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Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. I. Band.

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von einer "kleinen" Partei terrorisirt wird, erscheint dies nur als ein Mittel
zu anderen Zwecken. Am 12. November vorigen Jahres erließ das National-
comitö in Trient einen Aufruf an die Bevölkerung des alten Fürstenthums,
worin es gestützt auf das Versprechen von erlauchten Lippen die baldige
Vereinigung mit dem Königreich Italie" verheißt und zur würdigen Haltung
nationalen Widerstands ermuntert. Ihm folgte am 18. December vorigen
Jahres ein zweiter, der die Behauptung, als bestände das Conn6 nur aus
Flüchtlingen im Auslande, Lügen straft, und den Trientern Muth zuruft.
Diese Brandzettet befinden sich in aller Händen, jedermann kennt ihre Urheber,
aber weder die Staatsanwaltschaft noch ein Gericht wagt sie anzutasten; Klug¬
heit und stilles Einverständnis) der ganzen Bevölkerung schützen sie vor Ver¬
folgung.

Wie leuchtend mußte sich nicht die reine Flamme ultramontaner Loyalität
abheben von dem nächtlichen Schatten des Abfalls, der auf Wälschtirol lastete?
Kaum war der Landtag am 19. November vorigen Jahres eröffnet, als schon
am folgenden Tage von mehren hauptsächlich der klerikal-feudalen Partei ange-
hörigen Abgeordneten eine Jnterpellation an die Negierung eingebracht wurde,
ob die Gerüchte von der Abtretung Wälschtirols an Italien begründet seien,
und wo nicht, ob sie entschlossen sei, der dortigen Agitation mit allem Nach¬
druck entgegenzutreten. Neuen Anlaß sich gegen "die herrschende Partei in
Südtirol" ausz'ulassen gab in der nächsten Sitzung vom 24. November ein An¬
trag des Landcsausschusses, wornach die schon.^.seit Jahren verschleppte Ver¬
handlung über die Abänderung der Landes- und Landtagswahlordnung zu
Gunsten der Wälschtiroler auch noch weiter vertagt werden sollte. Der inns-
bruckcr Religionsprofessor Grcuter. der sich bei dieser Frage in der vorletzten
Session auf die Seite der Wälschen gestellt, erklärte sich nun mit einem Male
gegen sie. und betonte ihre Hochverrätherische Gesinnung: "denn die letzte Wahl."
meinte er, "habe bewiesen, daß die Herren nicht für Innsbruck, ja nicht einmal
für Trient wählen wollten, sie wollten für Florenz und Rom wählen, was ihre
politische Gesinnung so gut charal'terisirt als ihre katholische." Die Regie¬
rung sollte sich nur dazu hergeben, die Signori wieder päpstlich zu machen,
etwa wie weiland Erzherzog Ferdinand, der zartfühlende Gemahl jener Phi¬
lippine Welser. der die protestantischen Unterinnthaler mit ausgesuchten Folter¬
qualen heimsuchte. Trotzdem daß selbst der Bischof von Trient und ErzPriester
Strosio gegen die verbissenen Ultras stimmten, ergab sich doch eine Majorität
Von 23 gegen 22 für ihren Antrag auf Uebergang zur Tagesordnung. Der
Groll gegen die der weltlichen Macht des Papstes Abtrünnigen steigerte sich
aber im Kctzerrichter Giovanelli zur wahren Wuth, als ihm Tags nachher der
Aufruf des trienter Nationalcomitös vom 12. November zukam. Ein boshafter
Schalk, der wußte, daß man ihm nur das rothe Tuch vors Auge halten durfte,


Grenzboten I. 1867, 43

von einer „kleinen" Partei terrorisirt wird, erscheint dies nur als ein Mittel
zu anderen Zwecken. Am 12. November vorigen Jahres erließ das National-
comitö in Trient einen Aufruf an die Bevölkerung des alten Fürstenthums,
worin es gestützt auf das Versprechen von erlauchten Lippen die baldige
Vereinigung mit dem Königreich Italie» verheißt und zur würdigen Haltung
nationalen Widerstands ermuntert. Ihm folgte am 18. December vorigen
Jahres ein zweiter, der die Behauptung, als bestände das Conn6 nur aus
Flüchtlingen im Auslande, Lügen straft, und den Trientern Muth zuruft.
Diese Brandzettet befinden sich in aller Händen, jedermann kennt ihre Urheber,
aber weder die Staatsanwaltschaft noch ein Gericht wagt sie anzutasten; Klug¬
heit und stilles Einverständnis) der ganzen Bevölkerung schützen sie vor Ver¬
folgung.

Wie leuchtend mußte sich nicht die reine Flamme ultramontaner Loyalität
abheben von dem nächtlichen Schatten des Abfalls, der auf Wälschtirol lastete?
Kaum war der Landtag am 19. November vorigen Jahres eröffnet, als schon
am folgenden Tage von mehren hauptsächlich der klerikal-feudalen Partei ange-
hörigen Abgeordneten eine Jnterpellation an die Negierung eingebracht wurde,
ob die Gerüchte von der Abtretung Wälschtirols an Italien begründet seien,
und wo nicht, ob sie entschlossen sei, der dortigen Agitation mit allem Nach¬
druck entgegenzutreten. Neuen Anlaß sich gegen „die herrschende Partei in
Südtirol" ausz'ulassen gab in der nächsten Sitzung vom 24. November ein An¬
trag des Landcsausschusses, wornach die schon.^.seit Jahren verschleppte Ver¬
handlung über die Abänderung der Landes- und Landtagswahlordnung zu
Gunsten der Wälschtiroler auch noch weiter vertagt werden sollte. Der inns-
bruckcr Religionsprofessor Grcuter. der sich bei dieser Frage in der vorletzten
Session auf die Seite der Wälschen gestellt, erklärte sich nun mit einem Male
gegen sie. und betonte ihre Hochverrätherische Gesinnung: „denn die letzte Wahl."
meinte er, „habe bewiesen, daß die Herren nicht für Innsbruck, ja nicht einmal
für Trient wählen wollten, sie wollten für Florenz und Rom wählen, was ihre
politische Gesinnung so gut charal'terisirt als ihre katholische." Die Regie¬
rung sollte sich nur dazu hergeben, die Signori wieder päpstlich zu machen,
etwa wie weiland Erzherzog Ferdinand, der zartfühlende Gemahl jener Phi¬
lippine Welser. der die protestantischen Unterinnthaler mit ausgesuchten Folter¬
qualen heimsuchte. Trotzdem daß selbst der Bischof von Trient und ErzPriester
Strosio gegen die verbissenen Ultras stimmten, ergab sich doch eine Majorität
Von 23 gegen 22 für ihren Antrag auf Uebergang zur Tagesordnung. Der
Groll gegen die der weltlichen Macht des Papstes Abtrünnigen steigerte sich
aber im Kctzerrichter Giovanelli zur wahren Wuth, als ihm Tags nachher der
Aufruf des trienter Nationalcomitös vom 12. November zukam. Ein boshafter
Schalk, der wußte, daß man ihm nur das rothe Tuch vors Auge halten durfte,


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[0347] von einer „kleinen" Partei terrorisirt wird, erscheint dies nur als ein Mittel zu anderen Zwecken. Am 12. November vorigen Jahres erließ das National- comitö in Trient einen Aufruf an die Bevölkerung des alten Fürstenthums, worin es gestützt auf das Versprechen von erlauchten Lippen die baldige Vereinigung mit dem Königreich Italie» verheißt und zur würdigen Haltung nationalen Widerstands ermuntert. Ihm folgte am 18. December vorigen Jahres ein zweiter, der die Behauptung, als bestände das Conn6 nur aus Flüchtlingen im Auslande, Lügen straft, und den Trientern Muth zuruft. Diese Brandzettet befinden sich in aller Händen, jedermann kennt ihre Urheber, aber weder die Staatsanwaltschaft noch ein Gericht wagt sie anzutasten; Klug¬ heit und stilles Einverständnis) der ganzen Bevölkerung schützen sie vor Ver¬ folgung. Wie leuchtend mußte sich nicht die reine Flamme ultramontaner Loyalität abheben von dem nächtlichen Schatten des Abfalls, der auf Wälschtirol lastete? Kaum war der Landtag am 19. November vorigen Jahres eröffnet, als schon am folgenden Tage von mehren hauptsächlich der klerikal-feudalen Partei ange- hörigen Abgeordneten eine Jnterpellation an die Negierung eingebracht wurde, ob die Gerüchte von der Abtretung Wälschtirols an Italien begründet seien, und wo nicht, ob sie entschlossen sei, der dortigen Agitation mit allem Nach¬ druck entgegenzutreten. Neuen Anlaß sich gegen „die herrschende Partei in Südtirol" ausz'ulassen gab in der nächsten Sitzung vom 24. November ein An¬ trag des Landcsausschusses, wornach die schon.^.seit Jahren verschleppte Ver¬ handlung über die Abänderung der Landes- und Landtagswahlordnung zu Gunsten der Wälschtiroler auch noch weiter vertagt werden sollte. Der inns- bruckcr Religionsprofessor Grcuter. der sich bei dieser Frage in der vorletzten Session auf die Seite der Wälschen gestellt, erklärte sich nun mit einem Male gegen sie. und betonte ihre Hochverrätherische Gesinnung: „denn die letzte Wahl." meinte er, „habe bewiesen, daß die Herren nicht für Innsbruck, ja nicht einmal für Trient wählen wollten, sie wollten für Florenz und Rom wählen, was ihre politische Gesinnung so gut charal'terisirt als ihre katholische." Die Regie¬ rung sollte sich nur dazu hergeben, die Signori wieder päpstlich zu machen, etwa wie weiland Erzherzog Ferdinand, der zartfühlende Gemahl jener Phi¬ lippine Welser. der die protestantischen Unterinnthaler mit ausgesuchten Folter¬ qualen heimsuchte. Trotzdem daß selbst der Bischof von Trient und ErzPriester Strosio gegen die verbissenen Ultras stimmten, ergab sich doch eine Majorität Von 23 gegen 22 für ihren Antrag auf Uebergang zur Tagesordnung. Der Groll gegen die der weltlichen Macht des Papstes Abtrünnigen steigerte sich aber im Kctzerrichter Giovanelli zur wahren Wuth, als ihm Tags nachher der Aufruf des trienter Nationalcomitös vom 12. November zukam. Ein boshafter Schalk, der wußte, daß man ihm nur das rothe Tuch vors Auge halten durfte, Grenzboten I. 1867, 43

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_190158/347>, abgerufen am 03.10.2024.