Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

Heirath zu machen, sie ist dann besser daran als meine Adoptivtochter; gehalten
und geliebt werden sie in meinem Hause gleichmäßig. Aber meine Adoptiv¬
tochter heirathet dereinst nur einen armen Schlucker, der durch mich z" etwas
gelangen will. Die allein und unabhängig, ohne Verwandtschaft und Anhang
dastehende Sklavin aber ist eine Partie für einen Mann, der schon durch sich
selbst etwas bedeutet." -- Die Sultani" Mutter war eine georgische Sklavin;
sie wurde als Tochter eines christlichen Priesters in ihrer Kindheit von Türken
gerankt -- ein Fall, der damals noch nicht wie jetzt zur Seltenheit gehörte --,
wurde im Hause eines türkischen Großen mit dessen Kindern erzogen und wegen
ihrer Vorzüge dann zur Gemahlin Sultan Mahmuds erhoben.

Daß aber auch die Si'lavcuknabcn Carriere machen können, davon gab es
und giebt es noch in Konstantinopel Beispiele in Menge. Haut Pascha, Groß-
vczier im Anfang der vierziger Jahre und Schwiegersohn Sultan Mahmuds des
Erste", war ursprünglich Sklave; Niza Pascha, im Jahre 1836 Kriegsminister,
war dreißig Jahre früher noch als Sklave Gehülfe im ägyptischen Bazar. kam
dann zu den Sklaven Sultan Mahmuds und stieg zur höchsten Würde im Reich
empor. Der alte Chosrcw Pascha, der wiederholt Großvezicr gewesen war und
hundertjährig im Jahre 18K6 starb, als ältester Zeuge des alten Regime, war
selbst ursprünglich ein verwachsener aus Georgien stammender Sklave und zählte
unter seinen eigenen Freigelassenen wiederum dreiundvierzig Paschas und unter
diesen dreiundzwanzig Vezicrc und zwei Schwäger des Großherrn.

Bei weitem größer als die Zahl der weißen Sklaven ist die der schwarzen.
Aber sie werden nicht mehr importirt, sondern recrutiren sich aus sich selbst,
werden von ben Familien unter der Hand eingetauscht, abgetreten und abgekauft
und müsse", da sie in der Regel nach einer größeren Reihe von Dienstjahren
freigelassen werde", mit der Zeit immer mehr znsammcnschwindcn. Auch ihr
Verhältniß ist mehr das auf Lebenszeit gedungener Dienstleute als rechtloser
Knechte. Sie gehören zum Hausstande der Herren, zur Familie im antiken
Sinn; sie werden ans das Beste gehalten, verheirathen sich im Dienst; ihre
sorgenfreie Existenz bestimmt sie gewöhnlich, auch nach ihrer Freilassung in den
früheren Verhältnissen zu bleiben. Bettler sind unter den Türken keine häufige
Erscheinung, aber wenn sie sich finden, so ist das gewürfelte Tuch (das Abzeichen
der Freigelassenen) grade hier besonders oft vertreten.

Eine schlimme Folge der Sklaverei ist aber die selbstische Jsolirung des
Individuums in der türkischen Gesellschaft. Indem die vornehme Welt und
jeder, der durch Rang, Grundbesitz oder sonstiges Vermögen zu den Wohl¬
habenden gehört, sich in patriarchalischer Weise in seinem Hausstande sein klei¬
nes Reich schafft, in welchem er in glücklicher Selbstzufriedenheit herrscht, inner¬
halb dessen fast alles zum Leben Nöthige von der Händearbeit und Geschicklich-
keit der Genossenschaft bestritte" wird, löst sich die bürgerliche Gesellschaft z"


Heirath zu machen, sie ist dann besser daran als meine Adoptivtochter; gehalten
und geliebt werden sie in meinem Hause gleichmäßig. Aber meine Adoptiv¬
tochter heirathet dereinst nur einen armen Schlucker, der durch mich z» etwas
gelangen will. Die allein und unabhängig, ohne Verwandtschaft und Anhang
dastehende Sklavin aber ist eine Partie für einen Mann, der schon durch sich
selbst etwas bedeutet." — Die Sultani» Mutter war eine georgische Sklavin;
sie wurde als Tochter eines christlichen Priesters in ihrer Kindheit von Türken
gerankt — ein Fall, der damals noch nicht wie jetzt zur Seltenheit gehörte —,
wurde im Hause eines türkischen Großen mit dessen Kindern erzogen und wegen
ihrer Vorzüge dann zur Gemahlin Sultan Mahmuds erhoben.

Daß aber auch die Si'lavcuknabcn Carriere machen können, davon gab es
und giebt es noch in Konstantinopel Beispiele in Menge. Haut Pascha, Groß-
vczier im Anfang der vierziger Jahre und Schwiegersohn Sultan Mahmuds des
Erste», war ursprünglich Sklave; Niza Pascha, im Jahre 1836 Kriegsminister,
war dreißig Jahre früher noch als Sklave Gehülfe im ägyptischen Bazar. kam
dann zu den Sklaven Sultan Mahmuds und stieg zur höchsten Würde im Reich
empor. Der alte Chosrcw Pascha, der wiederholt Großvezicr gewesen war und
hundertjährig im Jahre 18K6 starb, als ältester Zeuge des alten Regime, war
selbst ursprünglich ein verwachsener aus Georgien stammender Sklave und zählte
unter seinen eigenen Freigelassenen wiederum dreiundvierzig Paschas und unter
diesen dreiundzwanzig Vezicrc und zwei Schwäger des Großherrn.

Bei weitem größer als die Zahl der weißen Sklaven ist die der schwarzen.
Aber sie werden nicht mehr importirt, sondern recrutiren sich aus sich selbst,
werden von ben Familien unter der Hand eingetauscht, abgetreten und abgekauft
und müsse», da sie in der Regel nach einer größeren Reihe von Dienstjahren
freigelassen werde», mit der Zeit immer mehr znsammcnschwindcn. Auch ihr
Verhältniß ist mehr das auf Lebenszeit gedungener Dienstleute als rechtloser
Knechte. Sie gehören zum Hausstande der Herren, zur Familie im antiken
Sinn; sie werden ans das Beste gehalten, verheirathen sich im Dienst; ihre
sorgenfreie Existenz bestimmt sie gewöhnlich, auch nach ihrer Freilassung in den
früheren Verhältnissen zu bleiben. Bettler sind unter den Türken keine häufige
Erscheinung, aber wenn sie sich finden, so ist das gewürfelte Tuch (das Abzeichen
der Freigelassenen) grade hier besonders oft vertreten.

Eine schlimme Folge der Sklaverei ist aber die selbstische Jsolirung des
Individuums in der türkischen Gesellschaft. Indem die vornehme Welt und
jeder, der durch Rang, Grundbesitz oder sonstiges Vermögen zu den Wohl¬
habenden gehört, sich in patriarchalischer Weise in seinem Hausstande sein klei¬
nes Reich schafft, in welchem er in glücklicher Selbstzufriedenheit herrscht, inner¬
halb dessen fast alles zum Leben Nöthige von der Händearbeit und Geschicklich-
keit der Genossenschaft bestritte» wird, löst sich die bürgerliche Gesellschaft z»


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0306" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/190465"/>
          <p xml:id="ID_1048" prev="#ID_1047"> Heirath zu machen, sie ist dann besser daran als meine Adoptivtochter; gehalten<lb/>
und geliebt werden sie in meinem Hause gleichmäßig. Aber meine Adoptiv¬<lb/>
tochter heirathet dereinst nur einen armen Schlucker, der durch mich z» etwas<lb/>
gelangen will. Die allein und unabhängig, ohne Verwandtschaft und Anhang<lb/>
dastehende Sklavin aber ist eine Partie für einen Mann, der schon durch sich<lb/>
selbst etwas bedeutet." &#x2014; Die Sultani» Mutter war eine georgische Sklavin;<lb/>
sie wurde als Tochter eines christlichen Priesters in ihrer Kindheit von Türken<lb/>
gerankt &#x2014; ein Fall, der damals noch nicht wie jetzt zur Seltenheit gehörte &#x2014;,<lb/>
wurde im Hause eines türkischen Großen mit dessen Kindern erzogen und wegen<lb/>
ihrer Vorzüge dann zur Gemahlin Sultan Mahmuds erhoben.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1049"> Daß aber auch die Si'lavcuknabcn Carriere machen können, davon gab es<lb/>
und giebt es noch in Konstantinopel Beispiele in Menge. Haut Pascha, Groß-<lb/>
vczier im Anfang der vierziger Jahre und Schwiegersohn Sultan Mahmuds des<lb/>
Erste», war ursprünglich Sklave; Niza Pascha, im Jahre 1836 Kriegsminister,<lb/>
war dreißig Jahre früher noch als Sklave Gehülfe im ägyptischen Bazar. kam<lb/>
dann zu den Sklaven Sultan Mahmuds und stieg zur höchsten Würde im Reich<lb/>
empor. Der alte Chosrcw Pascha, der wiederholt Großvezicr gewesen war und<lb/>
hundertjährig im Jahre 18K6 starb, als ältester Zeuge des alten Regime, war<lb/>
selbst ursprünglich ein verwachsener aus Georgien stammender Sklave und zählte<lb/>
unter seinen eigenen Freigelassenen wiederum dreiundvierzig Paschas und unter<lb/>
diesen dreiundzwanzig Vezicrc und zwei Schwäger des Großherrn.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1050"> Bei weitem größer als die Zahl der weißen Sklaven ist die der schwarzen.<lb/>
Aber sie werden nicht mehr importirt, sondern recrutiren sich aus sich selbst,<lb/>
werden von ben Familien unter der Hand eingetauscht, abgetreten und abgekauft<lb/>
und müsse», da sie in der Regel nach einer größeren Reihe von Dienstjahren<lb/>
freigelassen werde», mit der Zeit immer mehr znsammcnschwindcn. Auch ihr<lb/>
Verhältniß ist mehr das auf Lebenszeit gedungener Dienstleute als rechtloser<lb/>
Knechte. Sie gehören zum Hausstande der Herren, zur Familie im antiken<lb/>
Sinn; sie werden ans das Beste gehalten, verheirathen sich im Dienst; ihre<lb/>
sorgenfreie Existenz bestimmt sie gewöhnlich, auch nach ihrer Freilassung in den<lb/>
früheren Verhältnissen zu bleiben. Bettler sind unter den Türken keine häufige<lb/>
Erscheinung, aber wenn sie sich finden, so ist das gewürfelte Tuch (das Abzeichen<lb/>
der Freigelassenen) grade hier besonders oft vertreten.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1051" next="#ID_1052"> Eine schlimme Folge der Sklaverei ist aber die selbstische Jsolirung des<lb/>
Individuums in der türkischen Gesellschaft. Indem die vornehme Welt und<lb/>
jeder, der durch Rang, Grundbesitz oder sonstiges Vermögen zu den Wohl¬<lb/>
habenden gehört, sich in patriarchalischer Weise in seinem Hausstande sein klei¬<lb/>
nes Reich schafft, in welchem er in glücklicher Selbstzufriedenheit herrscht, inner¬<lb/>
halb dessen fast alles zum Leben Nöthige von der Händearbeit und Geschicklich-<lb/>
keit der Genossenschaft bestritte» wird, löst sich die bürgerliche Gesellschaft z»</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0306] Heirath zu machen, sie ist dann besser daran als meine Adoptivtochter; gehalten und geliebt werden sie in meinem Hause gleichmäßig. Aber meine Adoptiv¬ tochter heirathet dereinst nur einen armen Schlucker, der durch mich z» etwas gelangen will. Die allein und unabhängig, ohne Verwandtschaft und Anhang dastehende Sklavin aber ist eine Partie für einen Mann, der schon durch sich selbst etwas bedeutet." — Die Sultani» Mutter war eine georgische Sklavin; sie wurde als Tochter eines christlichen Priesters in ihrer Kindheit von Türken gerankt — ein Fall, der damals noch nicht wie jetzt zur Seltenheit gehörte —, wurde im Hause eines türkischen Großen mit dessen Kindern erzogen und wegen ihrer Vorzüge dann zur Gemahlin Sultan Mahmuds erhoben. Daß aber auch die Si'lavcuknabcn Carriere machen können, davon gab es und giebt es noch in Konstantinopel Beispiele in Menge. Haut Pascha, Groß- vczier im Anfang der vierziger Jahre und Schwiegersohn Sultan Mahmuds des Erste», war ursprünglich Sklave; Niza Pascha, im Jahre 1836 Kriegsminister, war dreißig Jahre früher noch als Sklave Gehülfe im ägyptischen Bazar. kam dann zu den Sklaven Sultan Mahmuds und stieg zur höchsten Würde im Reich empor. Der alte Chosrcw Pascha, der wiederholt Großvezicr gewesen war und hundertjährig im Jahre 18K6 starb, als ältester Zeuge des alten Regime, war selbst ursprünglich ein verwachsener aus Georgien stammender Sklave und zählte unter seinen eigenen Freigelassenen wiederum dreiundvierzig Paschas und unter diesen dreiundzwanzig Vezicrc und zwei Schwäger des Großherrn. Bei weitem größer als die Zahl der weißen Sklaven ist die der schwarzen. Aber sie werden nicht mehr importirt, sondern recrutiren sich aus sich selbst, werden von ben Familien unter der Hand eingetauscht, abgetreten und abgekauft und müsse», da sie in der Regel nach einer größeren Reihe von Dienstjahren freigelassen werde», mit der Zeit immer mehr znsammcnschwindcn. Auch ihr Verhältniß ist mehr das auf Lebenszeit gedungener Dienstleute als rechtloser Knechte. Sie gehören zum Hausstande der Herren, zur Familie im antiken Sinn; sie werden ans das Beste gehalten, verheirathen sich im Dienst; ihre sorgenfreie Existenz bestimmt sie gewöhnlich, auch nach ihrer Freilassung in den früheren Verhältnissen zu bleiben. Bettler sind unter den Türken keine häufige Erscheinung, aber wenn sie sich finden, so ist das gewürfelte Tuch (das Abzeichen der Freigelassenen) grade hier besonders oft vertreten. Eine schlimme Folge der Sklaverei ist aber die selbstische Jsolirung des Individuums in der türkischen Gesellschaft. Indem die vornehme Welt und jeder, der durch Rang, Grundbesitz oder sonstiges Vermögen zu den Wohl¬ habenden gehört, sich in patriarchalischer Weise in seinem Hausstande sein klei¬ nes Reich schafft, in welchem er in glücklicher Selbstzufriedenheit herrscht, inner¬ halb dessen fast alles zum Leben Nöthige von der Händearbeit und Geschicklich- keit der Genossenschaft bestritte» wird, löst sich die bürgerliche Gesellschaft z»

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_190158
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_190158/306
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_190158/306>, abgerufen am 23.12.2024.