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Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. I. Band.

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zur Beisteuer nicht verpflichtet, weil der König ihn "ohne Einrath der Stande
unternommen". Unter diesen und anderen Bedingungen sollte Preußen "auf
ewige Zeiten mit der Krone von Polen" vereinigt werden. Daß es' aber nicht
zum Königreich Polen gehörte, erhellt auch daraus, daß Kasimir neben dem
Königstitel von dem^ Tage an auch, denjenigen eines "Herrn von Preußen"
annahm.

Es liegt auf der Hand, daß die Bedingungen und Umstände, unter welchen
Westpreußen 1454 an Polen kam, ganz andere waren als diejenigen, unter
denen es 1772 und Posen 1813 mit dem Königreich Preußen vereinigt wurde/
Bedingungen gab es in den beiden letzten Fällen eigentlich gar keine; denn die
Könige von Preußen waren damals unumschränkt, und ihre neuen Unterthanen,
deren Herrschaft sie ausschließlich ihrer eigenen Waffengewalt verdankten, konnten
daher noch weniger politische und nationale Sonderrechte beanspruchen, als ihre
alten Unterthanen keine besaßen. Der wiener Kongreß namentlich, welcher eine
Einigung über den Besitz der Länder, die gemeinsam erobert worden waren, zu
Stande brachte, hat Posen so gut wie die Rheinlands und die sächsischen Ge¬
biete dem Könige Friedrich Wilhelm dem Dritten als unumschränktem Souverän
überlassen. Am wenigsten waren die Polen als Besiegte im Stande, ihm Be¬
dingungen ihrer Unterwerfung zu stellen. Dieses war aber bei den Preußen
dem Könige von Polen gegenüber der Fall. Sie waren keineswegs von den
Polen mit den Waffen in der Hand unterworfen worden, sondern mußten sich
ihre Unabhängigkeit vom Orden unter geringer Beihilfe der Polen mit eigenem
Blut und Gut erkämpfen; sie verhandelten mit Kasimir auf gleichem Fuße als
freie Männer und kamen mit ihm in einem Vertrage überein, nach welchem sie,
einen abgesonderten deutschen Staat bildeten, welcher nur durch Personalunion
mit Polen verbunden war. v

Es liegt aber ebenso sehr auf der Hand, daß der Bertrag für die Polen
unvorteilhaft und unbequem war -- ebenso unvortheilhaft und unbequem als
es für Preußen im Jahre 1867 sein würde, wenn es Posen und Westpreußen
außerhalb des norddeutschen Bundes belassen und nur durch Personalunion mit
dem Staatskörper vorbinden müßte. Wenn ein Volk vortheilhafte Verträge'
hält, so kann es sich daraus kein Verdienst machen. Das Verdienst, welches
Dank und Vergeltung in späten Tagen erheischt, sängt erst da an, wo der Nach"
theil beginnt. Wie herrlich würde es jetzt den Polen zu Statten kommen,
wenn sie bei ihren Forderungen, daß die polnische Sprache in Posen (sie ver¬
langen es freilich auch in Westpreußen) die herrschende bleibe, alle Aemter dort
mit Eingeborenen besetzt werden, die Provinz eine selbständiger Staat werden
soll, nachweisen, könnten, daß ihre Vorfahren in Lithauen, Weiß-, Noth- und
Kleinrußland, Westpreußen, Livland u. s. f. ebenso verfahren sind, obgleich sie
davon großen Nachtheil gehabt hätten. Allein wie verhielt es sich, ,um von


zur Beisteuer nicht verpflichtet, weil der König ihn „ohne Einrath der Stande
unternommen". Unter diesen und anderen Bedingungen sollte Preußen „auf
ewige Zeiten mit der Krone von Polen" vereinigt werden. Daß es' aber nicht
zum Königreich Polen gehörte, erhellt auch daraus, daß Kasimir neben dem
Königstitel von dem^ Tage an auch, denjenigen eines „Herrn von Preußen"
annahm.

Es liegt auf der Hand, daß die Bedingungen und Umstände, unter welchen
Westpreußen 1454 an Polen kam, ganz andere waren als diejenigen, unter
denen es 1772 und Posen 1813 mit dem Königreich Preußen vereinigt wurde/
Bedingungen gab es in den beiden letzten Fällen eigentlich gar keine; denn die
Könige von Preußen waren damals unumschränkt, und ihre neuen Unterthanen,
deren Herrschaft sie ausschließlich ihrer eigenen Waffengewalt verdankten, konnten
daher noch weniger politische und nationale Sonderrechte beanspruchen, als ihre
alten Unterthanen keine besaßen. Der wiener Kongreß namentlich, welcher eine
Einigung über den Besitz der Länder, die gemeinsam erobert worden waren, zu
Stande brachte, hat Posen so gut wie die Rheinlands und die sächsischen Ge¬
biete dem Könige Friedrich Wilhelm dem Dritten als unumschränktem Souverän
überlassen. Am wenigsten waren die Polen als Besiegte im Stande, ihm Be¬
dingungen ihrer Unterwerfung zu stellen. Dieses war aber bei den Preußen
dem Könige von Polen gegenüber der Fall. Sie waren keineswegs von den
Polen mit den Waffen in der Hand unterworfen worden, sondern mußten sich
ihre Unabhängigkeit vom Orden unter geringer Beihilfe der Polen mit eigenem
Blut und Gut erkämpfen; sie verhandelten mit Kasimir auf gleichem Fuße als
freie Männer und kamen mit ihm in einem Vertrage überein, nach welchem sie,
einen abgesonderten deutschen Staat bildeten, welcher nur durch Personalunion
mit Polen verbunden war. v

Es liegt aber ebenso sehr auf der Hand, daß der Bertrag für die Polen
unvorteilhaft und unbequem war — ebenso unvortheilhaft und unbequem als
es für Preußen im Jahre 1867 sein würde, wenn es Posen und Westpreußen
außerhalb des norddeutschen Bundes belassen und nur durch Personalunion mit
dem Staatskörper vorbinden müßte. Wenn ein Volk vortheilhafte Verträge'
hält, so kann es sich daraus kein Verdienst machen. Das Verdienst, welches
Dank und Vergeltung in späten Tagen erheischt, sängt erst da an, wo der Nach«
theil beginnt. Wie herrlich würde es jetzt den Polen zu Statten kommen,
wenn sie bei ihren Forderungen, daß die polnische Sprache in Posen (sie ver¬
langen es freilich auch in Westpreußen) die herrschende bleibe, alle Aemter dort
mit Eingeborenen besetzt werden, die Provinz eine selbständiger Staat werden
soll, nachweisen, könnten, daß ihre Vorfahren in Lithauen, Weiß-, Noth- und
Kleinrußland, Westpreußen, Livland u. s. f. ebenso verfahren sind, obgleich sie
davon großen Nachtheil gehabt hätten. Allein wie verhielt es sich, ,um von


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[0426] zur Beisteuer nicht verpflichtet, weil der König ihn „ohne Einrath der Stande unternommen". Unter diesen und anderen Bedingungen sollte Preußen „auf ewige Zeiten mit der Krone von Polen" vereinigt werden. Daß es' aber nicht zum Königreich Polen gehörte, erhellt auch daraus, daß Kasimir neben dem Königstitel von dem^ Tage an auch, denjenigen eines „Herrn von Preußen" annahm. Es liegt auf der Hand, daß die Bedingungen und Umstände, unter welchen Westpreußen 1454 an Polen kam, ganz andere waren als diejenigen, unter denen es 1772 und Posen 1813 mit dem Königreich Preußen vereinigt wurde/ Bedingungen gab es in den beiden letzten Fällen eigentlich gar keine; denn die Könige von Preußen waren damals unumschränkt, und ihre neuen Unterthanen, deren Herrschaft sie ausschließlich ihrer eigenen Waffengewalt verdankten, konnten daher noch weniger politische und nationale Sonderrechte beanspruchen, als ihre alten Unterthanen keine besaßen. Der wiener Kongreß namentlich, welcher eine Einigung über den Besitz der Länder, die gemeinsam erobert worden waren, zu Stande brachte, hat Posen so gut wie die Rheinlands und die sächsischen Ge¬ biete dem Könige Friedrich Wilhelm dem Dritten als unumschränktem Souverän überlassen. Am wenigsten waren die Polen als Besiegte im Stande, ihm Be¬ dingungen ihrer Unterwerfung zu stellen. Dieses war aber bei den Preußen dem Könige von Polen gegenüber der Fall. Sie waren keineswegs von den Polen mit den Waffen in der Hand unterworfen worden, sondern mußten sich ihre Unabhängigkeit vom Orden unter geringer Beihilfe der Polen mit eigenem Blut und Gut erkämpfen; sie verhandelten mit Kasimir auf gleichem Fuße als freie Männer und kamen mit ihm in einem Vertrage überein, nach welchem sie, einen abgesonderten deutschen Staat bildeten, welcher nur durch Personalunion mit Polen verbunden war. v Es liegt aber ebenso sehr auf der Hand, daß der Bertrag für die Polen unvorteilhaft und unbequem war — ebenso unvortheilhaft und unbequem als es für Preußen im Jahre 1867 sein würde, wenn es Posen und Westpreußen außerhalb des norddeutschen Bundes belassen und nur durch Personalunion mit dem Staatskörper vorbinden müßte. Wenn ein Volk vortheilhafte Verträge' hält, so kann es sich daraus kein Verdienst machen. Das Verdienst, welches Dank und Vergeltung in späten Tagen erheischt, sängt erst da an, wo der Nach« theil beginnt. Wie herrlich würde es jetzt den Polen zu Statten kommen, wenn sie bei ihren Forderungen, daß die polnische Sprache in Posen (sie ver¬ langen es freilich auch in Westpreußen) die herrschende bleibe, alle Aemter dort mit Eingeborenen besetzt werden, die Provinz eine selbständiger Staat werden soll, nachweisen, könnten, daß ihre Vorfahren in Lithauen, Weiß-, Noth- und Kleinrußland, Westpreußen, Livland u. s. f. ebenso verfahren sind, obgleich sie davon großen Nachtheil gehabt hätten. Allein wie verhielt es sich, ,um von

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_190158/426>, abgerufen am 27.09.2024.