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Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. I. Band.

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Wirth. Er fragte diesen, ob er etwa gesonnen sei. jemanden in das Parlament
zu wählen, was der Hotelbesitzer kühl bis aus Herz hinan verneinte. Darauf
nahm der Wahivorstand ein Protokoll auf, in welche", er die einstimmige Ab¬
wesenheit sämmtlicher Wähler constatirte, die Antwort des Gastwirths registrirte
und nicht unterließ beizufügen, daß auch er, der endesuntcrfertigte Wahlvor¬
steher, sich nicht bemüßigt finde, zu wählen. An dem nächsten Ort wiederholte
sich dasselbe Schauspiel, und so ging die Wahlenthaltung durch die gesäumten
ratzeburgischen Lande. Auch an den Reichstag wandten sich die Ratzeburger
mit einem Protest. Sie versicherten, sie seien gut deutsch, könnten aber nur
als Ratze- und nicht als Mecklenburger wählen, und bäten im Uebrigen
ihnen zu ihrem Rechte zu verhelfen. Letzteres konnte der Reichstag im Augen¬
blick leider noch nicht; es wurden ihnen indeß einige Worte gemüthlicher Theil¬
nahme gewidmet. Die Wahl wurde'genehmigt in Anbetracht, daß die Ratze¬
burger, auch wenn sie gewählt hätten, wegen ihrer geringen Zahl keinen Aus-
schlag gegeben haben würden.

Das war die Procedur Ratze- versus Mecklenburg. Der zweite territoriale
Proceß war: Stadt Berlin contra, Mecklenburg-Schwerin. Die Verhandlungen
sind aus den Zeitungen bekannt. Das Land Mecklenburg verlor. Die Stadt
Berlin gewann. Die Gesetzgeber Mecklenburgs hatten aus Gründen, welche für
einen beschränkten Unterthanenverstand nicht auffindbar sind, es für dringend
nothwendig gehalten, in ihr Wahlgesetz zu schreiben, daß eine verbüßte Zucht¬
hausstrafe wegen politischer Verbrechen von der Wählbarkeit ausschließe, während
in dem preußischen Wahlgesetze das Gegentheil steht, ohne daß dadurch bis äato
die preußische Monarchie irgendeine Schädigung an Ansehen und Würde erlitten
hätte. Es war natürlich nur reiner Zufall, daß die von den Gesetzgebern
Mecklenburgs heuchle Ausschließung nur aus eine einzige Person zutraf und daß
dieser Mann der mecklenburgischen Negierung eine xvrsonn. iug'l'Ätissiimr, war,
nämlich Moritz Wiggers, bekannt durch seine politische Laufbahn und durch eine
Reihe guter volkswirtschaftlicher und sinauzwissenschaftlicher Bücher. Moritz
Wiggers, der Präsident des constitutionellen Landtags von 1848, hatte, nach¬
dem die coiistilutionelle Verfassung abgeschafft und die fcudalständische wieder
eingeführt war, zufällig oaS Unglück, in Gemeinschaft mit seinen Freunden
"wegen Theilnahme an einem entfernte" Versuche des Hochverraths" >n Unter¬
suchung gezogen, verhaftet, etwa vier Jahre in Untersuchungshaft gehalten und
schließlich zu drei Jahren Zuchthaus verurtheilt zu werden. Alle anderen wurden
begnadigt. Wiggers allein wurde ins Zuchthaus gcsteckc. Später wurde ihm
sogar noch, in Widerspruch mit dem juristischen Grundsätze, daß man nicht
eine und dieselbe Handlung doppelt mit Strafe belegen dürfe -- ils bis in
iävw die Anwaltspraxis untersagt, weil Zuchthausstrafe cutehre, und zwar
"nach einem in Mecklenburg in der Bildung begriffenen Gewohnheitsrecht"


Wirth. Er fragte diesen, ob er etwa gesonnen sei. jemanden in das Parlament
zu wählen, was der Hotelbesitzer kühl bis aus Herz hinan verneinte. Darauf
nahm der Wahivorstand ein Protokoll auf, in welche», er die einstimmige Ab¬
wesenheit sämmtlicher Wähler constatirte, die Antwort des Gastwirths registrirte
und nicht unterließ beizufügen, daß auch er, der endesuntcrfertigte Wahlvor¬
steher, sich nicht bemüßigt finde, zu wählen. An dem nächsten Ort wiederholte
sich dasselbe Schauspiel, und so ging die Wahlenthaltung durch die gesäumten
ratzeburgischen Lande. Auch an den Reichstag wandten sich die Ratzeburger
mit einem Protest. Sie versicherten, sie seien gut deutsch, könnten aber nur
als Ratze- und nicht als Mecklenburger wählen, und bäten im Uebrigen
ihnen zu ihrem Rechte zu verhelfen. Letzteres konnte der Reichstag im Augen¬
blick leider noch nicht; es wurden ihnen indeß einige Worte gemüthlicher Theil¬
nahme gewidmet. Die Wahl wurde'genehmigt in Anbetracht, daß die Ratze¬
burger, auch wenn sie gewählt hätten, wegen ihrer geringen Zahl keinen Aus-
schlag gegeben haben würden.

Das war die Procedur Ratze- versus Mecklenburg. Der zweite territoriale
Proceß war: Stadt Berlin contra, Mecklenburg-Schwerin. Die Verhandlungen
sind aus den Zeitungen bekannt. Das Land Mecklenburg verlor. Die Stadt
Berlin gewann. Die Gesetzgeber Mecklenburgs hatten aus Gründen, welche für
einen beschränkten Unterthanenverstand nicht auffindbar sind, es für dringend
nothwendig gehalten, in ihr Wahlgesetz zu schreiben, daß eine verbüßte Zucht¬
hausstrafe wegen politischer Verbrechen von der Wählbarkeit ausschließe, während
in dem preußischen Wahlgesetze das Gegentheil steht, ohne daß dadurch bis äato
die preußische Monarchie irgendeine Schädigung an Ansehen und Würde erlitten
hätte. Es war natürlich nur reiner Zufall, daß die von den Gesetzgebern
Mecklenburgs heuchle Ausschließung nur aus eine einzige Person zutraf und daß
dieser Mann der mecklenburgischen Negierung eine xvrsonn. iug'l'Ätissiimr, war,
nämlich Moritz Wiggers, bekannt durch seine politische Laufbahn und durch eine
Reihe guter volkswirtschaftlicher und sinauzwissenschaftlicher Bücher. Moritz
Wiggers, der Präsident des constitutionellen Landtags von 1848, hatte, nach¬
dem die coiistilutionelle Verfassung abgeschafft und die fcudalständische wieder
eingeführt war, zufällig oaS Unglück, in Gemeinschaft mit seinen Freunden
„wegen Theilnahme an einem entfernte» Versuche des Hochverraths" >n Unter¬
suchung gezogen, verhaftet, etwa vier Jahre in Untersuchungshaft gehalten und
schließlich zu drei Jahren Zuchthaus verurtheilt zu werden. Alle anderen wurden
begnadigt. Wiggers allein wurde ins Zuchthaus gcsteckc. Später wurde ihm
sogar noch, in Widerspruch mit dem juristischen Grundsätze, daß man nicht
eine und dieselbe Handlung doppelt mit Strafe belegen dürfe — ils bis in
iävw die Anwaltspraxis untersagt, weil Zuchthausstrafe cutehre, und zwar
„nach einem in Mecklenburg in der Bildung begriffenen Gewohnheitsrecht"


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_190158/462>, abgerufen am 23.12.2024.