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Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. I. Band.

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oder doch die eine der andern ebenbürtig machen, ist die Grundbedingung des
Stils e>füllt. Man müßte blind sein, wenn man diese Zunahme nicht erkennen
und die Möglichkeit der Belebung einer wahrhaft gesunden Kunst läugnen wollte,
die' nicht auf der Laune einzelner Fürsten oder der Feinschmeckerei sogenannter
Kunstliebhaber beruht.

Diesem steigenden Bedürfniß künstlerischer Gestaltung überall entgegenzukom¬
men, das wäre allerdings ein großes Verdienst-- ein sel>r viel größeres als Biidcr-
fabriken zu organisiren. Während wir aber des Kunstuntcrrichts für Maler
mehr als zu viel haben, ist der für die Industriellen, die Handwerker, überall
noch sehr zurück, läßt unendlich viel zu wünschen übrig. Hier sind noch die
größten Fortschritte nicht nur möglich, sondern sehr nothwendig. Zunächst fehlt
es in hohem Grade- an tüchtigen Lehrern. Diese sind gegenwärtig meistens
Maler, die es nicht weit genug gebracht haben, um von ihren Bildern leben zu
können und daher sich nachträglich dem Unterricht zuwenden mußten, für welchen
aber ihre ganze Bildung in der Regel nicht angelegt war.

Was der Lehrer im Gegensatz zum Maler oder Bildhauer braucht, ist nicht
die einseitige Entwicklung einer einzelnen productiven Fähigkeit ans Kosten aller
andern, sonder" grade eine universelle Kunstbildung, wie sie auch einem mäßigen
Talente bei Fleiß und Intelligenz zu erreichen möglich ist.

Unsere dermaligen Akademien aber, denen die Bildung der Zcichncn-
lehrer in erster Linie obläge, sind dermalen mit ihren Meisterschulen nichts als
Bildcrfabriken, in welche" alles eher angestrebt wird, als den Schülern einen
Begriff vom Ganzen der Kunst, vom Zusammenhang ihrer einzelnen Theile bei¬
zubringen. Das Princip der Theilung der Arbeit, so fruchtbar in der Industrie
als nachtheilig in der Kunst, beherrsch! ganz ihren Unterricht, nur habe" daher
Landschafls-, Blumen-, Architektur-, Historien-, ja Katze!,- und Hundemaler in
Fülle, aber fast gar keine Künstler, die nur ihre eigene Kunst nach allen Rich¬
tungen übten, geschweige denn alle drei studirte" und übten, wie das zur clas¬
sischen Periode fast jeder that, und dadurch das Bewußtsein ihrer Untrcnnbarkcit,
das umfassende Stilgefühl, den erhöhten Fonnensi"" in sich ebenso lebendig
erhielt, als das Bcrständniß für den Zusammenhang mit der Industrie, der ja
vorzugsweise durch die Architektur vermittelt wird. Daß das Bild nur eine
andere Art von Wandverzierung, von Tapete ist, wie auch das Relief, daran
zu denken wird kaum je ein junger Künstler angeleitet.

Wie man heute auf der Universität gewöhnlich, anstatt die allgemeine Bil¬
dung zu fördern, nur ein Brotstudium so eilig und handwerksmäßig als mög¬
lich absolvirt, genau so geschieht es auf der Akademie, nur noch viel einseitiger,
da ein ziemlich vollständiger Untcrriehtözwang besteht, und das corrcctive nütz¬
liche Institut der Privatvvcentc" gar nicht existirt. -- Hat also der Sprößling
einer solchen Anstalt seine Carrivre verfehlt; so rettet er sich, wie erwähnt, ge-


oder doch die eine der andern ebenbürtig machen, ist die Grundbedingung des
Stils e>füllt. Man müßte blind sein, wenn man diese Zunahme nicht erkennen
und die Möglichkeit der Belebung einer wahrhaft gesunden Kunst läugnen wollte,
die' nicht auf der Laune einzelner Fürsten oder der Feinschmeckerei sogenannter
Kunstliebhaber beruht.

Diesem steigenden Bedürfniß künstlerischer Gestaltung überall entgegenzukom¬
men, das wäre allerdings ein großes Verdienst— ein sel>r viel größeres als Biidcr-
fabriken zu organisiren. Während wir aber des Kunstuntcrrichts für Maler
mehr als zu viel haben, ist der für die Industriellen, die Handwerker, überall
noch sehr zurück, läßt unendlich viel zu wünschen übrig. Hier sind noch die
größten Fortschritte nicht nur möglich, sondern sehr nothwendig. Zunächst fehlt
es in hohem Grade- an tüchtigen Lehrern. Diese sind gegenwärtig meistens
Maler, die es nicht weit genug gebracht haben, um von ihren Bildern leben zu
können und daher sich nachträglich dem Unterricht zuwenden mußten, für welchen
aber ihre ganze Bildung in der Regel nicht angelegt war.

Was der Lehrer im Gegensatz zum Maler oder Bildhauer braucht, ist nicht
die einseitige Entwicklung einer einzelnen productiven Fähigkeit ans Kosten aller
andern, sonder» grade eine universelle Kunstbildung, wie sie auch einem mäßigen
Talente bei Fleiß und Intelligenz zu erreichen möglich ist.

Unsere dermaligen Akademien aber, denen die Bildung der Zcichncn-
lehrer in erster Linie obläge, sind dermalen mit ihren Meisterschulen nichts als
Bildcrfabriken, in welche» alles eher angestrebt wird, als den Schülern einen
Begriff vom Ganzen der Kunst, vom Zusammenhang ihrer einzelnen Theile bei¬
zubringen. Das Princip der Theilung der Arbeit, so fruchtbar in der Industrie
als nachtheilig in der Kunst, beherrsch! ganz ihren Unterricht, nur habe» daher
Landschafls-, Blumen-, Architektur-, Historien-, ja Katze!,- und Hundemaler in
Fülle, aber fast gar keine Künstler, die nur ihre eigene Kunst nach allen Rich¬
tungen übten, geschweige denn alle drei studirte» und übten, wie das zur clas¬
sischen Periode fast jeder that, und dadurch das Bewußtsein ihrer Untrcnnbarkcit,
das umfassende Stilgefühl, den erhöhten Fonnensi»» in sich ebenso lebendig
erhielt, als das Bcrständniß für den Zusammenhang mit der Industrie, der ja
vorzugsweise durch die Architektur vermittelt wird. Daß das Bild nur eine
andere Art von Wandverzierung, von Tapete ist, wie auch das Relief, daran
zu denken wird kaum je ein junger Künstler angeleitet.

Wie man heute auf der Universität gewöhnlich, anstatt die allgemeine Bil¬
dung zu fördern, nur ein Brotstudium so eilig und handwerksmäßig als mög¬
lich absolvirt, genau so geschieht es auf der Akademie, nur noch viel einseitiger,
da ein ziemlich vollständiger Untcrriehtözwang besteht, und das corrcctive nütz¬
liche Institut der Privatvvcentc» gar nicht existirt. — Hat also der Sprößling
einer solchen Anstalt seine Carrivre verfehlt; so rettet er sich, wie erwähnt, ge-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_190158/448>, abgerufen am 28.09.2024.