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Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. I. Band.

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Nähe seines Palastes wohnt, kann ihn auch sonst fast täglich vorbeireiten oder
fahren sehen. Ein längerer Zug von Dienern und Pferden, eine berittene
Escorte, etwas mehr Ceremoniell als schon vornehme Türken nach orientalischer
Sitte beanspruchen, das ist alles. Schweigend vereint ihn das Volk, aber nicht
devot; sehr vereinzelt sind die Fälle, daß einzelne ans der Menge sich vor ihm
niederwerfen, den Saum seines Gewandes zu küssen. Wiederum grüßt auch
>er Sultan nicht anders als schweigend, durch einen Blick. Abdul Mcdschid
verletzte die Etikette und ging darin weiter noch als sein Vater, weiter auch als
nöthig war. Es war ein Zeichen seiner Gutherzigkeit, daß er einst den Dra¬
goman der preußischen Gesandtschaft, der von einem Türken insultirt worden
war, bei der ersten Begegnung auf der großen Hauptbrücke zu Konstantinopel
ansprach, ihm sein Bedauern ausdrückte und Genugthuung zusagte; aber das
Volk murrte, daß er seiner Würde dadurch vergäbe. Er besuchte einen Ball
des englischen Gesandten, unterhielt sich mit den anwesenden Damen -- bei
welcher Gelegenheit er, beiläufig gesagt, die preußische Gesandtin sehr an¬
gelegentlich nach der Hausordnung und den Studienplänen des halleschcn Päda¬
gogiums befragte --, ja er besuchte als Zuschauer einen Maskenball bei dem
französischen Gesandten, der ihm freilich wenig behagte, sondern als unsinniger
Mummenschcrz mehr indignirtc. Das war etwas Unerhörtes, galt als ein
Wegwerfen seiner Majestät, als ein Zugeständnis; an die Regierung der Diplo¬
maten. Und wenn man hört, daß der Sultan zu einem dieser Feste eine
Stunde zu früh kam, den Saal noch dunkel, den Wirth und die Wirthin
noch nicht bereit fand, so war das allerdings eine Ungeschicklichkeit, welche auch
bei uns mit der Würde eines Fürsten nicht recht verträglich wäre. Die Türken
machten ihm das begreiflich, indem sie beide Male in derselben Nacht ihm einen
Kiosk am Bosporus niederbrannten; dasselbe geschah, als er einer Musterung
der englischen Truppen bei Scuiari beiwohnte.

Abdul Medschid that das alles aus angeborner Herzensgüte. Wie er auf
die Nachricht, einer seiner Stallknechte sei im Bosporus ertrunken, das Verbot
ausgehen ließ, das er doch bald wieder zurücknehmen müße, niemand solle mehr
im Sunde baden, so folgte er nur dem natürlichen Zuge seines Herzens, der
ihn trieb, sich gegen die Vertreter der fremden Mächte, mit denen auf gutem
Fuß zu stehen sein ernstlicher Wunsch war, leutselig zu zeigen. Eine solche
Natur war mehr zum Behenschtwerdcn als zum Herrschen gemacht. Es war
um Glück, daß ihm Minister zur Seite standen, die in der Schule des alten
Mahmud groß gezogen, den festen Willen und die redliche Absicht hatten, auf
dem Wege der Reformen weiterzugehen, wie Chosrcw Pascha. Haut Pascha.
allem der ganz europäisch gebildete, westlicher Civilisation entschieden zu-
gethane Neschid Pascha, endlich der iniclligcntcste. fcingcbildetstc aller, auch ein
lauterer, von wahrem Patriotismus erfüllter Charakter, die zuverlässigste Stütze


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Nähe seines Palastes wohnt, kann ihn auch sonst fast täglich vorbeireiten oder
fahren sehen. Ein längerer Zug von Dienern und Pferden, eine berittene
Escorte, etwas mehr Ceremoniell als schon vornehme Türken nach orientalischer
Sitte beanspruchen, das ist alles. Schweigend vereint ihn das Volk, aber nicht
devot; sehr vereinzelt sind die Fälle, daß einzelne ans der Menge sich vor ihm
niederwerfen, den Saum seines Gewandes zu küssen. Wiederum grüßt auch
>er Sultan nicht anders als schweigend, durch einen Blick. Abdul Mcdschid
verletzte die Etikette und ging darin weiter noch als sein Vater, weiter auch als
nöthig war. Es war ein Zeichen seiner Gutherzigkeit, daß er einst den Dra¬
goman der preußischen Gesandtschaft, der von einem Türken insultirt worden
war, bei der ersten Begegnung auf der großen Hauptbrücke zu Konstantinopel
ansprach, ihm sein Bedauern ausdrückte und Genugthuung zusagte; aber das
Volk murrte, daß er seiner Würde dadurch vergäbe. Er besuchte einen Ball
des englischen Gesandten, unterhielt sich mit den anwesenden Damen — bei
welcher Gelegenheit er, beiläufig gesagt, die preußische Gesandtin sehr an¬
gelegentlich nach der Hausordnung und den Studienplänen des halleschcn Päda¬
gogiums befragte —, ja er besuchte als Zuschauer einen Maskenball bei dem
französischen Gesandten, der ihm freilich wenig behagte, sondern als unsinniger
Mummenschcrz mehr indignirtc. Das war etwas Unerhörtes, galt als ein
Wegwerfen seiner Majestät, als ein Zugeständnis; an die Regierung der Diplo¬
maten. Und wenn man hört, daß der Sultan zu einem dieser Feste eine
Stunde zu früh kam, den Saal noch dunkel, den Wirth und die Wirthin
noch nicht bereit fand, so war das allerdings eine Ungeschicklichkeit, welche auch
bei uns mit der Würde eines Fürsten nicht recht verträglich wäre. Die Türken
machten ihm das begreiflich, indem sie beide Male in derselben Nacht ihm einen
Kiosk am Bosporus niederbrannten; dasselbe geschah, als er einer Musterung
der englischen Truppen bei Scuiari beiwohnte.

Abdul Medschid that das alles aus angeborner Herzensgüte. Wie er auf
die Nachricht, einer seiner Stallknechte sei im Bosporus ertrunken, das Verbot
ausgehen ließ, das er doch bald wieder zurücknehmen müße, niemand solle mehr
im Sunde baden, so folgte er nur dem natürlichen Zuge seines Herzens, der
ihn trieb, sich gegen die Vertreter der fremden Mächte, mit denen auf gutem
Fuß zu stehen sein ernstlicher Wunsch war, leutselig zu zeigen. Eine solche
Natur war mehr zum Behenschtwerdcn als zum Herrschen gemacht. Es war
um Glück, daß ihm Minister zur Seite standen, die in der Schule des alten
Mahmud groß gezogen, den festen Willen und die redliche Absicht hatten, auf
dem Wege der Reformen weiterzugehen, wie Chosrcw Pascha. Haut Pascha.
allem der ganz europäisch gebildete, westlicher Civilisation entschieden zu-
gethane Neschid Pascha, endlich der iniclligcntcste. fcingcbildetstc aller, auch ein
lauterer, von wahrem Patriotismus erfüllter Charakter, die zuverlässigste Stütze


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_190158/309>, abgerufen am 23.12.2024.