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Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. I. Band.

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wohl zugestehen müssen, daß ihre Ansprüche auf staatliche und nationale Son¬
derung nicht so gut begründet sind, als diejenigen der Deutschen des damaligen
polnischen Preußen. Sie werden es also billig finden, daß der norddeutsche
Reichstag im Jahre 1867 und der König Wilhelm von Preußen sich nach dem
Beispiel des lubliner Reichstages und des Königs Sigismund August von Polen
richten, indem es ihnen auch freigestellt bleibt, gleichfalls nach dem Muster der
Preußen von 1569 Protest abzufassen.

Wenn sie durchaus "Polen" bleiben wollen, so ist es ihnen außerdem nach
wie vor gestattet. Die Preußen wollten 1S69 auch Deutsche bleiben, es wurde
ihnen aber nicht gestattet. Wie schwach es mit den heutigen nationalen An¬
sprüchen der Polen auf Westpreußen bestellt ist, tritt außerdem noch hell zu
Tage. Es gehört viel ritterlicher Muth dazu, sich über diese geschichtliche Rechts--"
läge hinwegzusetzen.

Man würde übrigens den Polen Unrecht thun, wenn man annähme, daß
sie blos den Deutschen gegenüber so rechtsverachtcnd sich benommen hätten,
vielleicht weil sie von jeher von deren überlegener Cultur Gefahr für ihre
Nationalität gefürchtet hätten und ihr durch deren Unterdrückung -- sie fand
auch anderweitig, besonders in den Städten durch das ganze Reich statt -- vor¬
beugen wollten. Man höre nur, welche Beschwerden die stammverwandten Russen
aus der Geschichte gegen sie vorbringen; diese bedrohte" jenes Kleinod jedenfalls
nicht durch überlegene Cultur.

Von ihrem Verhältniß zu den Lithauern, einem kaum blutsverwandten, aber
im Charakter ähnlichen Volke, welches gleichfalls ihre Nationalität nicht bedrohte^,
sprechen wir "och etwas genauer. AIs ihr Großfürst Iagello 1386 zum Könige
Von Polen erwählt wurde, besaß ihr Reich wohl de" dreifachen Umfang des
polnischen, von welchem damals noch Masowien mit Warschau getrennt war.
Der Vortheil für die Polen war also höchst bedeutend, als eine Vereinigung
beider unter folgende" Bedingungen geschlossen wurde: 1) sollten beide nnr
durch Personalunion mit einander verbunden sein, 2) wurde ein Schutz- und
Trutzbündniß zwischen ihnen geschlossen, 3) sollten Landtag. Regierung. Heer
getrennt bleiben, kein Pole in Lithauen, kein Lithauer in Polen ein Amt er¬
halten. Allein die Polen begnügen sich mit diesem Vortheil nicht. We"n die
Lithauer und die von ihnen abhängigen Weiß- und Klenrrusscn mit ihnen ganz
Erschmolzen wurden. war der Vortheil für sie doch noch größer; folglich wurde
"lsbald mit allen Kräften darauf hingearbeitet. Die Lithauer widerstrebten zwar
ebenso standhaft und beriefen sich auf das Verlagsrecht. Aber was hatte das
Vertragsrecht für einen Werth? Sie sollten ja dafür viel mehr erhalten, sie
sollten -- Polen werden. Bei den griechisch-katholischen Lithauern, und allen
Bussen machten sich die Polen daneben noch immerwährend durch die Verfolgung
und Bedrückung der orthodoxen Kirche verhaßt. Allein sie hatten einmal das.


wohl zugestehen müssen, daß ihre Ansprüche auf staatliche und nationale Son¬
derung nicht so gut begründet sind, als diejenigen der Deutschen des damaligen
polnischen Preußen. Sie werden es also billig finden, daß der norddeutsche
Reichstag im Jahre 1867 und der König Wilhelm von Preußen sich nach dem
Beispiel des lubliner Reichstages und des Königs Sigismund August von Polen
richten, indem es ihnen auch freigestellt bleibt, gleichfalls nach dem Muster der
Preußen von 1569 Protest abzufassen.

Wenn sie durchaus „Polen" bleiben wollen, so ist es ihnen außerdem nach
wie vor gestattet. Die Preußen wollten 1S69 auch Deutsche bleiben, es wurde
ihnen aber nicht gestattet. Wie schwach es mit den heutigen nationalen An¬
sprüchen der Polen auf Westpreußen bestellt ist, tritt außerdem noch hell zu
Tage. Es gehört viel ritterlicher Muth dazu, sich über diese geschichtliche Rechts--"
läge hinwegzusetzen.

Man würde übrigens den Polen Unrecht thun, wenn man annähme, daß
sie blos den Deutschen gegenüber so rechtsverachtcnd sich benommen hätten,
vielleicht weil sie von jeher von deren überlegener Cultur Gefahr für ihre
Nationalität gefürchtet hätten und ihr durch deren Unterdrückung — sie fand
auch anderweitig, besonders in den Städten durch das ganze Reich statt — vor¬
beugen wollten. Man höre nur, welche Beschwerden die stammverwandten Russen
aus der Geschichte gegen sie vorbringen; diese bedrohte» jenes Kleinod jedenfalls
nicht durch überlegene Cultur.

Von ihrem Verhältniß zu den Lithauern, einem kaum blutsverwandten, aber
im Charakter ähnlichen Volke, welches gleichfalls ihre Nationalität nicht bedrohte^,
sprechen wir »och etwas genauer. AIs ihr Großfürst Iagello 1386 zum Könige
Von Polen erwählt wurde, besaß ihr Reich wohl de» dreifachen Umfang des
polnischen, von welchem damals noch Masowien mit Warschau getrennt war.
Der Vortheil für die Polen war also höchst bedeutend, als eine Vereinigung
beider unter folgende» Bedingungen geschlossen wurde: 1) sollten beide nnr
durch Personalunion mit einander verbunden sein, 2) wurde ein Schutz- und
Trutzbündniß zwischen ihnen geschlossen, 3) sollten Landtag. Regierung. Heer
getrennt bleiben, kein Pole in Lithauen, kein Lithauer in Polen ein Amt er¬
halten. Allein die Polen begnügen sich mit diesem Vortheil nicht. We»n die
Lithauer und die von ihnen abhängigen Weiß- und Klenrrusscn mit ihnen ganz
Erschmolzen wurden. war der Vortheil für sie doch noch größer; folglich wurde
"lsbald mit allen Kräften darauf hingearbeitet. Die Lithauer widerstrebten zwar
ebenso standhaft und beriefen sich auf das Verlagsrecht. Aber was hatte das
Vertragsrecht für einen Werth? Sie sollten ja dafür viel mehr erhalten, sie
sollten — Polen werden. Bei den griechisch-katholischen Lithauern, und allen
Bussen machten sich die Polen daneben noch immerwährend durch die Verfolgung
und Bedrückung der orthodoxen Kirche verhaßt. Allein sie hatten einmal das.


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[0429] wohl zugestehen müssen, daß ihre Ansprüche auf staatliche und nationale Son¬ derung nicht so gut begründet sind, als diejenigen der Deutschen des damaligen polnischen Preußen. Sie werden es also billig finden, daß der norddeutsche Reichstag im Jahre 1867 und der König Wilhelm von Preußen sich nach dem Beispiel des lubliner Reichstages und des Königs Sigismund August von Polen richten, indem es ihnen auch freigestellt bleibt, gleichfalls nach dem Muster der Preußen von 1569 Protest abzufassen. Wenn sie durchaus „Polen" bleiben wollen, so ist es ihnen außerdem nach wie vor gestattet. Die Preußen wollten 1S69 auch Deutsche bleiben, es wurde ihnen aber nicht gestattet. Wie schwach es mit den heutigen nationalen An¬ sprüchen der Polen auf Westpreußen bestellt ist, tritt außerdem noch hell zu Tage. Es gehört viel ritterlicher Muth dazu, sich über diese geschichtliche Rechts--" läge hinwegzusetzen. Man würde übrigens den Polen Unrecht thun, wenn man annähme, daß sie blos den Deutschen gegenüber so rechtsverachtcnd sich benommen hätten, vielleicht weil sie von jeher von deren überlegener Cultur Gefahr für ihre Nationalität gefürchtet hätten und ihr durch deren Unterdrückung — sie fand auch anderweitig, besonders in den Städten durch das ganze Reich statt — vor¬ beugen wollten. Man höre nur, welche Beschwerden die stammverwandten Russen aus der Geschichte gegen sie vorbringen; diese bedrohte» jenes Kleinod jedenfalls nicht durch überlegene Cultur. Von ihrem Verhältniß zu den Lithauern, einem kaum blutsverwandten, aber im Charakter ähnlichen Volke, welches gleichfalls ihre Nationalität nicht bedrohte^, sprechen wir »och etwas genauer. AIs ihr Großfürst Iagello 1386 zum Könige Von Polen erwählt wurde, besaß ihr Reich wohl de» dreifachen Umfang des polnischen, von welchem damals noch Masowien mit Warschau getrennt war. Der Vortheil für die Polen war also höchst bedeutend, als eine Vereinigung beider unter folgende» Bedingungen geschlossen wurde: 1) sollten beide nnr durch Personalunion mit einander verbunden sein, 2) wurde ein Schutz- und Trutzbündniß zwischen ihnen geschlossen, 3) sollten Landtag. Regierung. Heer getrennt bleiben, kein Pole in Lithauen, kein Lithauer in Polen ein Amt er¬ halten. Allein die Polen begnügen sich mit diesem Vortheil nicht. We»n die Lithauer und die von ihnen abhängigen Weiß- und Klenrrusscn mit ihnen ganz Erschmolzen wurden. war der Vortheil für sie doch noch größer; folglich wurde "lsbald mit allen Kräften darauf hingearbeitet. Die Lithauer widerstrebten zwar ebenso standhaft und beriefen sich auf das Verlagsrecht. Aber was hatte das Vertragsrecht für einen Werth? Sie sollten ja dafür viel mehr erhalten, sie sollten — Polen werden. Bei den griechisch-katholischen Lithauern, und allen Bussen machten sich die Polen daneben noch immerwährend durch die Verfolgung und Bedrückung der orthodoxen Kirche verhaßt. Allein sie hatten einmal das.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_190158/429>, abgerufen am 22.12.2024.