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Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. I. Band.

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nette, mit Inbegriff der Bischöfe und Domcapitel von Dient und Brixen 29
"Vokalen". Die erst nach der förmlichen Einführung der Stände mit Tirol
vereinigten Städte und Gerichte mußten sich mit einer halben oder viertel Stimme
begnügen, d, h. sie durften ihr Stimmrecht nur in jedem zweiten oder vierten
Jahre ausüben. nacktem^unter Bayern diese alte ständische Verfassung durch
die königliche Verordnung vom 1. Mai 1808 aufgehoben worden, Tirol aber
im Jahre 1814 wieder an Oestreich gefallen war. verlieh ihm Kaiser Franz der
Erste mit voller Anerkennung der vielfältigen Verdienste und patriotischen Ge¬
sinnungen seiner biedern Bewohner aus besonderer Gnade am 24. März 1816
eine neue, zwar mit den früheren 4 Ständen aber ohne ihre alten Rechte. Sie
versammelten sich zu den bekannten Postulatenlandtagen von 1817--1848 all¬
jährlich im Frühjahre und gaben durch ihren Knechtsinn und Jesuitismus ein
leuchtendes Beispiel.

Aus der guten alten Zeit des 18. Jahrhunderrs stammt auch der mit
Fresken und Stuckarbeit im reinsten Rococo geschmückte Saal, in dem nun die
-vorerwähnten 68 Nachfolger der tiroler Stände tagen. Wie. in andern derlei
Versammlungen sitzt der Landeshauptmann an erhöhter Stelle, rechts von ihm
der Regierungsvertreter und weiter hin der jeweilige Berichterstatter über ein¬
zelne Angelegenheiten, links die Secretäre, wozu Beamte des Landesausschusses
verwendet werden. Diesen gegenüber steigen die Schreibbänke und Stühle der
Volksvertreter im Halbkreise stufenweis hintereinander hinauf, nur in der Mitte
durch einen engen Gang geschieden.' Neben der Linken bcfuiden sich längs der
Wand bescheidene Plätze für die Zcitungsredacieure und rechts oben eine
Fensternische für die Stenographen. Die den Zuhörern geöffnete Gallerie ver"
tieft sich wie eine protestantische Emporkirche über dem Haupteingang.

Die vorderste Bankreihe ist ausschließlich den Geistlichen vorbehalten, zu
beiden Seiten des Mittelganges nehmen die Fürstbischöfe von Brixen und Trient
auf violettrothem Lehnstühlen Platz, Der erstere ist ein hochgewachsener breit¬
schulteriger Mann von lebhafter Gesichtsfarbe, trägt sich etwas gebückt und er¬
freut sich eines klaren fließenden Vortrags, wenn dieser auch nicht immer von
politischer Bildung zeugt. Sein Genosse im Hirtenamte, jener von Trient,
ein Greis mit gebleichte" Haaren, von kleinem schwächlichen Körperbau und ge¬
fälligen Umgangsformen, machte seine Schule bei der Nunciatur in München
und gilt für einen erklärten Freund der Jesuiten, die er -- wir erinnern an
P. Francoö Verhältniß zu-dem bei Gelegenheit der Concilfeier erlassenen trienter
Hirtenbrief -- in seine Nähe zog und als Rathgeber und Stilisten benutzte. Im
letzten Landtage ließ er sich nie vernehmen, stimmte aber in allen Wälschtirol
berührenden Fragen mit seinen Landsleuten auf der Linken, während sein näch¬
ster Nachbar, der Prior von Gries. einst auch Abt von Muri, ein kleiner Mann,
sich stramm zur Rechten hielt und durch einen grobkörnigen Schweizerdialekt an


nette, mit Inbegriff der Bischöfe und Domcapitel von Dient und Brixen 29
„Vokalen". Die erst nach der förmlichen Einführung der Stände mit Tirol
vereinigten Städte und Gerichte mußten sich mit einer halben oder viertel Stimme
begnügen, d, h. sie durften ihr Stimmrecht nur in jedem zweiten oder vierten
Jahre ausüben. nacktem^unter Bayern diese alte ständische Verfassung durch
die königliche Verordnung vom 1. Mai 1808 aufgehoben worden, Tirol aber
im Jahre 1814 wieder an Oestreich gefallen war. verlieh ihm Kaiser Franz der
Erste mit voller Anerkennung der vielfältigen Verdienste und patriotischen Ge¬
sinnungen seiner biedern Bewohner aus besonderer Gnade am 24. März 1816
eine neue, zwar mit den früheren 4 Ständen aber ohne ihre alten Rechte. Sie
versammelten sich zu den bekannten Postulatenlandtagen von 1817—1848 all¬
jährlich im Frühjahre und gaben durch ihren Knechtsinn und Jesuitismus ein
leuchtendes Beispiel.

Aus der guten alten Zeit des 18. Jahrhunderrs stammt auch der mit
Fresken und Stuckarbeit im reinsten Rococo geschmückte Saal, in dem nun die
-vorerwähnten 68 Nachfolger der tiroler Stände tagen. Wie. in andern derlei
Versammlungen sitzt der Landeshauptmann an erhöhter Stelle, rechts von ihm
der Regierungsvertreter und weiter hin der jeweilige Berichterstatter über ein¬
zelne Angelegenheiten, links die Secretäre, wozu Beamte des Landesausschusses
verwendet werden. Diesen gegenüber steigen die Schreibbänke und Stühle der
Volksvertreter im Halbkreise stufenweis hintereinander hinauf, nur in der Mitte
durch einen engen Gang geschieden.' Neben der Linken bcfuiden sich längs der
Wand bescheidene Plätze für die Zcitungsredacieure und rechts oben eine
Fensternische für die Stenographen. Die den Zuhörern geöffnete Gallerie ver»
tieft sich wie eine protestantische Emporkirche über dem Haupteingang.

Die vorderste Bankreihe ist ausschließlich den Geistlichen vorbehalten, zu
beiden Seiten des Mittelganges nehmen die Fürstbischöfe von Brixen und Trient
auf violettrothem Lehnstühlen Platz, Der erstere ist ein hochgewachsener breit¬
schulteriger Mann von lebhafter Gesichtsfarbe, trägt sich etwas gebückt und er¬
freut sich eines klaren fließenden Vortrags, wenn dieser auch nicht immer von
politischer Bildung zeugt. Sein Genosse im Hirtenamte, jener von Trient,
ein Greis mit gebleichte» Haaren, von kleinem schwächlichen Körperbau und ge¬
fälligen Umgangsformen, machte seine Schule bei der Nunciatur in München
und gilt für einen erklärten Freund der Jesuiten, die er — wir erinnern an
P. Francoö Verhältniß zu-dem bei Gelegenheit der Concilfeier erlassenen trienter
Hirtenbrief — in seine Nähe zog und als Rathgeber und Stilisten benutzte. Im
letzten Landtage ließ er sich nie vernehmen, stimmte aber in allen Wälschtirol
berührenden Fragen mit seinen Landsleuten auf der Linken, während sein näch¬
ster Nachbar, der Prior von Gries. einst auch Abt von Muri, ein kleiner Mann,
sich stramm zur Rechten hielt und durch einen grobkörnigen Schweizerdialekt an


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_190158/343>, abgerufen am 03.10.2024.