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Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. I. Band.

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Zwei deutsche Staatshandvncher.

Es ist ein.deutschemMythus, daß der Kleinstaat nicht nur der "Hort der
Freiheit" ist, wie sich die großdeutschen Demokraten am Nesenvacb auszudrücken
belieben, sondern auch der Sitz der Cultur, die Pflegestätte der Kunst und
Wissenschaft. Weit entfernt die großen Verdienste zu bestreikn, welche sich
etliche deutsche Kleinfürsten um Kunst und Literatur erworben haben, glauben
wir dock, daß dies einzelnen hervorragenden Persönlichkeiten, aber ganz gewiß
nicht dem Zwergstaate als solchem anzurechnen ist. Wenigstens möchten wir
durch nachstehende Mittheilungen Veranlassung geben, daß die Frage, ob denn
wirklich der deutsche Kleinstaat der Träger der deutschen Cultur sei, oder an der
Spitze der Civilisation marschire. einer nochmaligen Prüfung unterzogen werde.
Wir wollen bei unserer Darstellung ausschließlich officielle Quellen benutzen;
unsrem Respect vor denselben mag es zu gut gehalten werden, wenn wir dabei
auf Einzelnes, was bereits früher angedeutet worden, ausführlicher zurück¬
kommen. Vor uns liegt nämlich erstens das "Hof. und Staatshandbuch des
Großherzogthums Hessen für 1866 (Darmstadt, im Verlag der Jnvalidenan-
stalt") und zweitens "das Staats- und Adreßhandbuch des Herzogthums
Nassau für das Jahr 1866 (Wiesbaden. A. Steiner".) beide mit äußerster Ele¬
ganz ausgestattet und auf dem Titelblatt mit Wappenlöwen geziert, welche letz¬
tere sich dadurch von einander unterscheiden, daß der nassauische Löwe nur einen
Schwanz hat, während der Hessen-darmstädtische deren zwei führt.

Wir möchten bei dieser Gelegenheit alle diejenigen, welchen es obliegt,
historische Denkmale und Urkunden der Gegenwart zu sammeln, damit sie von
den Geschichtsforschern und -Schreibern der Zukunft benutzt werden, auf die
ungemeine Wichtigkeit dieser "Handbücher" aufmerksam machen. Sie sind Mo¬
numente, welche sich der Kleinstaat selber gesetzt hat und welche verdienen "irors
ZMerwius" zu sein. Denn sie liefern die officiellen und authentischen Beweise
für Personen, Dinge und Zustände, welche in hundert Jahren kein Mensch mehr
wird glauben wollen, wenn man sie ihm nicht Schwarz auf Weiß belegen kann^
Deshalb rathen wir dringend, diese dereinst gewiß sehr gesuchten Fundgruben
deutscher Antiquitäten und Curiositäten den öffentlichen Bibliotheken einzuver¬
leiben. Das nassauische "Staats- und Adreßhandbuch" für 1866 ist zudem das
letzte seines Geschlechts und verdient deshalb nicht geringere Aufmerksamkeit,
wie weiland der Letzte der Mohikaner. Es wäre Schade, wenn dergleichen in
die Krambuden und Käseläden wanderte.

Das Namensverzeichniß des nassauischen "Handbuchs" weist nicht weniger


Zwei deutsche Staatshandvncher.

Es ist ein.deutschemMythus, daß der Kleinstaat nicht nur der „Hort der
Freiheit" ist, wie sich die großdeutschen Demokraten am Nesenvacb auszudrücken
belieben, sondern auch der Sitz der Cultur, die Pflegestätte der Kunst und
Wissenschaft. Weit entfernt die großen Verdienste zu bestreikn, welche sich
etliche deutsche Kleinfürsten um Kunst und Literatur erworben haben, glauben
wir dock, daß dies einzelnen hervorragenden Persönlichkeiten, aber ganz gewiß
nicht dem Zwergstaate als solchem anzurechnen ist. Wenigstens möchten wir
durch nachstehende Mittheilungen Veranlassung geben, daß die Frage, ob denn
wirklich der deutsche Kleinstaat der Träger der deutschen Cultur sei, oder an der
Spitze der Civilisation marschire. einer nochmaligen Prüfung unterzogen werde.
Wir wollen bei unserer Darstellung ausschließlich officielle Quellen benutzen;
unsrem Respect vor denselben mag es zu gut gehalten werden, wenn wir dabei
auf Einzelnes, was bereits früher angedeutet worden, ausführlicher zurück¬
kommen. Vor uns liegt nämlich erstens das „Hof. und Staatshandbuch des
Großherzogthums Hessen für 1866 (Darmstadt, im Verlag der Jnvalidenan-
stalt") und zweitens „das Staats- und Adreßhandbuch des Herzogthums
Nassau für das Jahr 1866 (Wiesbaden. A. Steiner".) beide mit äußerster Ele¬
ganz ausgestattet und auf dem Titelblatt mit Wappenlöwen geziert, welche letz¬
tere sich dadurch von einander unterscheiden, daß der nassauische Löwe nur einen
Schwanz hat, während der Hessen-darmstädtische deren zwei führt.

Wir möchten bei dieser Gelegenheit alle diejenigen, welchen es obliegt,
historische Denkmale und Urkunden der Gegenwart zu sammeln, damit sie von
den Geschichtsforschern und -Schreibern der Zukunft benutzt werden, auf die
ungemeine Wichtigkeit dieser „Handbücher" aufmerksam machen. Sie sind Mo¬
numente, welche sich der Kleinstaat selber gesetzt hat und welche verdienen „irors
ZMerwius" zu sein. Denn sie liefern die officiellen und authentischen Beweise
für Personen, Dinge und Zustände, welche in hundert Jahren kein Mensch mehr
wird glauben wollen, wenn man sie ihm nicht Schwarz auf Weiß belegen kann^
Deshalb rathen wir dringend, diese dereinst gewiß sehr gesuchten Fundgruben
deutscher Antiquitäten und Curiositäten den öffentlichen Bibliotheken einzuver¬
leiben. Das nassauische „Staats- und Adreßhandbuch" für 1866 ist zudem das
letzte seines Geschlechts und verdient deshalb nicht geringere Aufmerksamkeit,
wie weiland der Letzte der Mohikaner. Es wäre Schade, wenn dergleichen in
die Krambuden und Käseläden wanderte.

Das Namensverzeichniß des nassauischen „Handbuchs" weist nicht weniger


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_190158/397>, abgerufen am 25.07.2024.