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Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. I. Band.

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mehr aushalten konnten. Die Folge aber ist natürlich, daß sich die Unter¬
nehmungen nach anderen Orten, resp. Ländern hinwenden, wo die Löhne
niedriger sind. Die er-lräes uneins wollen deshalb eine internationale Ver¬
brüderung aller Arbeiter herbeiführen, welche auf eine allgemeine Gleichstellung
der Löhne in Europa hinarbeiten soll, indeß es braucht kaum erwähnt zu wer¬
den, daß dies eine einfache Utopie ist, welche allen wirthschaftlichen Gesetzen
widerspricht.

Es ist nun einer der ernstesten Vorwürfe gegen Vright, daß er, der Mann
der Mancbcsterschule, der Vorkämpfer der Freiheit, niemals ein Wort des Tadels
für dies Gebahren der er-g-ach uuions gefunden hat, welches der National¬
ökonomie wie der Freiheit gleich sehr widerspricht; im Gegentheil hat er stets diesen
Genossenschaften geschmeichelt, weil sie ihm ein willkommenes Mittel waren, die
politische Agitation in die unteren Volksclassen zu verpflanzen. Er hat sich nickt
gescheut, ihnen zu sagen, daß es lediglich die Folge des aristokratischen Regiments
sei, wenn die arbeitenden Classen nicht ebenso gut daran seien wie die Mittel¬
classen und hat ihnen vorgespiegelt, daß wenn nur erst die Pnmogcnitur ab¬
geschafft sei, jeder aus seiner eigenen Hufe sitzen könne; er hat endlich offen
gedroht, wenn Parlament und Regierung das Volk nicht hören wollten, so
werde dasselbe sich mit Gewalt sein Recht verschaffen. Indeß mögen die Un¬
wissenden sich durch solche Trugschlüsse und Drohungen verleiten lassen, die
gebildeten Mittelclassen, in denen die Entscheidung liegt, sind durch diese Dema¬
gogie empört und entschlossen, sich den brightischen Plänen entschieden zu wider¬
setzen. Bright selbst wird durch seine großen persönlichen Gaben, namentlich
seine Beredsamkeit, stets ein gefährlicher Gegner der Konservativen bleiben,
aber daß er seine Ideen durchsetze, ist glücklicherweise nicht zu befürchten.

Nicht mehr Chancen als Brights Theorien hat die idealistische Demokratie
von H. Stewart Mill, welche besonders im Westminster Review verfochten wird.
Mill und sein Freund Hare wollen vor allem den Minoritäten ihren berechtigten
Einfluß sichern und dies soll erreicht werden, indem die Zahl der Abstimmenden
getheilt wird durch die Zahl der Mitglieder der Volksvertretung: jeder Candidat,
der diese Durchschnittszahl von Stimmen hat, wäre gewählt, gleichviel aus wel¬
chen Wahlbezirken diese Summe zusammengebracht würde. Es scheint uns dies
eben ein ganz undurchführbares System; denn wenn z.B. für jeden Candidaten
nur die zur Wahl nothwendige Zahl von Stimmen berechnet werden soll, wäh¬
rend die überflüssigen für denjenigen gezählt werden, der sie nöthig hat. um
sein Stimmrecht voll zu mache", so ist damit doch der Willkür der Wahl-
cvmmissare Thor und Thür geöffnet. Ebenso unpraktisch ist der vorgeschlagene
geistige Census, wonach jeder Wahlberechtigte beweisen soll, die Elemente der
Bildung, wie Lesen, Schreiben und Rechnen zu besitzen, die höher Gebildeten
aber eventuell mehr als eine Stimme erhalten sollen, dergleichen Chimären


Grenzboten I. 18V7. . 37

mehr aushalten konnten. Die Folge aber ist natürlich, daß sich die Unter¬
nehmungen nach anderen Orten, resp. Ländern hinwenden, wo die Löhne
niedriger sind. Die er-lräes uneins wollen deshalb eine internationale Ver¬
brüderung aller Arbeiter herbeiführen, welche auf eine allgemeine Gleichstellung
der Löhne in Europa hinarbeiten soll, indeß es braucht kaum erwähnt zu wer¬
den, daß dies eine einfache Utopie ist, welche allen wirthschaftlichen Gesetzen
widerspricht.

Es ist nun einer der ernstesten Vorwürfe gegen Vright, daß er, der Mann
der Mancbcsterschule, der Vorkämpfer der Freiheit, niemals ein Wort des Tadels
für dies Gebahren der er-g-ach uuions gefunden hat, welches der National¬
ökonomie wie der Freiheit gleich sehr widerspricht; im Gegentheil hat er stets diesen
Genossenschaften geschmeichelt, weil sie ihm ein willkommenes Mittel waren, die
politische Agitation in die unteren Volksclassen zu verpflanzen. Er hat sich nickt
gescheut, ihnen zu sagen, daß es lediglich die Folge des aristokratischen Regiments
sei, wenn die arbeitenden Classen nicht ebenso gut daran seien wie die Mittel¬
classen und hat ihnen vorgespiegelt, daß wenn nur erst die Pnmogcnitur ab¬
geschafft sei, jeder aus seiner eigenen Hufe sitzen könne; er hat endlich offen
gedroht, wenn Parlament und Regierung das Volk nicht hören wollten, so
werde dasselbe sich mit Gewalt sein Recht verschaffen. Indeß mögen die Un¬
wissenden sich durch solche Trugschlüsse und Drohungen verleiten lassen, die
gebildeten Mittelclassen, in denen die Entscheidung liegt, sind durch diese Dema¬
gogie empört und entschlossen, sich den brightischen Plänen entschieden zu wider¬
setzen. Bright selbst wird durch seine großen persönlichen Gaben, namentlich
seine Beredsamkeit, stets ein gefährlicher Gegner der Konservativen bleiben,
aber daß er seine Ideen durchsetze, ist glücklicherweise nicht zu befürchten.

Nicht mehr Chancen als Brights Theorien hat die idealistische Demokratie
von H. Stewart Mill, welche besonders im Westminster Review verfochten wird.
Mill und sein Freund Hare wollen vor allem den Minoritäten ihren berechtigten
Einfluß sichern und dies soll erreicht werden, indem die Zahl der Abstimmenden
getheilt wird durch die Zahl der Mitglieder der Volksvertretung: jeder Candidat,
der diese Durchschnittszahl von Stimmen hat, wäre gewählt, gleichviel aus wel¬
chen Wahlbezirken diese Summe zusammengebracht würde. Es scheint uns dies
eben ein ganz undurchführbares System; denn wenn z.B. für jeden Candidaten
nur die zur Wahl nothwendige Zahl von Stimmen berechnet werden soll, wäh¬
rend die überflüssigen für denjenigen gezählt werden, der sie nöthig hat. um
sein Stimmrecht voll zu mache», so ist damit doch der Willkür der Wahl-
cvmmissare Thor und Thür geöffnet. Ebenso unpraktisch ist der vorgeschlagene
geistige Census, wonach jeder Wahlberechtigte beweisen soll, die Elemente der
Bildung, wie Lesen, Schreiben und Rechnen zu besitzen, die höher Gebildeten
aber eventuell mehr als eine Stimme erhalten sollen, dergleichen Chimären


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_190158/299>, abgerufen am 04.07.2024.