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Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. I. Band.

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der bäuerlichen Abgeordneten, wie sein Vorbild Abraham a Santa Clara die
des ebenso feingebildeten Hofadels.

Um so größeren Anstoß gab Rector Geyers Rede: "Wir haben einen un¬
freien Staat und eine freie Kirche," meinte er, "wenn wir einen freien Staat
hätten, würde ich auch für eine freie Kirche sein." Die Sistirung der Neichs-
vertretung bringe einen chaotischen Lärm von Völkerstimmen, worin sich jene
am lautesten vernehmen ließen, welche am besten thäten, ganz zu schweigen.
"Dagegen herrscht in den Regierungskanzleien Todtenstille. Man hört die
Wanduhr picken, welche andeutet, wie schnell die Zeit in unserem Jahrhundert
fortschreitet. Nur in einer Beziehung ist rastlose Thätigkeit. Tag und Nacht
nämlich arbeitet die Staatsnotcupresse. Manchmal allerdings wird auch in den
Regierungskanzlcien sehr viel hin und hergeschncbcn, zuletzt öffnet sich das Thor
des Regierungspalastes und heraus strömt ein Schauer von Ordenszeichen her¬
nieder auf das Volk. Es wäre gut, wenn der Notendruck uns befreite vom
Steuerdrucke, unter dem das ganze Volk seufzt, und die goldenen Kreuze uns
das Kreuz leichter machten, welches wir tragen."

Als Vorletzter in der Reihe der Liberalen suchte öl'. Streiter ihren Stand¬
punkt durch einen Vergleich mit dem Programme der Ultramontanen klar zu
machen. Diese wollten die Glaubenseinhcit, die alten Stände und Postulaten¬
landtage, jene die Gewissensfreiheit, Ausbildung der Verfassung und Einheit
des Reiches. "Was seit dem Sistiningsmanifcste zu Tage trat, ist Zerfahren¬
heit, Nationalitätenhader, Uneinigkeit. Noch ein solcher Krieg wie der letzte,
noch eine solche Schlacht wie die bei Königsgrätz und die Monarchie geht aus
ihren Fugen. Aufrichten kann sie nur eine Verfassung, die uns zu freien Bür¬
gern eines freien Staates macht. Politische und religiöse Freiheit leiht uns
die Kraft, welche aus dem Bewußtsein großer gemeinsamer Interessen entspringt."
In einer Reihe solcher Sentenzen, deren Zusammenstellung wohl der Sprecher
selbst nicht für eine Rede hielt, die aber das Echo dieses Saales verwundert
wiedergab, leitete er die Schluße.idcnz der Opposition ein. welche Dr. v. Grödner
übernommen hatte und mit vollendetem Freimuth zur Wirkung brachte.

Zuletzt ergriff der Bischof Binccnz Gaffer von Brixen noch das Wort, um
das Siebencrcomite gegen die Anschuldigung in Schutz zu nehmen, als habe
es die Debatte über die sogenannte Sistinmgspolitik herbeiführen wollen, "denn
was hat diese mit der wälschtirolMen Frage zu thun?" Das klang wie ein
reumüthigcs Geständnis? verfehlter Taktik. Dennoch folgte er der Opposition
auf das Schlachtfeld. Das Manifest vom 20. September sei ein Act politischer
Nothwendigkeit gewesen, nachdem der Staatsminister Schmerling mit der Er¬
klärung: "Wir könne" warten", ohne es zu wollen, angedeutet, daß seine po¬
litische Weisheit auf die Neige gehe. Das Febniarpalcnt sei keine einheimische,
sondern eine exotische Pflanze, ein zarter Setzung der Staatsstreichsweisheit.


der bäuerlichen Abgeordneten, wie sein Vorbild Abraham a Santa Clara die
des ebenso feingebildeten Hofadels.

Um so größeren Anstoß gab Rector Geyers Rede: „Wir haben einen un¬
freien Staat und eine freie Kirche," meinte er, „wenn wir einen freien Staat
hätten, würde ich auch für eine freie Kirche sein." Die Sistirung der Neichs-
vertretung bringe einen chaotischen Lärm von Völkerstimmen, worin sich jene
am lautesten vernehmen ließen, welche am besten thäten, ganz zu schweigen.
„Dagegen herrscht in den Regierungskanzleien Todtenstille. Man hört die
Wanduhr picken, welche andeutet, wie schnell die Zeit in unserem Jahrhundert
fortschreitet. Nur in einer Beziehung ist rastlose Thätigkeit. Tag und Nacht
nämlich arbeitet die Staatsnotcupresse. Manchmal allerdings wird auch in den
Regierungskanzlcien sehr viel hin und hergeschncbcn, zuletzt öffnet sich das Thor
des Regierungspalastes und heraus strömt ein Schauer von Ordenszeichen her¬
nieder auf das Volk. Es wäre gut, wenn der Notendruck uns befreite vom
Steuerdrucke, unter dem das ganze Volk seufzt, und die goldenen Kreuze uns
das Kreuz leichter machten, welches wir tragen."

Als Vorletzter in der Reihe der Liberalen suchte öl'. Streiter ihren Stand¬
punkt durch einen Vergleich mit dem Programme der Ultramontanen klar zu
machen. Diese wollten die Glaubenseinhcit, die alten Stände und Postulaten¬
landtage, jene die Gewissensfreiheit, Ausbildung der Verfassung und Einheit
des Reiches. „Was seit dem Sistiningsmanifcste zu Tage trat, ist Zerfahren¬
heit, Nationalitätenhader, Uneinigkeit. Noch ein solcher Krieg wie der letzte,
noch eine solche Schlacht wie die bei Königsgrätz und die Monarchie geht aus
ihren Fugen. Aufrichten kann sie nur eine Verfassung, die uns zu freien Bür¬
gern eines freien Staates macht. Politische und religiöse Freiheit leiht uns
die Kraft, welche aus dem Bewußtsein großer gemeinsamer Interessen entspringt."
In einer Reihe solcher Sentenzen, deren Zusammenstellung wohl der Sprecher
selbst nicht für eine Rede hielt, die aber das Echo dieses Saales verwundert
wiedergab, leitete er die Schluße.idcnz der Opposition ein. welche Dr. v. Grödner
übernommen hatte und mit vollendetem Freimuth zur Wirkung brachte.

Zuletzt ergriff der Bischof Binccnz Gaffer von Brixen noch das Wort, um
das Siebencrcomite gegen die Anschuldigung in Schutz zu nehmen, als habe
es die Debatte über die sogenannte Sistinmgspolitik herbeiführen wollen, „denn
was hat diese mit der wälschtirolMen Frage zu thun?" Das klang wie ein
reumüthigcs Geständnis? verfehlter Taktik. Dennoch folgte er der Opposition
auf das Schlachtfeld. Das Manifest vom 20. September sei ein Act politischer
Nothwendigkeit gewesen, nachdem der Staatsminister Schmerling mit der Er¬
klärung: „Wir könne» warten", ohne es zu wollen, angedeutet, daß seine po¬
litische Weisheit auf die Neige gehe. Das Febniarpalcnt sei keine einheimische,
sondern eine exotische Pflanze, ein zarter Setzung der Staatsstreichsweisheit.


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[0351] der bäuerlichen Abgeordneten, wie sein Vorbild Abraham a Santa Clara die des ebenso feingebildeten Hofadels. Um so größeren Anstoß gab Rector Geyers Rede: „Wir haben einen un¬ freien Staat und eine freie Kirche," meinte er, „wenn wir einen freien Staat hätten, würde ich auch für eine freie Kirche sein." Die Sistirung der Neichs- vertretung bringe einen chaotischen Lärm von Völkerstimmen, worin sich jene am lautesten vernehmen ließen, welche am besten thäten, ganz zu schweigen. „Dagegen herrscht in den Regierungskanzleien Todtenstille. Man hört die Wanduhr picken, welche andeutet, wie schnell die Zeit in unserem Jahrhundert fortschreitet. Nur in einer Beziehung ist rastlose Thätigkeit. Tag und Nacht nämlich arbeitet die Staatsnotcupresse. Manchmal allerdings wird auch in den Regierungskanzlcien sehr viel hin und hergeschncbcn, zuletzt öffnet sich das Thor des Regierungspalastes und heraus strömt ein Schauer von Ordenszeichen her¬ nieder auf das Volk. Es wäre gut, wenn der Notendruck uns befreite vom Steuerdrucke, unter dem das ganze Volk seufzt, und die goldenen Kreuze uns das Kreuz leichter machten, welches wir tragen." Als Vorletzter in der Reihe der Liberalen suchte öl'. Streiter ihren Stand¬ punkt durch einen Vergleich mit dem Programme der Ultramontanen klar zu machen. Diese wollten die Glaubenseinhcit, die alten Stände und Postulaten¬ landtage, jene die Gewissensfreiheit, Ausbildung der Verfassung und Einheit des Reiches. „Was seit dem Sistiningsmanifcste zu Tage trat, ist Zerfahren¬ heit, Nationalitätenhader, Uneinigkeit. Noch ein solcher Krieg wie der letzte, noch eine solche Schlacht wie die bei Königsgrätz und die Monarchie geht aus ihren Fugen. Aufrichten kann sie nur eine Verfassung, die uns zu freien Bür¬ gern eines freien Staates macht. Politische und religiöse Freiheit leiht uns die Kraft, welche aus dem Bewußtsein großer gemeinsamer Interessen entspringt." In einer Reihe solcher Sentenzen, deren Zusammenstellung wohl der Sprecher selbst nicht für eine Rede hielt, die aber das Echo dieses Saales verwundert wiedergab, leitete er die Schluße.idcnz der Opposition ein. welche Dr. v. Grödner übernommen hatte und mit vollendetem Freimuth zur Wirkung brachte. Zuletzt ergriff der Bischof Binccnz Gaffer von Brixen noch das Wort, um das Siebencrcomite gegen die Anschuldigung in Schutz zu nehmen, als habe es die Debatte über die sogenannte Sistinmgspolitik herbeiführen wollen, „denn was hat diese mit der wälschtirolMen Frage zu thun?" Das klang wie ein reumüthigcs Geständnis? verfehlter Taktik. Dennoch folgte er der Opposition auf das Schlachtfeld. Das Manifest vom 20. September sei ein Act politischer Nothwendigkeit gewesen, nachdem der Staatsminister Schmerling mit der Er¬ klärung: „Wir könne» warten", ohne es zu wollen, angedeutet, daß seine po¬ litische Weisheit auf die Neige gehe. Das Febniarpalcnt sei keine einheimische, sondern eine exotische Pflanze, ein zarter Setzung der Staatsstreichsweisheit.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_190158/351>, abgerufen am 03.10.2024.