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Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. I. Band.

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burger Bureaukratie nie anders als durch ein gefärbtes Glas gesehen hatte,
waren 'die für die Ruhe desselben verantwortlichen Statthalter stets von der
Ueberzeugung durchdrungen, daß man die Polen allenfalls zu gehorsamen Un-
terthanen des russischen Kaisers, aber niemals zu Russen machen könne, wenn
anders die ihnen anvertrauten Provinzen nicht in Wüsteneien verwandelt wer¬
den sollten.

Das tolle Treibe" des wilnaer Generalgouverneurs Ka"ff"rann. der Dank
dem Einfluß des neuen Polizeiministers Grafen Sebuwalow im September
v. I. gestürzt und durch einen humaneren Nachfolger erhebt worden war, hatte
dem Credit Miljutins und seiner Genossen bereits einen empfindlichen Stoß
beigebracht und den Einfluß Bergs und der gemäßigten Partei gekräftigt. Als
der polnische Staatssecretair Anfang December von einem Schlaganfall auf das
Krankenlager geworfen worden war, wußte diese namentlich dnrch die Minister
Schnwalow und Walujcw vertretene Partei sich der Situation zu bemächtigen,
Miljulin einen gemäßigten, den Anschauungen Bergs zugethaner Nachfolger zu
geben und den polnischen Staatsrath in Warschau Von den extremsten Ver¬
tretern der russischen Demokratie zu säubern. Nachdem der Gcneraldirector der
inneren Angelegenheiten und des Cultus, Fürst Tschertaßky, zum Rücktritt ge¬
zwungen und durch einen dem Statthalter befreundeten Kurläirder, den Geheimrath
Braunschweig ersetzt worden ist, sind die Anschauungen Bergs in den polnischen
Angelegenheiten maßgebend geworden. An entschiedenen Maßregeln hat es freilich
auch in dieser neuesten Phase der Geschicke Polens nicht gefehlt; jene drei oben
erwähnten Ukase über die Verschmelzung polnischer Vcrwaltnrigszweigc mit rus¬
sische" sind erst nach Miljutins Sturz in Ausführung gebracht worden und der
empfindliche Schlag, der die römisch-katholische Kirche Polens durch die Auf¬
lösung aller Beziehungen Rußlands zur römischen Curie und eine demgemäß
eingetretene Aenderung der kirchlichen Verwaltung getroffen hat, ist von noch
jüngerem Datum. Indeß, wenn nicht das System, so hat sich doch die Me¬
thode der russischen Verwaltung des Königreichs Pole" verändert und schon das
ist für die Bewohner jenes Landes von hohem Werth. Was die oben er¬
wähnten, für Lithauen und das Generalgouvernement Kiew erlassenen Ma߬
regel" anlangt, so sind dieselben nach dem eigenen Geständniß der russischen
Presse im Großen und Ganzen erfolglos geblieben. Trotz aller ihnen verheißenen
Begünstigungen zeigen die Gutsbesitzer und Landwirthe Großrußlands wenig Nei¬
gung nach Westen überzusiedeln und es in einem Lande zu versuchen, in^eichen
Recht und Ordnung zufolge des gegen die Polen geführten Veruicbtungskampfes
so vollständig außer Uebung gekommen sind, daß sich niemand seiner Freiheit
"ut seiner Habe sicher fühlt. Die Zügcllosigk.it der von der Administration
verhätschelten lithauischen Bauern ist den russischen und deutschen Gutsbesitzern
jener Provinzen ebenso gefährlich geworden wie den polnischen und schreckt jeden,


burger Bureaukratie nie anders als durch ein gefärbtes Glas gesehen hatte,
waren 'die für die Ruhe desselben verantwortlichen Statthalter stets von der
Ueberzeugung durchdrungen, daß man die Polen allenfalls zu gehorsamen Un-
terthanen des russischen Kaisers, aber niemals zu Russen machen könne, wenn
anders die ihnen anvertrauten Provinzen nicht in Wüsteneien verwandelt wer¬
den sollten.

Das tolle Treibe» des wilnaer Generalgouverneurs Ka»ff»rann. der Dank
dem Einfluß des neuen Polizeiministers Grafen Sebuwalow im September
v. I. gestürzt und durch einen humaneren Nachfolger erhebt worden war, hatte
dem Credit Miljutins und seiner Genossen bereits einen empfindlichen Stoß
beigebracht und den Einfluß Bergs und der gemäßigten Partei gekräftigt. Als
der polnische Staatssecretair Anfang December von einem Schlaganfall auf das
Krankenlager geworfen worden war, wußte diese namentlich dnrch die Minister
Schnwalow und Walujcw vertretene Partei sich der Situation zu bemächtigen,
Miljulin einen gemäßigten, den Anschauungen Bergs zugethaner Nachfolger zu
geben und den polnischen Staatsrath in Warschau Von den extremsten Ver¬
tretern der russischen Demokratie zu säubern. Nachdem der Gcneraldirector der
inneren Angelegenheiten und des Cultus, Fürst Tschertaßky, zum Rücktritt ge¬
zwungen und durch einen dem Statthalter befreundeten Kurläirder, den Geheimrath
Braunschweig ersetzt worden ist, sind die Anschauungen Bergs in den polnischen
Angelegenheiten maßgebend geworden. An entschiedenen Maßregeln hat es freilich
auch in dieser neuesten Phase der Geschicke Polens nicht gefehlt; jene drei oben
erwähnten Ukase über die Verschmelzung polnischer Vcrwaltnrigszweigc mit rus¬
sische» sind erst nach Miljutins Sturz in Ausführung gebracht worden und der
empfindliche Schlag, der die römisch-katholische Kirche Polens durch die Auf¬
lösung aller Beziehungen Rußlands zur römischen Curie und eine demgemäß
eingetretene Aenderung der kirchlichen Verwaltung getroffen hat, ist von noch
jüngerem Datum. Indeß, wenn nicht das System, so hat sich doch die Me¬
thode der russischen Verwaltung des Königreichs Pole» verändert und schon das
ist für die Bewohner jenes Landes von hohem Werth. Was die oben er¬
wähnten, für Lithauen und das Generalgouvernement Kiew erlassenen Ma߬
regel» anlangt, so sind dieselben nach dem eigenen Geständniß der russischen
Presse im Großen und Ganzen erfolglos geblieben. Trotz aller ihnen verheißenen
Begünstigungen zeigen die Gutsbesitzer und Landwirthe Großrußlands wenig Nei¬
gung nach Westen überzusiedeln und es in einem Lande zu versuchen, in^eichen
Recht und Ordnung zufolge des gegen die Polen geführten Veruicbtungskampfes
so vollständig außer Uebung gekommen sind, daß sich niemand seiner Freiheit
»ut seiner Habe sicher fühlt. Die Zügcllosigk.it der von der Administration
verhätschelten lithauischen Bauern ist den russischen und deutschen Gutsbesitzern
jener Provinzen ebenso gefährlich geworden wie den polnischen und schreckt jeden,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_190158/394>, abgerufen am 25.07.2024.