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Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. I. Band.

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kommen, die in den Nachbarstaaten wegen der Beschaffenheit der Ministerien
wie der Kammer" mehr oder weniger überflüssig waren. In Würtemberg aber,
wo die deutsche Partei als eine kleine Minorität gegen das Ende des Kriegs
heivorgetreten ist und gegen das Ministerium, gegen die Kammer, gegen die
Volkspartei, also gegen lauter organisirte Mächte des Particularismus den
Kampf aufzunehmen hatte, konnte nur langsam Terrain gewonnen werden. Es
galt neben der künstlich hervorgerufenen Erhitzung der Gemüther zugleich seit
lange im schwäbischen Volke festgewurzelte Vorurtheile und Gewohnheiten zu
erschüttern, es galt für das Verständniß der einfachsten Elemente einer natio¬
nalen Politik erst den Gegnern den Boden abzuringen. Was anderwärts längst
selbstverständlich ist, darum mußte hier nachträglich ein Kampf geführt werden,
und es wiederholte sich in höherem Grade, was schon bei dem Handelsvertrags¬
streit auffällig hervorgetreten war, der eben dann anfing die Gemüther in
Schwaben zu beschäftigen, als die Sache überall sonst entschieden war. Man
konnte sich nicht verhehlen, daß wir alten Träger der Neichssturmfahne, eine
Reminiscenz, die so gern aufgefrischt wurde, nunmehr glücklich bis ins Hinter¬
treffen gerutscht waren, es erfüllte sich das Wort: die Ersten werden die Letzten
sein, und wenn man an das Schauspiel, das die aufsteigende staatenbildende
Kraft des Nordens bot, die Kleinlichkeit und Jämmerlichkeit der Dinge im Sü¬
den hielt, wenn man sich das ökonomische Zurückbleiben im Süden vergegen¬
wärtigte, die Armuth an politischen Persönlichkeiten, den Rückgang der süddeut¬
schen Universitäten, die Abhängigkeit des geistige" Lebens vom Norden, so war
dies alles noch empfindlicher als die Abhängigkeit, an die man jeden Augen¬
blick auf dem Gebiete der Zollpolitik erinnert wurde.

Daß die Volkspartei Himmel und Erde in Bewegung setzte, als sie den
von ihr so sorgfältig bebauten Boden unter sich wanken spürte, versteht sich
von selbst. Ihre Polemik nahm womöglich noch massivere Formen an, auf
diesem Felde wenigstens sollte der Stammeseigenthümlichkeit die Palme gewahrt
bleiben. Von Verfolgung eines bestimmten politischen Gedankens war längst
nicht mehr die Rede. wenn man nicht etwa die unverdrossenen Variationen der
Phrase: durch Freiheit zur Einheit, hierher rechnen will. Mit dem Südbund
konnte man sich nicht länger compromittiren, und Anderes war man so klug
lieber anzudeuten als auszusprechen. Die Hceresfrage wurde zu eine", Scherz
erniedrigt, indem man dreimonatliche Präsenzzeit auf die Fahne schrieb.
Die intime Freundschaft mit dein Ministerium ging unvermeidlich in die Brüche,
man griff es um so heftiger an, je mehr es sich Preußen zu nähern schien;
aber man schmeichelte zugleich der .Krone, indem man ans den "Landesverrat!,)"
der preußischen Partei mit Fingern deutete und den Machthaber auf die betref¬
fenden Paragraphen des Strafgesetzbuchs aufmerksam machte. Man strengte
allen Witz an, um das Wörterbuch der demokratischen Kraftsprache mit kunst-


kommen, die in den Nachbarstaaten wegen der Beschaffenheit der Ministerien
wie der Kammer» mehr oder weniger überflüssig waren. In Würtemberg aber,
wo die deutsche Partei als eine kleine Minorität gegen das Ende des Kriegs
heivorgetreten ist und gegen das Ministerium, gegen die Kammer, gegen die
Volkspartei, also gegen lauter organisirte Mächte des Particularismus den
Kampf aufzunehmen hatte, konnte nur langsam Terrain gewonnen werden. Es
galt neben der künstlich hervorgerufenen Erhitzung der Gemüther zugleich seit
lange im schwäbischen Volke festgewurzelte Vorurtheile und Gewohnheiten zu
erschüttern, es galt für das Verständniß der einfachsten Elemente einer natio¬
nalen Politik erst den Gegnern den Boden abzuringen. Was anderwärts längst
selbstverständlich ist, darum mußte hier nachträglich ein Kampf geführt werden,
und es wiederholte sich in höherem Grade, was schon bei dem Handelsvertrags¬
streit auffällig hervorgetreten war, der eben dann anfing die Gemüther in
Schwaben zu beschäftigen, als die Sache überall sonst entschieden war. Man
konnte sich nicht verhehlen, daß wir alten Träger der Neichssturmfahne, eine
Reminiscenz, die so gern aufgefrischt wurde, nunmehr glücklich bis ins Hinter¬
treffen gerutscht waren, es erfüllte sich das Wort: die Ersten werden die Letzten
sein, und wenn man an das Schauspiel, das die aufsteigende staatenbildende
Kraft des Nordens bot, die Kleinlichkeit und Jämmerlichkeit der Dinge im Sü¬
den hielt, wenn man sich das ökonomische Zurückbleiben im Süden vergegen¬
wärtigte, die Armuth an politischen Persönlichkeiten, den Rückgang der süddeut¬
schen Universitäten, die Abhängigkeit des geistige» Lebens vom Norden, so war
dies alles noch empfindlicher als die Abhängigkeit, an die man jeden Augen¬
blick auf dem Gebiete der Zollpolitik erinnert wurde.

Daß die Volkspartei Himmel und Erde in Bewegung setzte, als sie den
von ihr so sorgfältig bebauten Boden unter sich wanken spürte, versteht sich
von selbst. Ihre Polemik nahm womöglich noch massivere Formen an, auf
diesem Felde wenigstens sollte der Stammeseigenthümlichkeit die Palme gewahrt
bleiben. Von Verfolgung eines bestimmten politischen Gedankens war längst
nicht mehr die Rede. wenn man nicht etwa die unverdrossenen Variationen der
Phrase: durch Freiheit zur Einheit, hierher rechnen will. Mit dem Südbund
konnte man sich nicht länger compromittiren, und Anderes war man so klug
lieber anzudeuten als auszusprechen. Die Hceresfrage wurde zu eine», Scherz
erniedrigt, indem man dreimonatliche Präsenzzeit auf die Fahne schrieb.
Die intime Freundschaft mit dein Ministerium ging unvermeidlich in die Brüche,
man griff es um so heftiger an, je mehr es sich Preußen zu nähern schien;
aber man schmeichelte zugleich der .Krone, indem man ans den „Landesverrat!,)"
der preußischen Partei mit Fingern deutete und den Machthaber auf die betref¬
fenden Paragraphen des Strafgesetzbuchs aufmerksam machte. Man strengte
allen Witz an, um das Wörterbuch der demokratischen Kraftsprache mit kunst-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_190158/322>, abgerufen am 23.12.2024.