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Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. I. Band.

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Concurrenz beschränkt waren, der^ Judenhaß immer neue Nahrung gewann,
ist selbstverständlich, und die periodisch eintretenden, durch das ganze spätere
Mittelalter sich Hinzichenden Judenverfolgungen waren die unausbleiblichen
Folgen dieses Hasses.

Ueber die Judenverfolgungen ist der Verfasser mit Recht kurz gewesen; es
ist ebenso ermüdend als widerwärtig, die zahllosen, wesentlich in der Regel
dasselbe enthaltenden Berichte darüber der Reihe nach zu lesen. "Es bietet kein
eigentliches Interesse dar, zu verfolgen, wie überall in allen Gegenden Deutsch¬
lands und der gesammten christlichen Welt immer dieselben Gräuel von den
Landesherrn, der Geistlichkeit und dem Pöbel begangen werden, wie immer
dieselbe" Vorwürfe, welche ebenso wie die Anschuldigungen, denen in den Hexen¬
processen Tausende zum Opfer fielen, das beklagenswerthe Erzeugnis; unglaub¬
licher Dummheit und abgefeimter Bosheit sind, gesucht und gefunden werden,
um das unglückliche Volk zu peinigen und zu martern." Doch hat der Verfasser
ein gewiß sehr vollständiges Verzeichnis; der bekannten Judenverfolgungen (von
denen nur sehr wenige der Zeit vor den Kreuzzügen angehören) gegeben.

Der Versasser sagt in der Lorrede, an die neuesten Judenkrawalle in Böhmen
erinnernd, daß die Juden, wenn der Staat sie nicht schützte, noch immer der
Mißhandlung des Pöbels ausgesetzt sein würden. Er hätte hinzufügen können,
daß der rohe Judenhaß des Pöbels an manchen Orten Deutschlands sogar ge¬
flissentlich genährt und gereizt wird. Die Augsburger Allg. Zeitun.g brachte im
April d. I. in ihren Beilagen (Ur. 102--109) eine Reihe von Artikeln unter
der Ueberschrift "Der Judenmord zu Deggendorf", aus der liebenswürdigen
Feder L. Steubs, eine Erholung für die Leser dieser Blätter, die jetzt bekannt¬
lich meist mit dilettantischem oder tendenziösem Geschwätz, mit Anzeigen von
Büchern wie die "Geheimnisse des sächsischen Cabinets" und selbst die "Hohen-
zollernkönige von Venanz Müller", mit giftigen Ausbrüchen noch mehr der
Preußenfurcht als des Preußenhasses und mit ("nicht für die er-rpuls geschriebe¬
nen") Präconisirungen des großen Beust und der übrigen mittelstaatlichen Staats-
männer, der edeln, echt christlichen Landesmutter Karoline von Neuß ältere Linie
u. dergl. gefüllt werden. Steub hatte einmal von dem großen Judenmord in
Deggendorf an der Donau (1337) gesprochen, der jetzt noch durch Processionen,
Wallfahrten, Predigten und Ablässe gefeiert werde. Hierauf erfolgte (A. A. Z.
21. Januar) eine Berichtigung. "Was zu Deggendorf gefeiert werde , sei nicht
der angebliche "große Judenmord", sondern das große Wunder, durch welches
Gott vor 500 Jahren das katholische Dogma von der heiligen Eucharistie in
augenfälliger Weise zu documentiren und zu verherrlichen gewürdigt, seien die
consecrirten Hostien, welche jüdische Wuth und Verblendung in schmählichster
und schrecklichster Weise mißbraucht, die aber bis zur Stunde noch ganz unver¬
sehrt erhalten seien." Steub hat sich nun die Mühe genommen, die deggen-


Grcnzboten I. 18ö7, 3

Concurrenz beschränkt waren, der^ Judenhaß immer neue Nahrung gewann,
ist selbstverständlich, und die periodisch eintretenden, durch das ganze spätere
Mittelalter sich Hinzichenden Judenverfolgungen waren die unausbleiblichen
Folgen dieses Hasses.

Ueber die Judenverfolgungen ist der Verfasser mit Recht kurz gewesen; es
ist ebenso ermüdend als widerwärtig, die zahllosen, wesentlich in der Regel
dasselbe enthaltenden Berichte darüber der Reihe nach zu lesen. „Es bietet kein
eigentliches Interesse dar, zu verfolgen, wie überall in allen Gegenden Deutsch¬
lands und der gesammten christlichen Welt immer dieselben Gräuel von den
Landesherrn, der Geistlichkeit und dem Pöbel begangen werden, wie immer
dieselbe» Vorwürfe, welche ebenso wie die Anschuldigungen, denen in den Hexen¬
processen Tausende zum Opfer fielen, das beklagenswerthe Erzeugnis; unglaub¬
licher Dummheit und abgefeimter Bosheit sind, gesucht und gefunden werden,
um das unglückliche Volk zu peinigen und zu martern." Doch hat der Verfasser
ein gewiß sehr vollständiges Verzeichnis; der bekannten Judenverfolgungen (von
denen nur sehr wenige der Zeit vor den Kreuzzügen angehören) gegeben.

Der Versasser sagt in der Lorrede, an die neuesten Judenkrawalle in Böhmen
erinnernd, daß die Juden, wenn der Staat sie nicht schützte, noch immer der
Mißhandlung des Pöbels ausgesetzt sein würden. Er hätte hinzufügen können,
daß der rohe Judenhaß des Pöbels an manchen Orten Deutschlands sogar ge¬
flissentlich genährt und gereizt wird. Die Augsburger Allg. Zeitun.g brachte im
April d. I. in ihren Beilagen (Ur. 102—109) eine Reihe von Artikeln unter
der Ueberschrift „Der Judenmord zu Deggendorf", aus der liebenswürdigen
Feder L. Steubs, eine Erholung für die Leser dieser Blätter, die jetzt bekannt¬
lich meist mit dilettantischem oder tendenziösem Geschwätz, mit Anzeigen von
Büchern wie die „Geheimnisse des sächsischen Cabinets" und selbst die „Hohen-
zollernkönige von Venanz Müller", mit giftigen Ausbrüchen noch mehr der
Preußenfurcht als des Preußenhasses und mit („nicht für die er-rpuls geschriebe¬
nen") Präconisirungen des großen Beust und der übrigen mittelstaatlichen Staats-
männer, der edeln, echt christlichen Landesmutter Karoline von Neuß ältere Linie
u. dergl. gefüllt werden. Steub hatte einmal von dem großen Judenmord in
Deggendorf an der Donau (1337) gesprochen, der jetzt noch durch Processionen,
Wallfahrten, Predigten und Ablässe gefeiert werde. Hierauf erfolgte (A. A. Z.
21. Januar) eine Berichtigung. „Was zu Deggendorf gefeiert werde , sei nicht
der angebliche „große Judenmord", sondern das große Wunder, durch welches
Gott vor 500 Jahren das katholische Dogma von der heiligen Eucharistie in
augenfälliger Weise zu documentiren und zu verherrlichen gewürdigt, seien die
consecrirten Hostien, welche jüdische Wuth und Verblendung in schmählichster
und schrecklichster Weise mißbraucht, die aber bis zur Stunde noch ganz unver¬
sehrt erhalten seien." Steub hat sich nun die Mühe genommen, die deggen-


Grcnzboten I. 18ö7, 3
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_190158/43>, abgerufen am 03.07.2024.