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Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. I. Band.

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stände und die Gewähr der Ueberlieferung ins Auge fassen, von vornherein klar
und dedens keiner weiteren Beweise. Die Geschichte kennt zwei mainzer Erz-
bischöfe des Namens Hatto. beide im zehnten Jahrhundert, von denen der erste
seiner Zeit Reichsregent, im Volke als arglistiger Ränkeschmied einen sehr üblen
Leumund hinterließ, so daß man nicht anders meinte, als der Teufel müsse seine
Seele geholt haben. Nicht ihn, sondern den zweiten Hatto unter Otto dem
Großen, scheint jedoch die Sage im Auge zu haben, von dessen nur zweijähriger
Regierung durchaus nichts Nachtheiliges bekannt ist. Da somit ein geschicht¬
licher Grund für unsere Sage sich nicht recht ergeben wollte, die gleichwohl
durch ihre Berühmtheit frühzeitig den Scharfsinn der Erklärer herausforderte,
mußte man auf andre Auswege sinnen. Um von abgeschmackten Deutungs¬
versuchen andrer Art zu schweigen, so lag es am nächsten, in dem Thurme selbst
den Schlüssel der Geschichte zu suchen. Irgend eirse ältere mißverstandene Be¬
nennung wie Mauththurm, d. i. Zvllthurm. Mauerthurm oder dergleichen, konnte
mit der Zeit in Mausthurm verdreht und daraus wiederum zur Erklärung
dieses Namens die ganze wunderliche Historie entstanden sei". Vielleicht fand
auch unter Hatto dem Zweiten in der That eine schwere Mißernte statt, etwa
durch die Feldmäuse veranlaßt, wie sie im Mittelalter nur allzu häusig waren,
das Weitere ergab sich dann leicht, zumal da die Sünden der hohen kirchlichen
Würdenträger, namentlich ihr Geiz und ihre Habsucht, stets eine sehr beliebte
Zielscheibe für den deutschen Volkswitz bildeten.

An sich würde gegen die Berechtigung einer solchen Deutung nicht viel
einzuwenden sein, denn wie viele Geschichten sind nicht blos aus räthselhaften
Bildern, Denkmälern oder Namen entsprungen und werden von Küstern, Alter-
thümlern und ähnlichen Leuten so lange weiter getragen, bis sie endlich schon
durch ihr Alter ehrwürdig und glaubhaft erscheinen. Sofort aber erhebt sich
ein Bedenken, wenn wir sehen, daß unser rheinischer Mäusethurm einen Doppel¬
gänger hat. J>i der Provinz Posen hart auf der russischen Grenze liegt der
Goplosee und an demselben das Städtchen Kruswice, jetzt einem Dorfe gleich,
ehedem Hauptort von Cujavicn und Bischofssitz. Dort werden noch heut auf
einem Hügel am westlichen Ufer des Sees die Ruinen eines achteckigen Thurmes
von sehr alterthümlicher Bauart gezeigt, der in der Gegend unter dem Namen
des Mäuscthurms bekannt ist und folgenden Ursprung hat. Ueber Polen herrschte
einst vor etwa tausend Jahre" König Popiel oder Pompilius, der noch un-
^ mündig auf den Thron gelangte, geleitet und unterstützt von den trefflichen
Brüdern seines verstorbenen Vaters. Früh aber entartete er und allen Lüsten
stöhnend vergalt er ihre Hingebung mit Haß und beschloß auf den Rath seines
bösen Weibes sie alle aus dem Wege zu räumen. Zu diesem Zwecke stellte er
sich sterbenskrank, berief die zwanzig Oheime zur Berathung über die Thronfolge
zu sich und indem er seinen angeblichen Todestag voraussagte, bal er sie wie


Grenzboten I. 18K7. 44

stände und die Gewähr der Ueberlieferung ins Auge fassen, von vornherein klar
und dedens keiner weiteren Beweise. Die Geschichte kennt zwei mainzer Erz-
bischöfe des Namens Hatto. beide im zehnten Jahrhundert, von denen der erste
seiner Zeit Reichsregent, im Volke als arglistiger Ränkeschmied einen sehr üblen
Leumund hinterließ, so daß man nicht anders meinte, als der Teufel müsse seine
Seele geholt haben. Nicht ihn, sondern den zweiten Hatto unter Otto dem
Großen, scheint jedoch die Sage im Auge zu haben, von dessen nur zweijähriger
Regierung durchaus nichts Nachtheiliges bekannt ist. Da somit ein geschicht¬
licher Grund für unsere Sage sich nicht recht ergeben wollte, die gleichwohl
durch ihre Berühmtheit frühzeitig den Scharfsinn der Erklärer herausforderte,
mußte man auf andre Auswege sinnen. Um von abgeschmackten Deutungs¬
versuchen andrer Art zu schweigen, so lag es am nächsten, in dem Thurme selbst
den Schlüssel der Geschichte zu suchen. Irgend eirse ältere mißverstandene Be¬
nennung wie Mauththurm, d. i. Zvllthurm. Mauerthurm oder dergleichen, konnte
mit der Zeit in Mausthurm verdreht und daraus wiederum zur Erklärung
dieses Namens die ganze wunderliche Historie entstanden sei». Vielleicht fand
auch unter Hatto dem Zweiten in der That eine schwere Mißernte statt, etwa
durch die Feldmäuse veranlaßt, wie sie im Mittelalter nur allzu häusig waren,
das Weitere ergab sich dann leicht, zumal da die Sünden der hohen kirchlichen
Würdenträger, namentlich ihr Geiz und ihre Habsucht, stets eine sehr beliebte
Zielscheibe für den deutschen Volkswitz bildeten.

An sich würde gegen die Berechtigung einer solchen Deutung nicht viel
einzuwenden sein, denn wie viele Geschichten sind nicht blos aus räthselhaften
Bildern, Denkmälern oder Namen entsprungen und werden von Küstern, Alter-
thümlern und ähnlichen Leuten so lange weiter getragen, bis sie endlich schon
durch ihr Alter ehrwürdig und glaubhaft erscheinen. Sofort aber erhebt sich
ein Bedenken, wenn wir sehen, daß unser rheinischer Mäusethurm einen Doppel¬
gänger hat. J>i der Provinz Posen hart auf der russischen Grenze liegt der
Goplosee und an demselben das Städtchen Kruswice, jetzt einem Dorfe gleich,
ehedem Hauptort von Cujavicn und Bischofssitz. Dort werden noch heut auf
einem Hügel am westlichen Ufer des Sees die Ruinen eines achteckigen Thurmes
von sehr alterthümlicher Bauart gezeigt, der in der Gegend unter dem Namen
des Mäuscthurms bekannt ist und folgenden Ursprung hat. Ueber Polen herrschte
einst vor etwa tausend Jahre» König Popiel oder Pompilius, der noch un-
^ mündig auf den Thron gelangte, geleitet und unterstützt von den trefflichen
Brüdern seines verstorbenen Vaters. Früh aber entartete er und allen Lüsten
stöhnend vergalt er ihre Hingebung mit Haß und beschloß auf den Rath seines
bösen Weibes sie alle aus dem Wege zu räumen. Zu diesem Zwecke stellte er
sich sterbenskrank, berief die zwanzig Oheime zur Berathung über die Thronfolge
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[0355] stände und die Gewähr der Ueberlieferung ins Auge fassen, von vornherein klar und dedens keiner weiteren Beweise. Die Geschichte kennt zwei mainzer Erz- bischöfe des Namens Hatto. beide im zehnten Jahrhundert, von denen der erste seiner Zeit Reichsregent, im Volke als arglistiger Ränkeschmied einen sehr üblen Leumund hinterließ, so daß man nicht anders meinte, als der Teufel müsse seine Seele geholt haben. Nicht ihn, sondern den zweiten Hatto unter Otto dem Großen, scheint jedoch die Sage im Auge zu haben, von dessen nur zweijähriger Regierung durchaus nichts Nachtheiliges bekannt ist. Da somit ein geschicht¬ licher Grund für unsere Sage sich nicht recht ergeben wollte, die gleichwohl durch ihre Berühmtheit frühzeitig den Scharfsinn der Erklärer herausforderte, mußte man auf andre Auswege sinnen. Um von abgeschmackten Deutungs¬ versuchen andrer Art zu schweigen, so lag es am nächsten, in dem Thurme selbst den Schlüssel der Geschichte zu suchen. Irgend eirse ältere mißverstandene Be¬ nennung wie Mauththurm, d. i. Zvllthurm. Mauerthurm oder dergleichen, konnte mit der Zeit in Mausthurm verdreht und daraus wiederum zur Erklärung dieses Namens die ganze wunderliche Historie entstanden sei». Vielleicht fand auch unter Hatto dem Zweiten in der That eine schwere Mißernte statt, etwa durch die Feldmäuse veranlaßt, wie sie im Mittelalter nur allzu häusig waren, das Weitere ergab sich dann leicht, zumal da die Sünden der hohen kirchlichen Würdenträger, namentlich ihr Geiz und ihre Habsucht, stets eine sehr beliebte Zielscheibe für den deutschen Volkswitz bildeten. An sich würde gegen die Berechtigung einer solchen Deutung nicht viel einzuwenden sein, denn wie viele Geschichten sind nicht blos aus räthselhaften Bildern, Denkmälern oder Namen entsprungen und werden von Küstern, Alter- thümlern und ähnlichen Leuten so lange weiter getragen, bis sie endlich schon durch ihr Alter ehrwürdig und glaubhaft erscheinen. Sofort aber erhebt sich ein Bedenken, wenn wir sehen, daß unser rheinischer Mäusethurm einen Doppel¬ gänger hat. J>i der Provinz Posen hart auf der russischen Grenze liegt der Goplosee und an demselben das Städtchen Kruswice, jetzt einem Dorfe gleich, ehedem Hauptort von Cujavicn und Bischofssitz. Dort werden noch heut auf einem Hügel am westlichen Ufer des Sees die Ruinen eines achteckigen Thurmes von sehr alterthümlicher Bauart gezeigt, der in der Gegend unter dem Namen des Mäuscthurms bekannt ist und folgenden Ursprung hat. Ueber Polen herrschte einst vor etwa tausend Jahre» König Popiel oder Pompilius, der noch un- ^ mündig auf den Thron gelangte, geleitet und unterstützt von den trefflichen Brüdern seines verstorbenen Vaters. Früh aber entartete er und allen Lüsten stöhnend vergalt er ihre Hingebung mit Haß und beschloß auf den Rath seines bösen Weibes sie alle aus dem Wege zu räumen. Zu diesem Zwecke stellte er sich sterbenskrank, berief die zwanzig Oheime zur Berathung über die Thronfolge zu sich und indem er seinen angeblichen Todestag voraussagte, bal er sie wie Grenzboten I. 18K7. 44

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_190158/355>, abgerufen am 02.10.2024.