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Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. I. Band.

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als die der oberen, specifisch conservativ? Auch das wird uns schwer zu glauben.
Ohne die übrigen Factoren. -- wie die Fehler jener Tactik. welche ein Theil
der liberalen Partei, ohne von dem andern Theil laut und vernehmlich des-
avouirt zu werden, in dem Abgeordnetenhaus begangen hat und für die man
nun alles, was den Namen "Fortschritt" trägt oder trug, verantwortlich macht;
die Aureole, die das Haupt des Siegers umgiebt-, die Besorgniß das, was das
treue und tapfere Volk auf dem Schlachtfeld errungen, auf der parlamentarischen
Arena durch factiöse Vertreter und frondirende Parteien wieder verscherzt zu
sehen; die wirksame Propaganda, welche die jungen Soldaten namentlich in den
ländlichen Distncten machten, -- ohne alle diese und andere Factoren negiren
oder außer Rechnung lassen zu wollen, möchte" wir doch darauf aufmerksam
machen, daß ein sehr wichtiges Moment für das Ergebniß der Wahlen, nach
einer ganz neuen Wahlart und grade nach dieser Wahlart. irr der Art und
in dem Umfange der Thätigkeit der Parteien zu suchen ist.

Abgesehen von Zeiten höchster politischer Erregung und Spannung, kann
man unseres Erachtens den Satz ausstellen: Es ist niemals irgendeine
Partei an und für sich in der absoluten Majorität. Man wird uns
sagen: "Du sprichst ein großes Wort gelassen aus;" -- und doch möchten wir
dabei beharren. Jede ausgeprägte, specifische Partei befindet sich regelmäßig,
wenigstens hier in Deutschland, an sich in der Minorität; und wenn irgend-
jemand in der vorhandenen Masse der Bevölkerung eines gegebenen Bezirks die
Majorität, die absolute Majorität besitzt, so ist es nur die Indolenz und der
Indifferentismus, welche sich der Gesetzgebung des weisen Solon von Athen,
daß in der Zeit einer politischen Krisis kein Bürger neutral bleiben dürfe, son¬
dern verpflichtet sei, sich der einen oder der andern Partei anzuschließen, nie¬
mals unterworfen haben. -- Die Ausgabe jeder' politischen Partei ist nun,
von diesem herrenlosen Gebiet des Indifferentismus so rasch und so viel
als möglich zu occupiren; und wer hierin die beste Strategie und Tactik ent¬
wickelt, der siegt in der Wahl. Daß sich Strategie und Tactik dem Wahlmodus
anpassen müssen, um von dem Erfolge gekrönt zu sein, ist klar. Das Knegs-
theater bedingt die Art der Kriegführung. Ein junger Mann, der mit bestem
Eifer und Erfolg seine Reitunterrichisstnnden abgehalten und in der Reitbahn
schon recht schön Schule geritten hat, wird doch vielleicht große Mühe haben,
sich an Bord des Pferdes zu halten, wenn er zum ersten Male auf einem
fremden Roß in die weite, weite Welt reitet. Die Künste der Reitbahn allein
reichen da nicht aus.

Das Drei-Classen-Wahlsystem beruhte auf Abgrenzung. Beschränkung und
einer gelinden Art der Bevormundung der Menge durch die Aristokratie der
Wahlmänner. Vielleicht ist der Ausdruck "Bevormundung" zu stark; aber wir
können im Augenblick keinen besseren finden. Gewiß aber ist. daß kleine, ab


als die der oberen, specifisch conservativ? Auch das wird uns schwer zu glauben.
Ohne die übrigen Factoren. — wie die Fehler jener Tactik. welche ein Theil
der liberalen Partei, ohne von dem andern Theil laut und vernehmlich des-
avouirt zu werden, in dem Abgeordnetenhaus begangen hat und für die man
nun alles, was den Namen „Fortschritt" trägt oder trug, verantwortlich macht;
die Aureole, die das Haupt des Siegers umgiebt-, die Besorgniß das, was das
treue und tapfere Volk auf dem Schlachtfeld errungen, auf der parlamentarischen
Arena durch factiöse Vertreter und frondirende Parteien wieder verscherzt zu
sehen; die wirksame Propaganda, welche die jungen Soldaten namentlich in den
ländlichen Distncten machten, — ohne alle diese und andere Factoren negiren
oder außer Rechnung lassen zu wollen, möchte» wir doch darauf aufmerksam
machen, daß ein sehr wichtiges Moment für das Ergebniß der Wahlen, nach
einer ganz neuen Wahlart und grade nach dieser Wahlart. irr der Art und
in dem Umfange der Thätigkeit der Parteien zu suchen ist.

Abgesehen von Zeiten höchster politischer Erregung und Spannung, kann
man unseres Erachtens den Satz ausstellen: Es ist niemals irgendeine
Partei an und für sich in der absoluten Majorität. Man wird uns
sagen: „Du sprichst ein großes Wort gelassen aus;" — und doch möchten wir
dabei beharren. Jede ausgeprägte, specifische Partei befindet sich regelmäßig,
wenigstens hier in Deutschland, an sich in der Minorität; und wenn irgend-
jemand in der vorhandenen Masse der Bevölkerung eines gegebenen Bezirks die
Majorität, die absolute Majorität besitzt, so ist es nur die Indolenz und der
Indifferentismus, welche sich der Gesetzgebung des weisen Solon von Athen,
daß in der Zeit einer politischen Krisis kein Bürger neutral bleiben dürfe, son¬
dern verpflichtet sei, sich der einen oder der andern Partei anzuschließen, nie¬
mals unterworfen haben. — Die Ausgabe jeder' politischen Partei ist nun,
von diesem herrenlosen Gebiet des Indifferentismus so rasch und so viel
als möglich zu occupiren; und wer hierin die beste Strategie und Tactik ent¬
wickelt, der siegt in der Wahl. Daß sich Strategie und Tactik dem Wahlmodus
anpassen müssen, um von dem Erfolge gekrönt zu sein, ist klar. Das Knegs-
theater bedingt die Art der Kriegführung. Ein junger Mann, der mit bestem
Eifer und Erfolg seine Reitunterrichisstnnden abgehalten und in der Reitbahn
schon recht schön Schule geritten hat, wird doch vielleicht große Mühe haben,
sich an Bord des Pferdes zu halten, wenn er zum ersten Male auf einem
fremden Roß in die weite, weite Welt reitet. Die Künste der Reitbahn allein
reichen da nicht aus.

Das Drei-Classen-Wahlsystem beruhte auf Abgrenzung. Beschränkung und
einer gelinden Art der Bevormundung der Menge durch die Aristokratie der
Wahlmänner. Vielleicht ist der Ausdruck „Bevormundung" zu stark; aber wir
können im Augenblick keinen besseren finden. Gewiß aber ist. daß kleine, ab


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[0456] als die der oberen, specifisch conservativ? Auch das wird uns schwer zu glauben. Ohne die übrigen Factoren. — wie die Fehler jener Tactik. welche ein Theil der liberalen Partei, ohne von dem andern Theil laut und vernehmlich des- avouirt zu werden, in dem Abgeordnetenhaus begangen hat und für die man nun alles, was den Namen „Fortschritt" trägt oder trug, verantwortlich macht; die Aureole, die das Haupt des Siegers umgiebt-, die Besorgniß das, was das treue und tapfere Volk auf dem Schlachtfeld errungen, auf der parlamentarischen Arena durch factiöse Vertreter und frondirende Parteien wieder verscherzt zu sehen; die wirksame Propaganda, welche die jungen Soldaten namentlich in den ländlichen Distncten machten, — ohne alle diese und andere Factoren negiren oder außer Rechnung lassen zu wollen, möchte» wir doch darauf aufmerksam machen, daß ein sehr wichtiges Moment für das Ergebniß der Wahlen, nach einer ganz neuen Wahlart und grade nach dieser Wahlart. irr der Art und in dem Umfange der Thätigkeit der Parteien zu suchen ist. Abgesehen von Zeiten höchster politischer Erregung und Spannung, kann man unseres Erachtens den Satz ausstellen: Es ist niemals irgendeine Partei an und für sich in der absoluten Majorität. Man wird uns sagen: „Du sprichst ein großes Wort gelassen aus;" — und doch möchten wir dabei beharren. Jede ausgeprägte, specifische Partei befindet sich regelmäßig, wenigstens hier in Deutschland, an sich in der Minorität; und wenn irgend- jemand in der vorhandenen Masse der Bevölkerung eines gegebenen Bezirks die Majorität, die absolute Majorität besitzt, so ist es nur die Indolenz und der Indifferentismus, welche sich der Gesetzgebung des weisen Solon von Athen, daß in der Zeit einer politischen Krisis kein Bürger neutral bleiben dürfe, son¬ dern verpflichtet sei, sich der einen oder der andern Partei anzuschließen, nie¬ mals unterworfen haben. — Die Ausgabe jeder' politischen Partei ist nun, von diesem herrenlosen Gebiet des Indifferentismus so rasch und so viel als möglich zu occupiren; und wer hierin die beste Strategie und Tactik ent¬ wickelt, der siegt in der Wahl. Daß sich Strategie und Tactik dem Wahlmodus anpassen müssen, um von dem Erfolge gekrönt zu sein, ist klar. Das Knegs- theater bedingt die Art der Kriegführung. Ein junger Mann, der mit bestem Eifer und Erfolg seine Reitunterrichisstnnden abgehalten und in der Reitbahn schon recht schön Schule geritten hat, wird doch vielleicht große Mühe haben, sich an Bord des Pferdes zu halten, wenn er zum ersten Male auf einem fremden Roß in die weite, weite Welt reitet. Die Künste der Reitbahn allein reichen da nicht aus. Das Drei-Classen-Wahlsystem beruhte auf Abgrenzung. Beschränkung und einer gelinden Art der Bevormundung der Menge durch die Aristokratie der Wahlmänner. Vielleicht ist der Ausdruck „Bevormundung" zu stark; aber wir können im Augenblick keinen besseren finden. Gewiß aber ist. daß kleine, ab

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_190158/456>, abgerufen am 29.09.2024.