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Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. I. Band.

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tragen jetzt die Industrie in die Kunst und erniedrigen sie dadurch, anstatt die
Kunst in die Industrie zu tragen und diese dadurch zu heben und zu adeln.
Grade die Akademien aber sind es, denen wir diese thörichte Verkehrung deT
Verhältnisses hauptsächlich verdanken, sie haben diese beiden Factoren vollstän¬
dig von einander losgelöst, und damit beiden den eigentlichen Lebensnerv ab¬
geschnitten.

Die Kunst ist die natürliä'e Lehrmeisterin der Industrie, des Handwerks,
sie ist der ideale Theil derselben; indem man sie von ihnen loslöste, einen eigenen
Stand der Künstler erfand, was hauptsächlich durch die Akademien geschah,
setzte man sie zu einem Handwerk wie all andern herunter, und erfüllte die
Künstler mit demselben einseitigen und engherzigen nur noch viel prätentiöseren
Zunftgeist.

Es ist daher eine totale Verkennung der Aufgabe unserer Zeit, wenn man
die Anstalten, welche diese Trennung herbeigeführt, vermehrt, und damit die
Kluft immer noch erweitert. Dieselbe besteht im Gegentheil darin, die gestörte
Verbindung wieder herzustellen. Indem wir die Kunst in die Industrie wieder
einführen, erobern wir ihr erst den gesunden Boden; wenn wir wie in der
classischen Zeit der Griechen und Römer oder der Renaissance es wieder dahin
gebracht haben, daß kein Geräth des gewöhnlichsten Gebrauchs existire. welches
nicht Stil, eine künstlerisch ausgebildete Form zeige, dann werden wir erst recht
lebhaft das Bedürfniß empfinden, auch unsere Ideale zu gestalten, d. h. Kunst¬
werke zu machen und zu besitzen. So lange der Charakter unserer Industrie,
wie.bisher die Stillosigkeit bleibt, die ja nichts Anderes ist als Mangel künst¬
lerischer Durchbildung, kann ein eigentliches Bedürfniß der Kunst noch nicht
aufkommen, denn gewöhnt, das Häßliche und Disharmonische beständig um und
an sich zu haben, fühlen die Meisten natürlich auch die Leere, die durch die
Abwesenheit wirklicher Kunstwerke entsteht ganz und gar nicht, Sie begnügen
sich mit schlechten Tapeten statt Wandmalereien, mit der Kostbarkeit des Stoffes
ihrer Geräthe statt der Schönheit ihrer Form. Daher stammt denn auch die
beständige für unsern Geschmack besonders charakteristische Forderung an die Kunst,
daß sie erzähle, predige, anstatt durch die Schönheit der Erscheinung zu ent¬
zücken, welche die meisten gar nicht zu fühlen im Stande sind.

Unstreitig weicht aber dieser, durch die Verarmung infolge der langen Kriege
zu Anfange des Jahrhunderts herbeigeführte Zustand der Barbarei jetzt rasch
unen andern. Haben wir unstreitig schon länger die Kostbarkeit des Materials
fast unserer sämmtlichen Lebensbedürfnisse gesteigert, essen, kleiden, mcubliren wir
uns unendlich besser als vor fünfzig Jahren, so fängt jetzt auch das Bedürfniß
der Verzierung aller dieser Dinge an, allmälig herrschend zu werden. -- Mit
der Verzierung aber beginnt die Kunst, in dem Augenblick, in welchem wir die
Kostbarkeit des Rohmaterials durch die Schönheit der Form überall ersetzen


Grenzboten I, 1867. S6

tragen jetzt die Industrie in die Kunst und erniedrigen sie dadurch, anstatt die
Kunst in die Industrie zu tragen und diese dadurch zu heben und zu adeln.
Grade die Akademien aber sind es, denen wir diese thörichte Verkehrung deT
Verhältnisses hauptsächlich verdanken, sie haben diese beiden Factoren vollstän¬
dig von einander losgelöst, und damit beiden den eigentlichen Lebensnerv ab¬
geschnitten.

Die Kunst ist die natürliä'e Lehrmeisterin der Industrie, des Handwerks,
sie ist der ideale Theil derselben; indem man sie von ihnen loslöste, einen eigenen
Stand der Künstler erfand, was hauptsächlich durch die Akademien geschah,
setzte man sie zu einem Handwerk wie all andern herunter, und erfüllte die
Künstler mit demselben einseitigen und engherzigen nur noch viel prätentiöseren
Zunftgeist.

Es ist daher eine totale Verkennung der Aufgabe unserer Zeit, wenn man
die Anstalten, welche diese Trennung herbeigeführt, vermehrt, und damit die
Kluft immer noch erweitert. Dieselbe besteht im Gegentheil darin, die gestörte
Verbindung wieder herzustellen. Indem wir die Kunst in die Industrie wieder
einführen, erobern wir ihr erst den gesunden Boden; wenn wir wie in der
classischen Zeit der Griechen und Römer oder der Renaissance es wieder dahin
gebracht haben, daß kein Geräth des gewöhnlichsten Gebrauchs existire. welches
nicht Stil, eine künstlerisch ausgebildete Form zeige, dann werden wir erst recht
lebhaft das Bedürfniß empfinden, auch unsere Ideale zu gestalten, d. h. Kunst¬
werke zu machen und zu besitzen. So lange der Charakter unserer Industrie,
wie.bisher die Stillosigkeit bleibt, die ja nichts Anderes ist als Mangel künst¬
lerischer Durchbildung, kann ein eigentliches Bedürfniß der Kunst noch nicht
aufkommen, denn gewöhnt, das Häßliche und Disharmonische beständig um und
an sich zu haben, fühlen die Meisten natürlich auch die Leere, die durch die
Abwesenheit wirklicher Kunstwerke entsteht ganz und gar nicht, Sie begnügen
sich mit schlechten Tapeten statt Wandmalereien, mit der Kostbarkeit des Stoffes
ihrer Geräthe statt der Schönheit ihrer Form. Daher stammt denn auch die
beständige für unsern Geschmack besonders charakteristische Forderung an die Kunst,
daß sie erzähle, predige, anstatt durch die Schönheit der Erscheinung zu ent¬
zücken, welche die meisten gar nicht zu fühlen im Stande sind.

Unstreitig weicht aber dieser, durch die Verarmung infolge der langen Kriege
zu Anfange des Jahrhunderts herbeigeführte Zustand der Barbarei jetzt rasch
unen andern. Haben wir unstreitig schon länger die Kostbarkeit des Materials
fast unserer sämmtlichen Lebensbedürfnisse gesteigert, essen, kleiden, mcubliren wir
uns unendlich besser als vor fünfzig Jahren, so fängt jetzt auch das Bedürfniß
der Verzierung aller dieser Dinge an, allmälig herrschend zu werden. — Mit
der Verzierung aber beginnt die Kunst, in dem Augenblick, in welchem wir die
Kostbarkeit des Rohmaterials durch die Schönheit der Form überall ersetzen


Grenzboten I, 1867. S6
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[0447] tragen jetzt die Industrie in die Kunst und erniedrigen sie dadurch, anstatt die Kunst in die Industrie zu tragen und diese dadurch zu heben und zu adeln. Grade die Akademien aber sind es, denen wir diese thörichte Verkehrung deT Verhältnisses hauptsächlich verdanken, sie haben diese beiden Factoren vollstän¬ dig von einander losgelöst, und damit beiden den eigentlichen Lebensnerv ab¬ geschnitten. Die Kunst ist die natürliä'e Lehrmeisterin der Industrie, des Handwerks, sie ist der ideale Theil derselben; indem man sie von ihnen loslöste, einen eigenen Stand der Künstler erfand, was hauptsächlich durch die Akademien geschah, setzte man sie zu einem Handwerk wie all andern herunter, und erfüllte die Künstler mit demselben einseitigen und engherzigen nur noch viel prätentiöseren Zunftgeist. Es ist daher eine totale Verkennung der Aufgabe unserer Zeit, wenn man die Anstalten, welche diese Trennung herbeigeführt, vermehrt, und damit die Kluft immer noch erweitert. Dieselbe besteht im Gegentheil darin, die gestörte Verbindung wieder herzustellen. Indem wir die Kunst in die Industrie wieder einführen, erobern wir ihr erst den gesunden Boden; wenn wir wie in der classischen Zeit der Griechen und Römer oder der Renaissance es wieder dahin gebracht haben, daß kein Geräth des gewöhnlichsten Gebrauchs existire. welches nicht Stil, eine künstlerisch ausgebildete Form zeige, dann werden wir erst recht lebhaft das Bedürfniß empfinden, auch unsere Ideale zu gestalten, d. h. Kunst¬ werke zu machen und zu besitzen. So lange der Charakter unserer Industrie, wie.bisher die Stillosigkeit bleibt, die ja nichts Anderes ist als Mangel künst¬ lerischer Durchbildung, kann ein eigentliches Bedürfniß der Kunst noch nicht aufkommen, denn gewöhnt, das Häßliche und Disharmonische beständig um und an sich zu haben, fühlen die Meisten natürlich auch die Leere, die durch die Abwesenheit wirklicher Kunstwerke entsteht ganz und gar nicht, Sie begnügen sich mit schlechten Tapeten statt Wandmalereien, mit der Kostbarkeit des Stoffes ihrer Geräthe statt der Schönheit ihrer Form. Daher stammt denn auch die beständige für unsern Geschmack besonders charakteristische Forderung an die Kunst, daß sie erzähle, predige, anstatt durch die Schönheit der Erscheinung zu ent¬ zücken, welche die meisten gar nicht zu fühlen im Stande sind. Unstreitig weicht aber dieser, durch die Verarmung infolge der langen Kriege zu Anfange des Jahrhunderts herbeigeführte Zustand der Barbarei jetzt rasch unen andern. Haben wir unstreitig schon länger die Kostbarkeit des Materials fast unserer sämmtlichen Lebensbedürfnisse gesteigert, essen, kleiden, mcubliren wir uns unendlich besser als vor fünfzig Jahren, so fängt jetzt auch das Bedürfniß der Verzierung aller dieser Dinge an, allmälig herrschend zu werden. — Mit der Verzierung aber beginnt die Kunst, in dem Augenblick, in welchem wir die Kostbarkeit des Rohmaterials durch die Schönheit der Form überall ersetzen Grenzboten I, 1867. S6

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_190158/447>, abgerufen am 28.09.2024.