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Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. I. Band.

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dorfer Tradition genau zu untersuchen, und a. c>. O. (nach einer voraus¬
gesandten länger" Einleitung über die ältern Judenverfolgungen) darüber einen
ebenso gründlichen als schlagenden Bericht gegeben. Es ist eben eine der un¬
zähligen Geschichten von durchbohrten und blutenden Hostien, die den Mord
der dortigen Juden veranlaßt hat oder beschönigen sollte, deren allmälige Aus¬
bildung der Verfasser bis zu den neuesten im Jahr 1864 (!) "mit scheußlichen
Holzschnitten" gedruckten Wallfahrtsbüchlein verfolgt und vorgelegt hat. Er
bemerkt, daß in Deggendorf sich aus dem benachbarten Böhmen viele Czechen
einfinden, "und ihre jetzigen Heldenthaten lassen sich vielleicht eben mit dieser
Wallfahrt in einige Beziehung bringen." Wir können uns nicht versage", den
Schluß der trefflichen Abhandlung herzusetzen:

"Während andere Leute philosophische Systeme ausoachten. die nordwestliche
Durchfahrt versuchten, Planeten entdeckten, Telegraphen erfanden, Pfahlbauten
ausgruben, breiteten die Deggendorser alle Jahre von Michaelis bis Francisci
(29. September bis 4. October) ihre Arme aus, empfingen mit Freundlichkeit
die zahlreichen Schaaren der Wallfahrer, zeigten ihnen Ahle, Dorn und Hostie",
hielten einen gcwcrbsamcn Jahrmarkt, tractirtcn ihre bessern Gäste mit leichtem
Bier, mit Bvressen, Sauerkraut und Schweinshcixeln, warfen mitunter einen
Andächtigen, der sich betrunken hatte, zur Thüre hinaus, und priesen dankbar
ihre Ahnen, die durch eine heroische That nicht mehr verstandener Frömmigkeit
sowohl für die Ehre Gottes als auch zum Gedeihen ihrer Nachkommen so ver¬
dienstlich zu wirken gewußt. Im Jahre 1837 wurde das halbtauscndjährige
Jubiläum begangen .....

Wir wollen übrigens noch etwas weiter zurückgehen und anmerken, daß
sich Johann Christoph Freiherr v. Arelim in seiner Geschichte der Juden in
Bayern (1803), die obwohl in glaubensloser Zeit geschrieben, doch viel mehr
Christenthum athmet, als die jetzigen Wallfahrtsbüchlein, also vernehmen läßt:
"Daß auch eine Litanei, die voll von fanatischen Beschimpfungen der Juden
war, jährlich in Deggendorf gehalten und der Pfarrer Gotting, der sie abstellen
wollte, durch die damalige Inquisition unglücklich gemacht wurde, ist ohnehin
bekannt." Dieses ist zwar jetzt nicht mehr "ohnehin bekannt", aber wir glauben
es dem edlen Freiherrn auf sein ritterliches Wort."

Der Versasser erwähnt noch ein damals gegebenes Trauerspiel "Der Ne-
iigionscyser oder die Ausrottung der Juden in Deggendorf" und darauf bezüg¬
liche Bilder, die noch heute i" der Kirche des Dorfes Grassau am Chiemsee
sind, wo es unter dem elften Bilde wörtlich heißt: "Die Juden wurden von
denen Christen mit rechtmäßigem, Gott gefälligem Eifer ermordet und ausge-
reutet. Gott gebe, daß von diesem Höllengcschmeiß unser Vaterland bewahrt
bleibe." Der Verfasser fährt fort:

"Ich bedauere das Volk, dem solche Speise geboten wird, sagte August


dorfer Tradition genau zu untersuchen, und a. c>. O. (nach einer voraus¬
gesandten länger» Einleitung über die ältern Judenverfolgungen) darüber einen
ebenso gründlichen als schlagenden Bericht gegeben. Es ist eben eine der un¬
zähligen Geschichten von durchbohrten und blutenden Hostien, die den Mord
der dortigen Juden veranlaßt hat oder beschönigen sollte, deren allmälige Aus¬
bildung der Verfasser bis zu den neuesten im Jahr 1864 (!) „mit scheußlichen
Holzschnitten" gedruckten Wallfahrtsbüchlein verfolgt und vorgelegt hat. Er
bemerkt, daß in Deggendorf sich aus dem benachbarten Böhmen viele Czechen
einfinden, „und ihre jetzigen Heldenthaten lassen sich vielleicht eben mit dieser
Wallfahrt in einige Beziehung bringen." Wir können uns nicht versage», den
Schluß der trefflichen Abhandlung herzusetzen:

„Während andere Leute philosophische Systeme ausoachten. die nordwestliche
Durchfahrt versuchten, Planeten entdeckten, Telegraphen erfanden, Pfahlbauten
ausgruben, breiteten die Deggendorser alle Jahre von Michaelis bis Francisci
(29. September bis 4. October) ihre Arme aus, empfingen mit Freundlichkeit
die zahlreichen Schaaren der Wallfahrer, zeigten ihnen Ahle, Dorn und Hostie»,
hielten einen gcwcrbsamcn Jahrmarkt, tractirtcn ihre bessern Gäste mit leichtem
Bier, mit Bvressen, Sauerkraut und Schweinshcixeln, warfen mitunter einen
Andächtigen, der sich betrunken hatte, zur Thüre hinaus, und priesen dankbar
ihre Ahnen, die durch eine heroische That nicht mehr verstandener Frömmigkeit
sowohl für die Ehre Gottes als auch zum Gedeihen ihrer Nachkommen so ver¬
dienstlich zu wirken gewußt. Im Jahre 1837 wurde das halbtauscndjährige
Jubiläum begangen .....

Wir wollen übrigens noch etwas weiter zurückgehen und anmerken, daß
sich Johann Christoph Freiherr v. Arelim in seiner Geschichte der Juden in
Bayern (1803), die obwohl in glaubensloser Zeit geschrieben, doch viel mehr
Christenthum athmet, als die jetzigen Wallfahrtsbüchlein, also vernehmen läßt:
„Daß auch eine Litanei, die voll von fanatischen Beschimpfungen der Juden
war, jährlich in Deggendorf gehalten und der Pfarrer Gotting, der sie abstellen
wollte, durch die damalige Inquisition unglücklich gemacht wurde, ist ohnehin
bekannt." Dieses ist zwar jetzt nicht mehr „ohnehin bekannt", aber wir glauben
es dem edlen Freiherrn auf sein ritterliches Wort."

Der Versasser erwähnt noch ein damals gegebenes Trauerspiel „Der Ne-
iigionscyser oder die Ausrottung der Juden in Deggendorf" und darauf bezüg¬
liche Bilder, die noch heute i» der Kirche des Dorfes Grassau am Chiemsee
sind, wo es unter dem elften Bilde wörtlich heißt: „Die Juden wurden von
denen Christen mit rechtmäßigem, Gott gefälligem Eifer ermordet und ausge-
reutet. Gott gebe, daß von diesem Höllengcschmeiß unser Vaterland bewahrt
bleibe." Der Verfasser fährt fort:

„Ich bedauere das Volk, dem solche Speise geboten wird, sagte August


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[0044] dorfer Tradition genau zu untersuchen, und a. c>. O. (nach einer voraus¬ gesandten länger» Einleitung über die ältern Judenverfolgungen) darüber einen ebenso gründlichen als schlagenden Bericht gegeben. Es ist eben eine der un¬ zähligen Geschichten von durchbohrten und blutenden Hostien, die den Mord der dortigen Juden veranlaßt hat oder beschönigen sollte, deren allmälige Aus¬ bildung der Verfasser bis zu den neuesten im Jahr 1864 (!) „mit scheußlichen Holzschnitten" gedruckten Wallfahrtsbüchlein verfolgt und vorgelegt hat. Er bemerkt, daß in Deggendorf sich aus dem benachbarten Böhmen viele Czechen einfinden, „und ihre jetzigen Heldenthaten lassen sich vielleicht eben mit dieser Wallfahrt in einige Beziehung bringen." Wir können uns nicht versage», den Schluß der trefflichen Abhandlung herzusetzen: „Während andere Leute philosophische Systeme ausoachten. die nordwestliche Durchfahrt versuchten, Planeten entdeckten, Telegraphen erfanden, Pfahlbauten ausgruben, breiteten die Deggendorser alle Jahre von Michaelis bis Francisci (29. September bis 4. October) ihre Arme aus, empfingen mit Freundlichkeit die zahlreichen Schaaren der Wallfahrer, zeigten ihnen Ahle, Dorn und Hostie», hielten einen gcwcrbsamcn Jahrmarkt, tractirtcn ihre bessern Gäste mit leichtem Bier, mit Bvressen, Sauerkraut und Schweinshcixeln, warfen mitunter einen Andächtigen, der sich betrunken hatte, zur Thüre hinaus, und priesen dankbar ihre Ahnen, die durch eine heroische That nicht mehr verstandener Frömmigkeit sowohl für die Ehre Gottes als auch zum Gedeihen ihrer Nachkommen so ver¬ dienstlich zu wirken gewußt. Im Jahre 1837 wurde das halbtauscndjährige Jubiläum begangen ..... Wir wollen übrigens noch etwas weiter zurückgehen und anmerken, daß sich Johann Christoph Freiherr v. Arelim in seiner Geschichte der Juden in Bayern (1803), die obwohl in glaubensloser Zeit geschrieben, doch viel mehr Christenthum athmet, als die jetzigen Wallfahrtsbüchlein, also vernehmen läßt: „Daß auch eine Litanei, die voll von fanatischen Beschimpfungen der Juden war, jährlich in Deggendorf gehalten und der Pfarrer Gotting, der sie abstellen wollte, durch die damalige Inquisition unglücklich gemacht wurde, ist ohnehin bekannt." Dieses ist zwar jetzt nicht mehr „ohnehin bekannt", aber wir glauben es dem edlen Freiherrn auf sein ritterliches Wort." Der Versasser erwähnt noch ein damals gegebenes Trauerspiel „Der Ne- iigionscyser oder die Ausrottung der Juden in Deggendorf" und darauf bezüg¬ liche Bilder, die noch heute i» der Kirche des Dorfes Grassau am Chiemsee sind, wo es unter dem elften Bilde wörtlich heißt: „Die Juden wurden von denen Christen mit rechtmäßigem, Gott gefälligem Eifer ermordet und ausge- reutet. Gott gebe, daß von diesem Höllengcschmeiß unser Vaterland bewahrt bleibe." Der Verfasser fährt fort: „Ich bedauere das Volk, dem solche Speise geboten wird, sagte August

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_190158/44>, abgerufen am 22.07.2024.