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Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. I. Band.

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Belcredi stand. Die Komödie in Wälschtirol für den Anschluß an Italien lieh
die willkommene Handhabe.

Um die dortige Sachlage zu begreifen, ist vor allem zu errvcihnen, daß sich
Oestreich selbst in vormcirzlichcr Zeit die Schlangen groß zog. Die schwarzrolb-
goldene Fahne galt als revolutionär, deutsches Wissen war der Censur verfallen,
Hie Verwälschu-ng willkommen, weil man in Rom und seinen Jesuiten die festeste
Stütze des Reiches sah. Die Schüler der Bildungsanstalten in Trient wurden
sorgsam gewarnt vor dem erschrecklichen Systeme Kants, im Norden Monte nur
die Irrlehre, dagegen war es ihnen gestattet sich am Tyrannenhassc Alfieris und
seiner Epigonen zu begeistere >. für sie gab es nur eine wälsche Literatur, denn
auch ihre Lehrer kannten keine andere und waren fast ausnahmslos Geistliche.
Die Folgen davon zeigten sich gleich bei der ersten Gelegenheit. Im frankfurter
Parlamente begehrten die Wcilschtiroler nur die Ausscheidung ihrer Heimath
aus Deutschland, und so oft es sich seither um die Theilnahme am tiroler Land¬
tag handelte, erhoben sie sich mit leidenschaftlicher Opposition, blos ein paar
Thäler hielten noch zu Deutschtirol. Gute Freunde und Landsleute in Wien
erwirkten anfangs der fünfziger Jahre die Errichtung eigener zweiter Instanzen
für administrative und sustiziellc Angelegenheiten in Trient, dies seinen aber
noch viel zu wenig: man wollte ein abgesondertes Kronland. Kurz nachher
setzten die Ukase vom 31. December 1851 dem allen ein Ziel, und als endlich
auch der handhabe Absolutismus der Februarverfassung weichen mühte, klagte
man noch über diese und berief sich auf das Beispiel Vorarlbergs, dem freilich
nur zur Ausscheidung allznfreier Elemente aus dem frommen Tirol ein eigener
Landtag vergönnt war. Schritt für Schritt wollte man sich loswinden vom
unerträglichen Joche der Deutschen, durch unausgesetzten Widerstand zeigen, daß
Wcilschtirol der großen Mutter Italie, angehöre und das Band mit Oestreich
zerrissen habe. Mitten im Frieden, tollkühn und hoffnungslos trat der Versuch
eines Putsches auf, dem man selbst jenseits des Mincio wenigstens anscheinend
die Hilfe versagte, und zur Zeit der Concilfeicr wurden Petarden eingeschmuggelt,
deren Schrecken nur die mit brennenden Lunten durch Trient geführten Kanonen
abwandten. Diesen Thatsachen und der Furcht vor ähnlichen, welche die in
der Bischofsstadt eingesetzte höhere Polizeibehörde bewies, hielten nun dynastische
Wobldiener die freiwillige Stellung zur Landesvertheidigung am Ende des
letzten Krieges und die kurz nachher aufgetauchten Loyalitätsadressen einzelner
Gemeinden entgegen. Wie viel an der ersteren das lockende Handgeld, an
letzterer aber der unermüdliche Eifer des Polizeichefs Antheil hatten, zeigte schon
ein früherer Aufsatz dieser Blätter.*) und wenn nun beide von den Ultra¬
montanen als Beweis angeführt werden, daß die Bevölkerung Wcilschtirols nur



") S. "Der Kriei, in Tirol" im 42. Hefte der "Grenzboten" von 18"ni.

Belcredi stand. Die Komödie in Wälschtirol für den Anschluß an Italien lieh
die willkommene Handhabe.

Um die dortige Sachlage zu begreifen, ist vor allem zu errvcihnen, daß sich
Oestreich selbst in vormcirzlichcr Zeit die Schlangen groß zog. Die schwarzrolb-
goldene Fahne galt als revolutionär, deutsches Wissen war der Censur verfallen,
Hie Verwälschu-ng willkommen, weil man in Rom und seinen Jesuiten die festeste
Stütze des Reiches sah. Die Schüler der Bildungsanstalten in Trient wurden
sorgsam gewarnt vor dem erschrecklichen Systeme Kants, im Norden Monte nur
die Irrlehre, dagegen war es ihnen gestattet sich am Tyrannenhassc Alfieris und
seiner Epigonen zu begeistere >. für sie gab es nur eine wälsche Literatur, denn
auch ihre Lehrer kannten keine andere und waren fast ausnahmslos Geistliche.
Die Folgen davon zeigten sich gleich bei der ersten Gelegenheit. Im frankfurter
Parlamente begehrten die Wcilschtiroler nur die Ausscheidung ihrer Heimath
aus Deutschland, und so oft es sich seither um die Theilnahme am tiroler Land¬
tag handelte, erhoben sie sich mit leidenschaftlicher Opposition, blos ein paar
Thäler hielten noch zu Deutschtirol. Gute Freunde und Landsleute in Wien
erwirkten anfangs der fünfziger Jahre die Errichtung eigener zweiter Instanzen
für administrative und sustiziellc Angelegenheiten in Trient, dies seinen aber
noch viel zu wenig: man wollte ein abgesondertes Kronland. Kurz nachher
setzten die Ukase vom 31. December 1851 dem allen ein Ziel, und als endlich
auch der handhabe Absolutismus der Februarverfassung weichen mühte, klagte
man noch über diese und berief sich auf das Beispiel Vorarlbergs, dem freilich
nur zur Ausscheidung allznfreier Elemente aus dem frommen Tirol ein eigener
Landtag vergönnt war. Schritt für Schritt wollte man sich loswinden vom
unerträglichen Joche der Deutschen, durch unausgesetzten Widerstand zeigen, daß
Wcilschtirol der großen Mutter Italie, angehöre und das Band mit Oestreich
zerrissen habe. Mitten im Frieden, tollkühn und hoffnungslos trat der Versuch
eines Putsches auf, dem man selbst jenseits des Mincio wenigstens anscheinend
die Hilfe versagte, und zur Zeit der Concilfeicr wurden Petarden eingeschmuggelt,
deren Schrecken nur die mit brennenden Lunten durch Trient geführten Kanonen
abwandten. Diesen Thatsachen und der Furcht vor ähnlichen, welche die in
der Bischofsstadt eingesetzte höhere Polizeibehörde bewies, hielten nun dynastische
Wobldiener die freiwillige Stellung zur Landesvertheidigung am Ende des
letzten Krieges und die kurz nachher aufgetauchten Loyalitätsadressen einzelner
Gemeinden entgegen. Wie viel an der ersteren das lockende Handgeld, an
letzterer aber der unermüdliche Eifer des Polizeichefs Antheil hatten, zeigte schon
ein früherer Aufsatz dieser Blätter.*) und wenn nun beide von den Ultra¬
montanen als Beweis angeführt werden, daß die Bevölkerung Wcilschtirols nur



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[0346] Belcredi stand. Die Komödie in Wälschtirol für den Anschluß an Italien lieh die willkommene Handhabe. Um die dortige Sachlage zu begreifen, ist vor allem zu errvcihnen, daß sich Oestreich selbst in vormcirzlichcr Zeit die Schlangen groß zog. Die schwarzrolb- goldene Fahne galt als revolutionär, deutsches Wissen war der Censur verfallen, Hie Verwälschu-ng willkommen, weil man in Rom und seinen Jesuiten die festeste Stütze des Reiches sah. Die Schüler der Bildungsanstalten in Trient wurden sorgsam gewarnt vor dem erschrecklichen Systeme Kants, im Norden Monte nur die Irrlehre, dagegen war es ihnen gestattet sich am Tyrannenhassc Alfieris und seiner Epigonen zu begeistere >. für sie gab es nur eine wälsche Literatur, denn auch ihre Lehrer kannten keine andere und waren fast ausnahmslos Geistliche. Die Folgen davon zeigten sich gleich bei der ersten Gelegenheit. Im frankfurter Parlamente begehrten die Wcilschtiroler nur die Ausscheidung ihrer Heimath aus Deutschland, und so oft es sich seither um die Theilnahme am tiroler Land¬ tag handelte, erhoben sie sich mit leidenschaftlicher Opposition, blos ein paar Thäler hielten noch zu Deutschtirol. Gute Freunde und Landsleute in Wien erwirkten anfangs der fünfziger Jahre die Errichtung eigener zweiter Instanzen für administrative und sustiziellc Angelegenheiten in Trient, dies seinen aber noch viel zu wenig: man wollte ein abgesondertes Kronland. Kurz nachher setzten die Ukase vom 31. December 1851 dem allen ein Ziel, und als endlich auch der handhabe Absolutismus der Februarverfassung weichen mühte, klagte man noch über diese und berief sich auf das Beispiel Vorarlbergs, dem freilich nur zur Ausscheidung allznfreier Elemente aus dem frommen Tirol ein eigener Landtag vergönnt war. Schritt für Schritt wollte man sich loswinden vom unerträglichen Joche der Deutschen, durch unausgesetzten Widerstand zeigen, daß Wcilschtirol der großen Mutter Italie, angehöre und das Band mit Oestreich zerrissen habe. Mitten im Frieden, tollkühn und hoffnungslos trat der Versuch eines Putsches auf, dem man selbst jenseits des Mincio wenigstens anscheinend die Hilfe versagte, und zur Zeit der Concilfeicr wurden Petarden eingeschmuggelt, deren Schrecken nur die mit brennenden Lunten durch Trient geführten Kanonen abwandten. Diesen Thatsachen und der Furcht vor ähnlichen, welche die in der Bischofsstadt eingesetzte höhere Polizeibehörde bewies, hielten nun dynastische Wobldiener die freiwillige Stellung zur Landesvertheidigung am Ende des letzten Krieges und die kurz nachher aufgetauchten Loyalitätsadressen einzelner Gemeinden entgegen. Wie viel an der ersteren das lockende Handgeld, an letzterer aber der unermüdliche Eifer des Polizeichefs Antheil hatten, zeigte schon ein früherer Aufsatz dieser Blätter.*) und wenn nun beide von den Ultra¬ montanen als Beweis angeführt werden, daß die Bevölkerung Wcilschtirols nur ") S. „Der Kriei, in Tirol" im 42. Hefte der „Grenzboten" von 18«ni.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_190158/346>, abgerufen am 23.12.2024.