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Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. I. Band.

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vinzen nicht mehr zeitgemäß." Er hob hervor, daß Czechen und Ruthenen eines
als Culturvölker selbständig existiren können. "Wir Czechen können heute eine
famose Universität anlegen und alle Wissenschaften in unserer Sprache behan¬
deln." Er sprach sich endlich für die Trennung Böhmens in ein deutsches und
slawisches Gebiet aus. "Könnte man eine Abtrennung deutschen Gebietes von
Böhmen glücklich zu Stande bringen, so würde ich es mit Freude aufnehmen,
denn der slawische Böhme will nur selbständig sein, nicht erobern und andere
Elemente unterdrücken; er hat es mehr als genug gefühlt, wie wehe es einem
Volke thue, unterdrückt zu sein."

Am 23. December 1849 legte Palazky noch einmal sein Votum über die
Föderativverfassung in einem Artikel der "Mroäui novirry" dar. Es weicht von
seinen früheren Auslassungen nur in einem Punkte ab, daß er die Slowenen
Steiermarks und Krains jetzt zur südslawischen Gruppe rechnet, nicht mehr acht,
sondern sieben Ländergruppen von Nationalministerien verwaltet, forderte. Zehn
Jahre ruhte sodann der Vcrfassungsstreit; mit der Einsicht, daß eine Revolution
in Oestreich nicht zu erwarten sei, verlor die föderalistische, wesentlich revolutio¬
näre Partei ihre Grundlage. Die Mehrzahl ihrer früheren Wortführer hielt
den östreichischen Föderalismus für eine der Geschichte bereits verfallene That¬
sache und ging, wenn sie noch praktische politische Interessen besaß, andere poli¬
tische Verbindungen ein. Das Erstaunen war begreiflicherweise groß, als in den
letzten Jahren wieder die Kunde durch die Blätter sich verbreitete, die Czechen
hätten abermals die alte Fahne des Föderalismus aufgepflanzt. Wie ist das
möglich, fragten sich die Kenner der früheren Partciverhältnisse, da doch gleich¬
zeitig Loyalität und konservative Gesinnung von den Czechen behauptet wird,
sie jeden Gedanken an eine revolutionäre Agitation scharf von sich wiesen?
Nur der Name wurde, weil er lockt und blendet, wieder hervorgeholt, die Sache
ist ganz neu und durchaus nicht mit Palazkys Föderationsplänen vom Jahre
1848 zu verwechseln.

Die Czechen haben in den fünfziger Jahren, die in jeder Hinsicht schlecht
auf sie wirkten. Doppeltes eingesehen. Ihre angebliche selbständige Cultur kann
sich nicht erhalten, wenn man der deutschen Bildung nicht den Eintritt in
Böhmen gewaltsam wehrt. Sobald man dem eingebornen Böhmen die Gelegen¬
heit giebt, .deutsche und czechische Literatur zu vergleichen, wird er alsbald der
letzteren den Rücken kehren. Wenn man Goethe und Schiller lesen gelernt
hat, kann man Mikowec und Sabine nicht länger bewundern. Weiter aber
fühlten sie, daß ihr unmittelbarer Anhang, Kleinbürger und Bauern, nicht aus¬
reiche, um als politische Partei wirksam aufzutreten, sie schielten nach'Ungarn
hinüber, wo die Aristokratie und die Kirche zu den Hauptstützen der nationalen
Partei gerechnet werden und fanden es zweckmäßig, ähnliche Bundesgenossen auch
für sich zu gewinnen. Sie boten sich dem feudalen Adel und dem ultramon-


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vinzen nicht mehr zeitgemäß." Er hob hervor, daß Czechen und Ruthenen eines
als Culturvölker selbständig existiren können. „Wir Czechen können heute eine
famose Universität anlegen und alle Wissenschaften in unserer Sprache behan¬
deln." Er sprach sich endlich für die Trennung Böhmens in ein deutsches und
slawisches Gebiet aus. „Könnte man eine Abtrennung deutschen Gebietes von
Böhmen glücklich zu Stande bringen, so würde ich es mit Freude aufnehmen,
denn der slawische Böhme will nur selbständig sein, nicht erobern und andere
Elemente unterdrücken; er hat es mehr als genug gefühlt, wie wehe es einem
Volke thue, unterdrückt zu sein."

Am 23. December 1849 legte Palazky noch einmal sein Votum über die
Föderativverfassung in einem Artikel der „Mroäui novirry" dar. Es weicht von
seinen früheren Auslassungen nur in einem Punkte ab, daß er die Slowenen
Steiermarks und Krains jetzt zur südslawischen Gruppe rechnet, nicht mehr acht,
sondern sieben Ländergruppen von Nationalministerien verwaltet, forderte. Zehn
Jahre ruhte sodann der Vcrfassungsstreit; mit der Einsicht, daß eine Revolution
in Oestreich nicht zu erwarten sei, verlor die föderalistische, wesentlich revolutio¬
näre Partei ihre Grundlage. Die Mehrzahl ihrer früheren Wortführer hielt
den östreichischen Föderalismus für eine der Geschichte bereits verfallene That¬
sache und ging, wenn sie noch praktische politische Interessen besaß, andere poli¬
tische Verbindungen ein. Das Erstaunen war begreiflicherweise groß, als in den
letzten Jahren wieder die Kunde durch die Blätter sich verbreitete, die Czechen
hätten abermals die alte Fahne des Föderalismus aufgepflanzt. Wie ist das
möglich, fragten sich die Kenner der früheren Partciverhältnisse, da doch gleich¬
zeitig Loyalität und konservative Gesinnung von den Czechen behauptet wird,
sie jeden Gedanken an eine revolutionäre Agitation scharf von sich wiesen?
Nur der Name wurde, weil er lockt und blendet, wieder hervorgeholt, die Sache
ist ganz neu und durchaus nicht mit Palazkys Föderationsplänen vom Jahre
1848 zu verwechseln.

Die Czechen haben in den fünfziger Jahren, die in jeder Hinsicht schlecht
auf sie wirkten. Doppeltes eingesehen. Ihre angebliche selbständige Cultur kann
sich nicht erhalten, wenn man der deutschen Bildung nicht den Eintritt in
Böhmen gewaltsam wehrt. Sobald man dem eingebornen Böhmen die Gelegen¬
heit giebt, .deutsche und czechische Literatur zu vergleichen, wird er alsbald der
letzteren den Rücken kehren. Wenn man Goethe und Schiller lesen gelernt
hat, kann man Mikowec und Sabine nicht länger bewundern. Weiter aber
fühlten sie, daß ihr unmittelbarer Anhang, Kleinbürger und Bauern, nicht aus¬
reiche, um als politische Partei wirksam aufzutreten, sie schielten nach'Ungarn
hinüber, wo die Aristokratie und die Kirche zu den Hauptstützen der nationalen
Partei gerechnet werden und fanden es zweckmäßig, ähnliche Bundesgenossen auch
für sich zu gewinnen. Sie boten sich dem feudalen Adel und dem ultramon-


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[0341] vinzen nicht mehr zeitgemäß." Er hob hervor, daß Czechen und Ruthenen eines als Culturvölker selbständig existiren können. „Wir Czechen können heute eine famose Universität anlegen und alle Wissenschaften in unserer Sprache behan¬ deln." Er sprach sich endlich für die Trennung Böhmens in ein deutsches und slawisches Gebiet aus. „Könnte man eine Abtrennung deutschen Gebietes von Böhmen glücklich zu Stande bringen, so würde ich es mit Freude aufnehmen, denn der slawische Böhme will nur selbständig sein, nicht erobern und andere Elemente unterdrücken; er hat es mehr als genug gefühlt, wie wehe es einem Volke thue, unterdrückt zu sein." Am 23. December 1849 legte Palazky noch einmal sein Votum über die Föderativverfassung in einem Artikel der „Mroäui novirry" dar. Es weicht von seinen früheren Auslassungen nur in einem Punkte ab, daß er die Slowenen Steiermarks und Krains jetzt zur südslawischen Gruppe rechnet, nicht mehr acht, sondern sieben Ländergruppen von Nationalministerien verwaltet, forderte. Zehn Jahre ruhte sodann der Vcrfassungsstreit; mit der Einsicht, daß eine Revolution in Oestreich nicht zu erwarten sei, verlor die föderalistische, wesentlich revolutio¬ näre Partei ihre Grundlage. Die Mehrzahl ihrer früheren Wortführer hielt den östreichischen Föderalismus für eine der Geschichte bereits verfallene That¬ sache und ging, wenn sie noch praktische politische Interessen besaß, andere poli¬ tische Verbindungen ein. Das Erstaunen war begreiflicherweise groß, als in den letzten Jahren wieder die Kunde durch die Blätter sich verbreitete, die Czechen hätten abermals die alte Fahne des Föderalismus aufgepflanzt. Wie ist das möglich, fragten sich die Kenner der früheren Partciverhältnisse, da doch gleich¬ zeitig Loyalität und konservative Gesinnung von den Czechen behauptet wird, sie jeden Gedanken an eine revolutionäre Agitation scharf von sich wiesen? Nur der Name wurde, weil er lockt und blendet, wieder hervorgeholt, die Sache ist ganz neu und durchaus nicht mit Palazkys Föderationsplänen vom Jahre 1848 zu verwechseln. Die Czechen haben in den fünfziger Jahren, die in jeder Hinsicht schlecht auf sie wirkten. Doppeltes eingesehen. Ihre angebliche selbständige Cultur kann sich nicht erhalten, wenn man der deutschen Bildung nicht den Eintritt in Böhmen gewaltsam wehrt. Sobald man dem eingebornen Böhmen die Gelegen¬ heit giebt, .deutsche und czechische Literatur zu vergleichen, wird er alsbald der letzteren den Rücken kehren. Wenn man Goethe und Schiller lesen gelernt hat, kann man Mikowec und Sabine nicht länger bewundern. Weiter aber fühlten sie, daß ihr unmittelbarer Anhang, Kleinbürger und Bauern, nicht aus¬ reiche, um als politische Partei wirksam aufzutreten, sie schielten nach'Ungarn hinüber, wo die Aristokratie und die Kirche zu den Hauptstützen der nationalen Partei gerechnet werden und fanden es zweckmäßig, ähnliche Bundesgenossen auch für sich zu gewinnen. Sie boten sich dem feudalen Adel und dem ultramon- 42*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_190158/341>, abgerufen am 23.12.2024.