Verbot durchzuführen. Dazu war er — selbst in seiner ersten guten
Zeit — zu unstet und leidenschaftlich, zu abgezogen und in Anspruch genom¬
men von seinen Händeln in Böhmen, und bald machte seine Tünkwuth ihn
völlig unzurechnungsfähig. So kam eS, daß der im Flusse begriffene Ordnungs¬
trieb im Reiche sich zersplitterte. Die schwächeren und daher am meisten be¬
drohten Glieder des Reiches, die Städte und die Neichsntterschaft, die aus
solch einer Reform der Reichsverfassung den meisten Nutzen gezogen und dem
Kaiser dafür die beste Stütze geboten haben würden, sahen sich nunmehr durch
das Mißlingen des wenzelschen Planes wiederum und mehr als je darauf ver¬
wiesen, in Euugungen unter sich selbst den nöthigen Schutz und Schirm gegen
die Uebergriffe der Mächtigeren zu suchen. So die Reichsstädte in Schwabe"
(gegen den Grafen Eberhard von Würtemberg), im Elsaß, am Mttelrhein;
die Reichsritterschaft vom Rheine und den Niederlanden bis zu den Alpen u»v
dem thüringer Walde in verschiedenen Gesellschaften und Bünden. In diesen
Einigungen, welche förmlich organisirt waren und von Hauptleuten und Räthen
geleitet wurden, verpflichteten sich die einzelnen Glieder einestheils. sich gage»'
seitig nicht zu befehden, sondern etwaige Zwiste durch „gekorene Richter" (Aus-
träge) entscheiden zu lassen, andererseits sich gegenseitig selbst mit den Waffen
zu schützen gegen den Landfriedensbruch Dritter, und endlich in jährlichen Ve>'
Sammlungen die Bundesangelegenheiten gemeinschaftlich zu berathen. Aber diese
aus dem Mangel an Reichsschutz entstandene Privathilfe war nur ein ungenü¬
gender Noihbehelf. Denn ein guter Theil der Rcichsglieder blieb außerhalb
solcher Einigungen und diese Bünde und Gesellschaften bekämpften sich selbst


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0470" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/190629"/>
          <p xml:id="ID_1561" prev="#ID_1560" next="#ID_1562"> viele Territorialherren bereits freigebig gespendeten Privileg et« non vvoeanäo<lb/>
in ihrer Thätigkeit sehr beschränkt, theils fehlte es an der Vollziehung ihrer<lb/>
Urtheilssprüche. König Wenzel hatte bekanntlich noch in seiner ersten gute»<lb/>
Zeit die Idee, nicht blos jene aufstrebenden Landeshoheiten, sondern auch<lb/>
sämmtliche von letzteren noch nicht ganz verschlungene, mit der Reichsgewalt<lb/>
noch in einig'er unmittelbarer Verbindung gebliebene mindcrwichtige Glieder<lb/>
zu einer großen Gesammtheit zu einer alle Classen der deutschen Nation<lb/>
umschließenden Neichseinung zu verbinden. Eine solche Gesammteinigung wäre<lb/>
jedenfalls ein wirksameres und durchgreifenderes Organ zur Ausübung des<lb/>
Rechtsschutzes gewesen, als jene Separateinigungen. Aber freilich hätte auch<lb/>
der Landfriede, den sie aufrecht erhalten sollte, ein anderer werden müssen.<lb/>
Dieser principiell schon längst anerkannte und stets von neuem in den ver¬<lb/>
schiedenen Territorien verkündete sogenannte &#x201E;gemeine Friede- war an sich ein<lb/>
ungenügendes Verbot, das nur die vorher nicht gehörig angesagten Fehden,<lb/>
und die Fehden gegen solche, welche sich zu Recht erboten hatten, keineswegs<lb/>
alle Fehden ohne Unterschied verbot. Ueberdies war Wenzel nicht der Mann,<lb/>
ein solches Verbot durchzuführen. Dazu war er &#x2014; selbst in seiner ersten guten<lb/>
Zeit &#x2014; zu unstet und leidenschaftlich, zu abgezogen und in Anspruch genom¬<lb/>
men von seinen Händeln in Böhmen, und bald machte seine Tünkwuth ihn<lb/>
völlig unzurechnungsfähig. So kam eS, daß der im Flusse begriffene Ordnungs¬<lb/>
trieb im Reiche sich zersplitterte. Die schwächeren und daher am meisten be¬<lb/>
drohten Glieder des Reiches, die Städte und die Neichsntterschaft, die aus<lb/>
solch einer Reform der Reichsverfassung den meisten Nutzen gezogen und dem<lb/>
Kaiser dafür die beste Stütze geboten haben würden, sahen sich nunmehr durch<lb/>
das Mißlingen des wenzelschen Planes wiederum und mehr als je darauf ver¬<lb/>
wiesen, in Euugungen unter sich selbst den nöthigen Schutz und Schirm gegen<lb/>
die Uebergriffe der Mächtigeren zu suchen. So die Reichsstädte in Schwabe"<lb/>
(gegen den Grafen Eberhard von Würtemberg), im Elsaß, am Mttelrhein;<lb/>
die Reichsritterschaft vom Rheine und den Niederlanden bis zu den Alpen u»v<lb/>
dem thüringer Walde in verschiedenen Gesellschaften und Bünden. In diesen<lb/>
Einigungen, welche förmlich organisirt waren und von Hauptleuten und Räthen<lb/>
geleitet wurden, verpflichteten sich die einzelnen Glieder einestheils. sich gage»'<lb/>
seitig nicht zu befehden, sondern etwaige Zwiste durch &#x201E;gekorene Richter" (Aus-<lb/>
träge) entscheiden zu lassen, andererseits sich gegenseitig selbst mit den Waffen<lb/>
zu schützen gegen den Landfriedensbruch Dritter, und endlich in jährlichen Ve&gt;'<lb/>
Sammlungen die Bundesangelegenheiten gemeinschaftlich zu berathen. Aber diese<lb/>
aus dem Mangel an Reichsschutz entstandene Privathilfe war nur ein ungenü¬<lb/>
gender Noihbehelf. Denn ein guter Theil der Rcichsglieder blieb außerhalb<lb/>
solcher Einigungen und diese Bünde und Gesellschaften bekämpften sich selbst</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0470] viele Territorialherren bereits freigebig gespendeten Privileg et« non vvoeanäo in ihrer Thätigkeit sehr beschränkt, theils fehlte es an der Vollziehung ihrer Urtheilssprüche. König Wenzel hatte bekanntlich noch in seiner ersten gute» Zeit die Idee, nicht blos jene aufstrebenden Landeshoheiten, sondern auch sämmtliche von letzteren noch nicht ganz verschlungene, mit der Reichsgewalt noch in einig'er unmittelbarer Verbindung gebliebene mindcrwichtige Glieder zu einer großen Gesammtheit zu einer alle Classen der deutschen Nation umschließenden Neichseinung zu verbinden. Eine solche Gesammteinigung wäre jedenfalls ein wirksameres und durchgreifenderes Organ zur Ausübung des Rechtsschutzes gewesen, als jene Separateinigungen. Aber freilich hätte auch der Landfriede, den sie aufrecht erhalten sollte, ein anderer werden müssen. Dieser principiell schon längst anerkannte und stets von neuem in den ver¬ schiedenen Territorien verkündete sogenannte „gemeine Friede- war an sich ein ungenügendes Verbot, das nur die vorher nicht gehörig angesagten Fehden, und die Fehden gegen solche, welche sich zu Recht erboten hatten, keineswegs alle Fehden ohne Unterschied verbot. Ueberdies war Wenzel nicht der Mann, ein solches Verbot durchzuführen. Dazu war er — selbst in seiner ersten guten Zeit — zu unstet und leidenschaftlich, zu abgezogen und in Anspruch genom¬ men von seinen Händeln in Böhmen, und bald machte seine Tünkwuth ihn völlig unzurechnungsfähig. So kam eS, daß der im Flusse begriffene Ordnungs¬ trieb im Reiche sich zersplitterte. Die schwächeren und daher am meisten be¬ drohten Glieder des Reiches, die Städte und die Neichsntterschaft, die aus solch einer Reform der Reichsverfassung den meisten Nutzen gezogen und dem Kaiser dafür die beste Stütze geboten haben würden, sahen sich nunmehr durch das Mißlingen des wenzelschen Planes wiederum und mehr als je darauf ver¬ wiesen, in Euugungen unter sich selbst den nöthigen Schutz und Schirm gegen die Uebergriffe der Mächtigeren zu suchen. So die Reichsstädte in Schwabe" (gegen den Grafen Eberhard von Würtemberg), im Elsaß, am Mttelrhein; die Reichsritterschaft vom Rheine und den Niederlanden bis zu den Alpen u»v dem thüringer Walde in verschiedenen Gesellschaften und Bünden. In diesen Einigungen, welche förmlich organisirt waren und von Hauptleuten und Räthen geleitet wurden, verpflichteten sich die einzelnen Glieder einestheils. sich gage»' seitig nicht zu befehden, sondern etwaige Zwiste durch „gekorene Richter" (Aus- träge) entscheiden zu lassen, andererseits sich gegenseitig selbst mit den Waffen zu schützen gegen den Landfriedensbruch Dritter, und endlich in jährlichen Ve>' Sammlungen die Bundesangelegenheiten gemeinschaftlich zu berathen. Aber diese aus dem Mangel an Reichsschutz entstandene Privathilfe war nur ein ungenü¬ gender Noihbehelf. Denn ein guter Theil der Rcichsglieder blieb außerhalb solcher Einigungen und diese Bünde und Gesellschaften bekämpften sich selbst

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_190158
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_190158/470
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_190158/470>, abgerufen am 30.09.2024.