Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

(was würde wohl die rechtsgelchrte Welt dazu sagen, wenn man jemanden ver-
urtheilen wollte "auf den Grund eines noch in Bearbeitung begriffenen Straf.
gesetzentwurfes?"). Endlich schloß ihn das Wahlgesetz von der Wählbarkeit aus;
und wer mochte danach noch zweifeln, daß das alles natürlich rein zufällig und
ohne alles geflissentliche Zuthun der mecklenburgischen Regierung so gekommen?
Da nun die preußische Haupt- und Residenzstadt Berlin Wiggers in den Reichs¬
tag gewählt hatte, so kam ein juristischer Professor -- auf was verfallen nicht
Juristen und Professoren? -- auf den Einfall, die berliner Wahl müsse nach
dem mecklenburger Gesetze beurtheilt und deshalb Wiggers aus dem Reichstage
"entfernigt werden", -- wie sich in diesem Falle Fritz Reuters Entdeckter Bräsig
ausgedrückt haben würde. Allein der Reichstag, seine ersten juristischen Capa-
citäten an der Spitze, war anderer Meinung. Er erklärte die Wahl für giltig.
Auch der ritterliche Prinz Friedrich Karl, der Herzog von Ujest und der sonstige
hohe Adel Preußens stimmten dafür. Die preußischen Minister, welche Reichs-
tagsabgeordnete sind, fehlten. Wahrscheinlich wollten sie nicht gegen und
konnten doch nicht für Mecklenburg stimmen. -- An und für sich freilich
involoirte die von dem Reichstage über die von dem Professor I)r. Glaser an¬
geregte Controverse getroffene Entscheidung noch keine Verurtheilung der meck¬
lenburgischen Regierung. Das Verdienst, sie wider Willen zu einer solchen
beinahe gemacht zu haben, gebührt dem Bundescommissarius für das Großherzog-
thum Mecklenburg-Schwerin, Herrn Dr. Wetzel, welcher mit rapider Geschwindig¬
keit die Laufbahn von einem marbnrger Privatdocenten bis zu einem grohher-
zoglichen geheimen Staatsrathe zurückgelegt hat und als das brauchbarste Mit¬
glied der mecklenburgischen Regierung gilt. Während die Versammlung discutirte,
ob das mecklenburger Gesetz auf die berliner Wahl anwendbar sei, was die
Herren v. Vincke (Hagen) und Wagener (Ncustcttin) bejaheten, jedoch nicht ohne
für die Person des Herrn Wiggers Gefühle der Achtung und Sympathie kund¬
zugeben, schien Wetzel den Stand der Frage so aufgefaßt zu haben, als
wenn die mecklenburgische Regierung angeklagt werde, aus Haß gegen einen
einzelnen Mann ein Gesetz gemacht zu haben, im Widerspruch mit einer be¬
kannten Regel, die schon in den zwölf Tafeln steht ("irr Komines privos lege"
torri noluei-urrt"). Wenigstens vertheidigte er in einer an das "Hui s'excuse,
L'accuse" erinnernden mehr als halbstündigen Rede die mecklenburgische Negie¬
rung gegen eine solche Beschuldigung. Er soll zu dieser Rede einen speciellen
Auftrag seines hohen Gouvernements gehabt, schon vor sechs Wochen die Acten
eingezogen und seitdem daran gearbeitet haben. Letzteres versichern wohl unter-
richtete Männer, sonst würden wir es nicht glauben; denn an der Rede selbst
waren Spuren des Grundsatzes: "Aonum xrerrmtur in g,imum" auch für den
schärfsten Beobachter nicht sichtbar. Als dccoratives Element dagegen diente der
Rede ein persönlicher Ausfall gegen die "Gebrüder Wiggers". welchen der rechts-


Grtnjboten I 1867. 58

(was würde wohl die rechtsgelchrte Welt dazu sagen, wenn man jemanden ver-
urtheilen wollte „auf den Grund eines noch in Bearbeitung begriffenen Straf.
gesetzentwurfes?"). Endlich schloß ihn das Wahlgesetz von der Wählbarkeit aus;
und wer mochte danach noch zweifeln, daß das alles natürlich rein zufällig und
ohne alles geflissentliche Zuthun der mecklenburgischen Regierung so gekommen?
Da nun die preußische Haupt- und Residenzstadt Berlin Wiggers in den Reichs¬
tag gewählt hatte, so kam ein juristischer Professor — auf was verfallen nicht
Juristen und Professoren? — auf den Einfall, die berliner Wahl müsse nach
dem mecklenburger Gesetze beurtheilt und deshalb Wiggers aus dem Reichstage
„entfernigt werden", — wie sich in diesem Falle Fritz Reuters Entdeckter Bräsig
ausgedrückt haben würde. Allein der Reichstag, seine ersten juristischen Capa-
citäten an der Spitze, war anderer Meinung. Er erklärte die Wahl für giltig.
Auch der ritterliche Prinz Friedrich Karl, der Herzog von Ujest und der sonstige
hohe Adel Preußens stimmten dafür. Die preußischen Minister, welche Reichs-
tagsabgeordnete sind, fehlten. Wahrscheinlich wollten sie nicht gegen und
konnten doch nicht für Mecklenburg stimmen. — An und für sich freilich
involoirte die von dem Reichstage über die von dem Professor I)r. Glaser an¬
geregte Controverse getroffene Entscheidung noch keine Verurtheilung der meck¬
lenburgischen Regierung. Das Verdienst, sie wider Willen zu einer solchen
beinahe gemacht zu haben, gebührt dem Bundescommissarius für das Großherzog-
thum Mecklenburg-Schwerin, Herrn Dr. Wetzel, welcher mit rapider Geschwindig¬
keit die Laufbahn von einem marbnrger Privatdocenten bis zu einem grohher-
zoglichen geheimen Staatsrathe zurückgelegt hat und als das brauchbarste Mit¬
glied der mecklenburgischen Regierung gilt. Während die Versammlung discutirte,
ob das mecklenburger Gesetz auf die berliner Wahl anwendbar sei, was die
Herren v. Vincke (Hagen) und Wagener (Ncustcttin) bejaheten, jedoch nicht ohne
für die Person des Herrn Wiggers Gefühle der Achtung und Sympathie kund¬
zugeben, schien Wetzel den Stand der Frage so aufgefaßt zu haben, als
wenn die mecklenburgische Regierung angeklagt werde, aus Haß gegen einen
einzelnen Mann ein Gesetz gemacht zu haben, im Widerspruch mit einer be¬
kannten Regel, die schon in den zwölf Tafeln steht („irr Komines privos lege»
torri noluei-urrt"). Wenigstens vertheidigte er in einer an das „Hui s'excuse,
L'accuse" erinnernden mehr als halbstündigen Rede die mecklenburgische Negie¬
rung gegen eine solche Beschuldigung. Er soll zu dieser Rede einen speciellen
Auftrag seines hohen Gouvernements gehabt, schon vor sechs Wochen die Acten
eingezogen und seitdem daran gearbeitet haben. Letzteres versichern wohl unter-
richtete Männer, sonst würden wir es nicht glauben; denn an der Rede selbst
waren Spuren des Grundsatzes: „Aonum xrerrmtur in g,imum" auch für den
schärfsten Beobachter nicht sichtbar. Als dccoratives Element dagegen diente der
Rede ein persönlicher Ausfall gegen die „Gebrüder Wiggers". welchen der rechts-


Grtnjboten I 1867. 58
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0463" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/190622"/>
          <p xml:id="ID_1543" prev="#ID_1542" next="#ID_1544"> (was würde wohl die rechtsgelchrte Welt dazu sagen, wenn man jemanden ver-<lb/>
urtheilen wollte &#x201E;auf den Grund eines noch in Bearbeitung begriffenen Straf.<lb/>
gesetzentwurfes?"). Endlich schloß ihn das Wahlgesetz von der Wählbarkeit aus;<lb/>
und wer mochte danach noch zweifeln, daß das alles natürlich rein zufällig und<lb/>
ohne alles geflissentliche Zuthun der mecklenburgischen Regierung so gekommen?<lb/>
Da nun die preußische Haupt- und Residenzstadt Berlin Wiggers in den Reichs¬<lb/>
tag gewählt hatte, so kam ein juristischer Professor &#x2014; auf was verfallen nicht<lb/>
Juristen und Professoren? &#x2014; auf den Einfall, die berliner Wahl müsse nach<lb/>
dem mecklenburger Gesetze beurtheilt und deshalb Wiggers aus dem Reichstage<lb/>
&#x201E;entfernigt werden", &#x2014; wie sich in diesem Falle Fritz Reuters Entdeckter Bräsig<lb/>
ausgedrückt haben würde.  Allein der Reichstag, seine ersten juristischen Capa-<lb/>
citäten an der Spitze, war anderer Meinung. Er erklärte die Wahl für giltig.<lb/>
Auch der ritterliche Prinz Friedrich Karl, der Herzog von Ujest und der sonstige<lb/>
hohe Adel Preußens stimmten dafür.  Die preußischen Minister, welche Reichs-<lb/>
tagsabgeordnete sind, fehlten.  Wahrscheinlich wollten sie nicht gegen und<lb/>
konnten doch nicht für Mecklenburg stimmen. &#x2014; An und für sich freilich<lb/>
involoirte die von dem Reichstage über die von dem Professor I)r. Glaser an¬<lb/>
geregte Controverse getroffene Entscheidung noch keine Verurtheilung der meck¬<lb/>
lenburgischen Regierung.  Das Verdienst, sie wider Willen zu einer solchen<lb/>
beinahe gemacht zu haben, gebührt dem Bundescommissarius für das Großherzog-<lb/>
thum Mecklenburg-Schwerin, Herrn Dr. Wetzel, welcher mit rapider Geschwindig¬<lb/>
keit die Laufbahn von einem marbnrger Privatdocenten bis zu einem grohher-<lb/>
zoglichen geheimen Staatsrathe zurückgelegt hat und als das brauchbarste Mit¬<lb/>
glied der mecklenburgischen Regierung gilt. Während die Versammlung discutirte,<lb/>
ob das mecklenburger Gesetz auf die berliner Wahl anwendbar sei, was die<lb/>
Herren v. Vincke (Hagen) und Wagener (Ncustcttin) bejaheten, jedoch nicht ohne<lb/>
für die Person des Herrn Wiggers Gefühle der Achtung und Sympathie kund¬<lb/>
zugeben, schien   Wetzel den Stand der Frage so aufgefaßt zu haben, als<lb/>
wenn die mecklenburgische Regierung angeklagt werde, aus Haß gegen einen<lb/>
einzelnen Mann ein Gesetz gemacht zu haben, im Widerspruch mit einer be¬<lb/>
kannten Regel, die schon in den zwölf Tafeln steht (&#x201E;irr Komines privos lege»<lb/>
torri noluei-urrt"). Wenigstens vertheidigte er in einer an das &#x201E;Hui s'excuse,<lb/>
L'accuse" erinnernden mehr als halbstündigen Rede die mecklenburgische Negie¬<lb/>
rung gegen eine solche Beschuldigung.  Er soll zu dieser Rede einen speciellen<lb/>
Auftrag seines hohen Gouvernements gehabt, schon vor sechs Wochen die Acten<lb/>
eingezogen und seitdem daran gearbeitet haben. Letzteres versichern wohl unter-<lb/>
richtete Männer, sonst würden wir es nicht glauben; denn an der Rede selbst<lb/>
waren Spuren des Grundsatzes: &#x201E;Aonum xrerrmtur in g,imum" auch für den<lb/>
schärfsten Beobachter nicht sichtbar. Als dccoratives Element dagegen diente der<lb/>
Rede ein persönlicher Ausfall gegen die &#x201E;Gebrüder Wiggers". welchen der rechts-</p><lb/>
          <fw type="sig" place="bottom"> Grtnjboten I 1867. 58</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0463] (was würde wohl die rechtsgelchrte Welt dazu sagen, wenn man jemanden ver- urtheilen wollte „auf den Grund eines noch in Bearbeitung begriffenen Straf. gesetzentwurfes?"). Endlich schloß ihn das Wahlgesetz von der Wählbarkeit aus; und wer mochte danach noch zweifeln, daß das alles natürlich rein zufällig und ohne alles geflissentliche Zuthun der mecklenburgischen Regierung so gekommen? Da nun die preußische Haupt- und Residenzstadt Berlin Wiggers in den Reichs¬ tag gewählt hatte, so kam ein juristischer Professor — auf was verfallen nicht Juristen und Professoren? — auf den Einfall, die berliner Wahl müsse nach dem mecklenburger Gesetze beurtheilt und deshalb Wiggers aus dem Reichstage „entfernigt werden", — wie sich in diesem Falle Fritz Reuters Entdeckter Bräsig ausgedrückt haben würde. Allein der Reichstag, seine ersten juristischen Capa- citäten an der Spitze, war anderer Meinung. Er erklärte die Wahl für giltig. Auch der ritterliche Prinz Friedrich Karl, der Herzog von Ujest und der sonstige hohe Adel Preußens stimmten dafür. Die preußischen Minister, welche Reichs- tagsabgeordnete sind, fehlten. Wahrscheinlich wollten sie nicht gegen und konnten doch nicht für Mecklenburg stimmen. — An und für sich freilich involoirte die von dem Reichstage über die von dem Professor I)r. Glaser an¬ geregte Controverse getroffene Entscheidung noch keine Verurtheilung der meck¬ lenburgischen Regierung. Das Verdienst, sie wider Willen zu einer solchen beinahe gemacht zu haben, gebührt dem Bundescommissarius für das Großherzog- thum Mecklenburg-Schwerin, Herrn Dr. Wetzel, welcher mit rapider Geschwindig¬ keit die Laufbahn von einem marbnrger Privatdocenten bis zu einem grohher- zoglichen geheimen Staatsrathe zurückgelegt hat und als das brauchbarste Mit¬ glied der mecklenburgischen Regierung gilt. Während die Versammlung discutirte, ob das mecklenburger Gesetz auf die berliner Wahl anwendbar sei, was die Herren v. Vincke (Hagen) und Wagener (Ncustcttin) bejaheten, jedoch nicht ohne für die Person des Herrn Wiggers Gefühle der Achtung und Sympathie kund¬ zugeben, schien Wetzel den Stand der Frage so aufgefaßt zu haben, als wenn die mecklenburgische Regierung angeklagt werde, aus Haß gegen einen einzelnen Mann ein Gesetz gemacht zu haben, im Widerspruch mit einer be¬ kannten Regel, die schon in den zwölf Tafeln steht („irr Komines privos lege» torri noluei-urrt"). Wenigstens vertheidigte er in einer an das „Hui s'excuse, L'accuse" erinnernden mehr als halbstündigen Rede die mecklenburgische Negie¬ rung gegen eine solche Beschuldigung. Er soll zu dieser Rede einen speciellen Auftrag seines hohen Gouvernements gehabt, schon vor sechs Wochen die Acten eingezogen und seitdem daran gearbeitet haben. Letzteres versichern wohl unter- richtete Männer, sonst würden wir es nicht glauben; denn an der Rede selbst waren Spuren des Grundsatzes: „Aonum xrerrmtur in g,imum" auch für den schärfsten Beobachter nicht sichtbar. Als dccoratives Element dagegen diente der Rede ein persönlicher Ausfall gegen die „Gebrüder Wiggers". welchen der rechts- Grtnjboten I 1867. 58

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_190158
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_190158/463
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_190158/463>, abgerufen am 30.09.2024.