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Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. I. Band.

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der schriftlichen Ueberlieferung aber ist auch die mündliche und zwar nicht
blos am Rheine lebendig geblieben. So sollen die einst sehr angesehenen Frei¬
herren von Güttingen im Thurgau. die drei große Schlösser am Bodensee be¬
saßen, ihre hungernden Leibeigenen in derselben Weise verbrannt haben, wie
Hatto und mit dem nämlichen Ausgange, doch findet hierbei der Unterschied
statt, daß die von ihnen erbaute Burg zuletzt allmälig so tief in den See Ver¬
sinke, baß man nur bei Hellem Wetter die Trümmer auf dem Grnnde ernennen
kann. Die gleiche Strafe trifft ferner einen grausamen Ritter in Oberbayern,
der sich in dem sogenannten Maussee ein Schloß baute und überdies noch seine
Bettlade in eisernen Ketten darin aufhängen ließ. Auch im hirschberger Teiche
in Böhmen kennt die Sage ein Mäuseschloß und nicht minder in einem kleinen
See bei Hoizöster im Innviertel. Bei dem letzteren läßt der hartherzige Graf
die Armen im Thurme verhungern, statt sie zu verbrennen. Endlich haben wir
noch eine Ueberlieferung aus Wales, die einen kranken Jüngling von Kröten
statt von Mäusen verfolgt werden läßt, vor denen er auch auf einem hohen.
Baume keinen Schutz gewinnen kann und vielleicht gehört auch eine Geschichte
aus der Gegend von Teplitz hierher, wonach ein Förster, der die Leute beraubt
und sich mit seinem Raube auf einen Berg flüchtet, infolge der Verwünschung
eines Mütterchens durch einen Mückenschwarm seinen Tod findet. Das Mücken-
thürmchcn soll an dies Ereigniß erinnern.

Doch genug der Sage", die durch ihre Einförmigkeit nur ermüden können.
Ueberall finden wir bei aller Abweichung im Einzelnen den gleichen Ausgang:
die Mäuse als Rächerinnen eines schweren Unrechts, das ein Mächtiger be¬
gangen, sei es nun ein König oder Bischof, Graf oder Ritter. Erinnert aber
dieses seltsame Strafgericht Gottes, der grade die mächtigsten Frevler seinen
ohnmächtigsten Geschöpfen wehrlos überliefert, nicht an das Ende jenes aus
den Büchern der Makkabäer bekannten Syrerl'önigs Antiochus Epiphancs, der
als ein arger Verfolger der Gläubigen bei lebendigem Leibe von Würmern ge¬
fressen wurde? Die nämliche Todesart aber, die man sich als eine abscheuliche
Krankheit ausmalte, sagte das Volk "och manche" anderen Tyrannen älterer
und neuerer Zeit nach, wie z. B. dem Kaiser Arnvlf. Wenn überhaupt bei
einem plötzlichen, unter etwas dunkel" Umständen erfolgten Todesfälle die Men¬
schen zu bedenklichen Muthmaßungen nur zu geneigt sind, so liebte es überdies
die Geistlichkeit sehr, das Sterbebett eines Kirchenräubers oder sonst unbußfertigen
Missethäters mit allen Schrecken der Hölle als Vorschmack der künftigen Pein
zu umgeben. Warum sollten wir also nicht an Mönchsfabeln denken dürfen,
zumal da auch im alten Testamente bereits die Feldmäuse als eine Landplage
vorkommen, die Gott der Herr über die Philister verhängt, weil sie die jüdische
Bundeslade geraubt. Gegen diese Auffassung gilt indessen, was wir oben schon
gegen die Ableitung aus unverstandenen Denkmälern bemerkten: zulässig für


der schriftlichen Ueberlieferung aber ist auch die mündliche und zwar nicht
blos am Rheine lebendig geblieben. So sollen die einst sehr angesehenen Frei¬
herren von Güttingen im Thurgau. die drei große Schlösser am Bodensee be¬
saßen, ihre hungernden Leibeigenen in derselben Weise verbrannt haben, wie
Hatto und mit dem nämlichen Ausgange, doch findet hierbei der Unterschied
statt, daß die von ihnen erbaute Burg zuletzt allmälig so tief in den See Ver¬
sinke, baß man nur bei Hellem Wetter die Trümmer auf dem Grnnde ernennen
kann. Die gleiche Strafe trifft ferner einen grausamen Ritter in Oberbayern,
der sich in dem sogenannten Maussee ein Schloß baute und überdies noch seine
Bettlade in eisernen Ketten darin aufhängen ließ. Auch im hirschberger Teiche
in Böhmen kennt die Sage ein Mäuseschloß und nicht minder in einem kleinen
See bei Hoizöster im Innviertel. Bei dem letzteren läßt der hartherzige Graf
die Armen im Thurme verhungern, statt sie zu verbrennen. Endlich haben wir
noch eine Ueberlieferung aus Wales, die einen kranken Jüngling von Kröten
statt von Mäusen verfolgt werden läßt, vor denen er auch auf einem hohen.
Baume keinen Schutz gewinnen kann und vielleicht gehört auch eine Geschichte
aus der Gegend von Teplitz hierher, wonach ein Förster, der die Leute beraubt
und sich mit seinem Raube auf einen Berg flüchtet, infolge der Verwünschung
eines Mütterchens durch einen Mückenschwarm seinen Tod findet. Das Mücken-
thürmchcn soll an dies Ereigniß erinnern.

Doch genug der Sage», die durch ihre Einförmigkeit nur ermüden können.
Ueberall finden wir bei aller Abweichung im Einzelnen den gleichen Ausgang:
die Mäuse als Rächerinnen eines schweren Unrechts, das ein Mächtiger be¬
gangen, sei es nun ein König oder Bischof, Graf oder Ritter. Erinnert aber
dieses seltsame Strafgericht Gottes, der grade die mächtigsten Frevler seinen
ohnmächtigsten Geschöpfen wehrlos überliefert, nicht an das Ende jenes aus
den Büchern der Makkabäer bekannten Syrerl'önigs Antiochus Epiphancs, der
als ein arger Verfolger der Gläubigen bei lebendigem Leibe von Würmern ge¬
fressen wurde? Die nämliche Todesart aber, die man sich als eine abscheuliche
Krankheit ausmalte, sagte das Volk »och manche» anderen Tyrannen älterer
und neuerer Zeit nach, wie z. B. dem Kaiser Arnvlf. Wenn überhaupt bei
einem plötzlichen, unter etwas dunkel» Umständen erfolgten Todesfälle die Men¬
schen zu bedenklichen Muthmaßungen nur zu geneigt sind, so liebte es überdies
die Geistlichkeit sehr, das Sterbebett eines Kirchenräubers oder sonst unbußfertigen
Missethäters mit allen Schrecken der Hölle als Vorschmack der künftigen Pein
zu umgeben. Warum sollten wir also nicht an Mönchsfabeln denken dürfen,
zumal da auch im alten Testamente bereits die Feldmäuse als eine Landplage
vorkommen, die Gott der Herr über die Philister verhängt, weil sie die jüdische
Bundeslade geraubt. Gegen diese Auffassung gilt indessen, was wir oben schon
gegen die Ableitung aus unverstandenen Denkmälern bemerkten: zulässig für


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[0358] der schriftlichen Ueberlieferung aber ist auch die mündliche und zwar nicht blos am Rheine lebendig geblieben. So sollen die einst sehr angesehenen Frei¬ herren von Güttingen im Thurgau. die drei große Schlösser am Bodensee be¬ saßen, ihre hungernden Leibeigenen in derselben Weise verbrannt haben, wie Hatto und mit dem nämlichen Ausgange, doch findet hierbei der Unterschied statt, daß die von ihnen erbaute Burg zuletzt allmälig so tief in den See Ver¬ sinke, baß man nur bei Hellem Wetter die Trümmer auf dem Grnnde ernennen kann. Die gleiche Strafe trifft ferner einen grausamen Ritter in Oberbayern, der sich in dem sogenannten Maussee ein Schloß baute und überdies noch seine Bettlade in eisernen Ketten darin aufhängen ließ. Auch im hirschberger Teiche in Böhmen kennt die Sage ein Mäuseschloß und nicht minder in einem kleinen See bei Hoizöster im Innviertel. Bei dem letzteren läßt der hartherzige Graf die Armen im Thurme verhungern, statt sie zu verbrennen. Endlich haben wir noch eine Ueberlieferung aus Wales, die einen kranken Jüngling von Kröten statt von Mäusen verfolgt werden läßt, vor denen er auch auf einem hohen. Baume keinen Schutz gewinnen kann und vielleicht gehört auch eine Geschichte aus der Gegend von Teplitz hierher, wonach ein Förster, der die Leute beraubt und sich mit seinem Raube auf einen Berg flüchtet, infolge der Verwünschung eines Mütterchens durch einen Mückenschwarm seinen Tod findet. Das Mücken- thürmchcn soll an dies Ereigniß erinnern. Doch genug der Sage», die durch ihre Einförmigkeit nur ermüden können. Ueberall finden wir bei aller Abweichung im Einzelnen den gleichen Ausgang: die Mäuse als Rächerinnen eines schweren Unrechts, das ein Mächtiger be¬ gangen, sei es nun ein König oder Bischof, Graf oder Ritter. Erinnert aber dieses seltsame Strafgericht Gottes, der grade die mächtigsten Frevler seinen ohnmächtigsten Geschöpfen wehrlos überliefert, nicht an das Ende jenes aus den Büchern der Makkabäer bekannten Syrerl'önigs Antiochus Epiphancs, der als ein arger Verfolger der Gläubigen bei lebendigem Leibe von Würmern ge¬ fressen wurde? Die nämliche Todesart aber, die man sich als eine abscheuliche Krankheit ausmalte, sagte das Volk »och manche» anderen Tyrannen älterer und neuerer Zeit nach, wie z. B. dem Kaiser Arnvlf. Wenn überhaupt bei einem plötzlichen, unter etwas dunkel» Umständen erfolgten Todesfälle die Men¬ schen zu bedenklichen Muthmaßungen nur zu geneigt sind, so liebte es überdies die Geistlichkeit sehr, das Sterbebett eines Kirchenräubers oder sonst unbußfertigen Missethäters mit allen Schrecken der Hölle als Vorschmack der künftigen Pein zu umgeben. Warum sollten wir also nicht an Mönchsfabeln denken dürfen, zumal da auch im alten Testamente bereits die Feldmäuse als eine Landplage vorkommen, die Gott der Herr über die Philister verhängt, weil sie die jüdische Bundeslade geraubt. Gegen diese Auffassung gilt indessen, was wir oben schon gegen die Ableitung aus unverstandenen Denkmälern bemerkten: zulässig für

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_190158/358>, abgerufen am 02.10.2024.