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Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. I. Band.

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reichen neuen Wendungen zu vermehren und führte einen Stil in der Presse und
Volksrede ein. der sich durch ein seltsames Gemisch von Burleske und Coulissen-
Pathos charakterisirte. Hatte heute einer dieser Olympier mit Emphase aus¬
gerufen: "Das preußische Volk sitzt zur einen Hälfte "n Zuchthaus, zur andern
in der Kaserne", so gefiel sich morgen ein Anderer in der Maske generösen
Mitleids um das arme, vom Machtschwindel bethörte preussische Volk, das man
um der wenigen Gerechten willen noch nicht ganz verstoßen dürfe, denn so lange
es noch einen Frese und einen Jacoby besitze, sei "och nicht jegliches Band mit
ihm zerschnitten. Fleißig trieb man die Getreuen zu Volksversammlungen zu¬
sammen, insbesondere ans dem Lande unter den "schlichten Bauersleuten" suchte
man viel zu willen, und die affectirte Ernsthaftigkeit, mit der man über solche
Streifzüge in die Dorfschcnken als über große Staatsbegebenheiten spaltenlang
in den Zeitungen berichtete, sollte die Kleinheit der Eefolge decken. Las man
einen dieser Berichte, so mußte man gewaltigen Respect bekommen vor den
"klaren und lichten" Ausführungen, die "in bekannter kerniger Weise" hier zum
Besten gegeben wurden, vor den "ungekünstelten Reden der schlichten Männer",
vor dem "richtigen Verständniß, mit dem unsere Landsleute trotz ihres schlichten
Aussehens,für politische Fragen begabt sind", vor dem "guten Beispiel, welches
die Schwaben durch treues Festhalten am Recht den Brudcrstcimmen geben".
Las man aber wochenlang täglich ein halb Dutzend dieser Berichte, die sich
glichen wie ein El dem andern, so blieb schließlich neben dem Eindruck der
Langeweile doch nur der zurück, daß sich die Verfasser dieser Berichte gewaltig
amüsirten und mit den "freien schlichten, Männern" ihren gnädigen Scherz
trieben.

Das Bewußtsein, für eine verzweifelte und verlorene Sache zu kämpfen,
spricht im Grunde deutlich aus diesem Carnevalstreiben; es ist auch schon in
entschlüpften Geständnissen zu Tage getreten, daß man nicht mehr im Ernst
daran denkt, vom Nesenvach aus den Hebel zur Umwälzung Deutschlands und
zur Vernichtung Preußens anzusetzen. Die Politik der nächtlichen Axt hat selbst
in den dunkelsten Tagen des vorigen Jahres keinen Anklang gefunden. Die
"schlichten Männer" sind wohl zum Unterschreiben von Adressen zu brauchen-
zumal wenn, wie es in einer großen, Landgemeinde der Fall war, der Polizei-
diener das Papier der Vvltspaitci cvlportirt mit dem ermunternden Zuspruch:
"Dia mo all preußisch werda wvllat, sollat unterschreibt,". Aber sie wür¬
den doch sehr ernstlich den Dienst versagen, wenn die Massenerhcbung des Sü¬
dens zur Eroberung der Freiheit je wagen würde, aus dem gefahrlosen Stadium
der Phrase herauszutreten. Schon der verbissene Ingrimm der Gegner ist der
beste Beweis, wie viel Boden ihnen die deutsche Partei, oder in der Kunstsprache
des Föderalismus zu reden, die "s es in al zw el es e lud e n Erfolganbetcr", die
"Knechtsscclcn des Eorporal>hin"s" abgewonnen Habens Zu Neujahr brachte der


Grenzboten I, 1867. 40

reichen neuen Wendungen zu vermehren und führte einen Stil in der Presse und
Volksrede ein. der sich durch ein seltsames Gemisch von Burleske und Coulissen-
Pathos charakterisirte. Hatte heute einer dieser Olympier mit Emphase aus¬
gerufen: „Das preußische Volk sitzt zur einen Hälfte »n Zuchthaus, zur andern
in der Kaserne", so gefiel sich morgen ein Anderer in der Maske generösen
Mitleids um das arme, vom Machtschwindel bethörte preussische Volk, das man
um der wenigen Gerechten willen noch nicht ganz verstoßen dürfe, denn so lange
es noch einen Frese und einen Jacoby besitze, sei »och nicht jegliches Band mit
ihm zerschnitten. Fleißig trieb man die Getreuen zu Volksversammlungen zu¬
sammen, insbesondere ans dem Lande unter den „schlichten Bauersleuten" suchte
man viel zu willen, und die affectirte Ernsthaftigkeit, mit der man über solche
Streifzüge in die Dorfschcnken als über große Staatsbegebenheiten spaltenlang
in den Zeitungen berichtete, sollte die Kleinheit der Eefolge decken. Las man
einen dieser Berichte, so mußte man gewaltigen Respect bekommen vor den
„klaren und lichten" Ausführungen, die „in bekannter kerniger Weise" hier zum
Besten gegeben wurden, vor den „ungekünstelten Reden der schlichten Männer",
vor dem „richtigen Verständniß, mit dem unsere Landsleute trotz ihres schlichten
Aussehens,für politische Fragen begabt sind", vor dem „guten Beispiel, welches
die Schwaben durch treues Festhalten am Recht den Brudcrstcimmen geben".
Las man aber wochenlang täglich ein halb Dutzend dieser Berichte, die sich
glichen wie ein El dem andern, so blieb schließlich neben dem Eindruck der
Langeweile doch nur der zurück, daß sich die Verfasser dieser Berichte gewaltig
amüsirten und mit den „freien schlichten, Männern" ihren gnädigen Scherz
trieben.

Das Bewußtsein, für eine verzweifelte und verlorene Sache zu kämpfen,
spricht im Grunde deutlich aus diesem Carnevalstreiben; es ist auch schon in
entschlüpften Geständnissen zu Tage getreten, daß man nicht mehr im Ernst
daran denkt, vom Nesenvach aus den Hebel zur Umwälzung Deutschlands und
zur Vernichtung Preußens anzusetzen. Die Politik der nächtlichen Axt hat selbst
in den dunkelsten Tagen des vorigen Jahres keinen Anklang gefunden. Die
„schlichten Männer" sind wohl zum Unterschreiben von Adressen zu brauchen-
zumal wenn, wie es in einer großen, Landgemeinde der Fall war, der Polizei-
diener das Papier der Vvltspaitci cvlportirt mit dem ermunternden Zuspruch:
„Dia mo all preußisch werda wvllat, sollat unterschreibt,". Aber sie wür¬
den doch sehr ernstlich den Dienst versagen, wenn die Massenerhcbung des Sü¬
dens zur Eroberung der Freiheit je wagen würde, aus dem gefahrlosen Stadium
der Phrase herauszutreten. Schon der verbissene Ingrimm der Gegner ist der
beste Beweis, wie viel Boden ihnen die deutsche Partei, oder in der Kunstsprache
des Föderalismus zu reden, die „s es in al zw el es e lud e n Erfolganbetcr", die
„Knechtsscclcn des Eorporal>hin»s" abgewonnen Habens Zu Neujahr brachte der


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_190158/323>, abgerufen am 23.12.2024.