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Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. I. Band.

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führung der Vorschriften des Code Napoleon als einen Eingriff in die persön¬
liche Freiheit ansehen.

Nicht weniger hat Bricht sich durch die Hineinziehung der gewerblichen
Genossenschaften (traclvs uiümi") in den Neformstreit geschadet. Bis 1824 war
jede Coalition der Arbeiter gesetzlich verboten, natürlich ward sie dadurch nicht
gehindert, sondern bestand im Geheimen und nahm eventuell die schlimmsten
Forme" gewaltsamen Aufstandes an. 1824 wurden diese combination laws auf¬
gehoben und damit die Freiheit der Coalition zugegeben, dies war durchaus
richtig, denn jeder Arbeitende hat das natürliche Recht, den Werth seiner Arbeit
selbst zu bestimmen; aber damit ist die Frage nicht gelöst. Ein Zusatz zum
Gesetze von 1824 verbot zwar jeden Zwang und Einschüchterung anderer
Arbeiter, welche sich mit geringerem Lohne begnügen wollen, aber thatsächlich
ward durch die triiäus unions bald eine unerhörte Tyrannei sowohl über ihre
Mitglieder als gegen Ansicnsteher.de eingeführt. Ihre Leitung fiel gänzlich in
die Hände der Chefs, welche, selbst ans der Gcscllschaftstassc unterhalten, den
Arbeitern vorschrieben, zu welchen Lohnsätzen sie allein arbeiten dürften; jeder,
der sich untersteht dieser Diktatur entgegenzuhandeln und lieber etwas weniger
als nichts verdienen will, wird mit Bann belegt und in aller Weise verfolgt,
nicht minder aber anch die außerhalb der Genossenschaft Stehenden. Im An¬
fang hat die Association unzweifelhaft das Verdienst gehabt, die niedrigen Löhne
zu erhöhen, durch welche die Fabrikanten oft ungeheure Gewinne machten, in¬
deß die Steigerung des Lohnes hat ihre natürlichen Grenzen und wenn dem
Unternehmer sein Capital nicht mehr leidlich rei'dire. so wird er nach den ein¬
fachsten ökonomischen Gesetzen lieber aufhören zu arbeiten, als sich Verlusten
auszusetzen. Dies sieht aber die Beschränktheit der trnäLS umons nicht ein,
hält vielmehr die Weigerung der Fabrikanten in solchem Falle stets für eigen¬
nützige Bosheit. So ward in diesen Tagen in einer Arbciterversammlnng heftig
getadelt, daß eine Dvckgesellschaft 2 Procent Dividende Vertheilt: das Geld hätte
zur Erhöhung der Löhne benutzt werden sollen! Als wenn die Capitalien ihr
Geld für nichts hingäben. Eine Schiffsbaugcscllschast erklärt ihren Arbeitern,
sie könne ihnen statt 7 Schilling nur V'/^ Schilling täglich geben und werde
selbst dann keinen Gewinn machen, sondern nur eben ohne Verlust sich Hin¬
halten. Unter dem Druck der Union aber verweigern die Arbeiter diese Reduction,
verdienen nun nichts und fallen der öffentlichen Mildthätigkeit zur Last; wenn
man die einzelnen Leute fragt, so sind sie oft willig genug, sich den geringeren
Satz gefallen zu lassen, aber sie haben beim Eintritt in die Union derselben
unbedingten Gehorsam versprechen müssen und wagen demzufolge nicht zu thun,
was sie möchten, ebenso wenig aber ist es für die Arbeitgeber möglich, fremde
Leute zu engagiren, weil dieselben, wie mehrfache Versuche gezeigt haben, von
den Einheimischen so verfolgt wurden, daß sie nach kurzer Zeit es selbst nicht


führung der Vorschriften des Code Napoleon als einen Eingriff in die persön¬
liche Freiheit ansehen.

Nicht weniger hat Bricht sich durch die Hineinziehung der gewerblichen
Genossenschaften (traclvs uiümi») in den Neformstreit geschadet. Bis 1824 war
jede Coalition der Arbeiter gesetzlich verboten, natürlich ward sie dadurch nicht
gehindert, sondern bestand im Geheimen und nahm eventuell die schlimmsten
Forme» gewaltsamen Aufstandes an. 1824 wurden diese combination laws auf¬
gehoben und damit die Freiheit der Coalition zugegeben, dies war durchaus
richtig, denn jeder Arbeitende hat das natürliche Recht, den Werth seiner Arbeit
selbst zu bestimmen; aber damit ist die Frage nicht gelöst. Ein Zusatz zum
Gesetze von 1824 verbot zwar jeden Zwang und Einschüchterung anderer
Arbeiter, welche sich mit geringerem Lohne begnügen wollen, aber thatsächlich
ward durch die triiäus unions bald eine unerhörte Tyrannei sowohl über ihre
Mitglieder als gegen Ansicnsteher.de eingeführt. Ihre Leitung fiel gänzlich in
die Hände der Chefs, welche, selbst ans der Gcscllschaftstassc unterhalten, den
Arbeitern vorschrieben, zu welchen Lohnsätzen sie allein arbeiten dürften; jeder,
der sich untersteht dieser Diktatur entgegenzuhandeln und lieber etwas weniger
als nichts verdienen will, wird mit Bann belegt und in aller Weise verfolgt,
nicht minder aber anch die außerhalb der Genossenschaft Stehenden. Im An¬
fang hat die Association unzweifelhaft das Verdienst gehabt, die niedrigen Löhne
zu erhöhen, durch welche die Fabrikanten oft ungeheure Gewinne machten, in¬
deß die Steigerung des Lohnes hat ihre natürlichen Grenzen und wenn dem
Unternehmer sein Capital nicht mehr leidlich rei'dire. so wird er nach den ein¬
fachsten ökonomischen Gesetzen lieber aufhören zu arbeiten, als sich Verlusten
auszusetzen. Dies sieht aber die Beschränktheit der trnäLS umons nicht ein,
hält vielmehr die Weigerung der Fabrikanten in solchem Falle stets für eigen¬
nützige Bosheit. So ward in diesen Tagen in einer Arbciterversammlnng heftig
getadelt, daß eine Dvckgesellschaft 2 Procent Dividende Vertheilt: das Geld hätte
zur Erhöhung der Löhne benutzt werden sollen! Als wenn die Capitalien ihr
Geld für nichts hingäben. Eine Schiffsbaugcscllschast erklärt ihren Arbeitern,
sie könne ihnen statt 7 Schilling nur V'/^ Schilling täglich geben und werde
selbst dann keinen Gewinn machen, sondern nur eben ohne Verlust sich Hin¬
halten. Unter dem Druck der Union aber verweigern die Arbeiter diese Reduction,
verdienen nun nichts und fallen der öffentlichen Mildthätigkeit zur Last; wenn
man die einzelnen Leute fragt, so sind sie oft willig genug, sich den geringeren
Satz gefallen zu lassen, aber sie haben beim Eintritt in die Union derselben
unbedingten Gehorsam versprechen müssen und wagen demzufolge nicht zu thun,
was sie möchten, ebenso wenig aber ist es für die Arbeitgeber möglich, fremde
Leute zu engagiren, weil dieselben, wie mehrfache Versuche gezeigt haben, von
den Einheimischen so verfolgt wurden, daß sie nach kurzer Zeit es selbst nicht


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[0298] führung der Vorschriften des Code Napoleon als einen Eingriff in die persön¬ liche Freiheit ansehen. Nicht weniger hat Bricht sich durch die Hineinziehung der gewerblichen Genossenschaften (traclvs uiümi») in den Neformstreit geschadet. Bis 1824 war jede Coalition der Arbeiter gesetzlich verboten, natürlich ward sie dadurch nicht gehindert, sondern bestand im Geheimen und nahm eventuell die schlimmsten Forme» gewaltsamen Aufstandes an. 1824 wurden diese combination laws auf¬ gehoben und damit die Freiheit der Coalition zugegeben, dies war durchaus richtig, denn jeder Arbeitende hat das natürliche Recht, den Werth seiner Arbeit selbst zu bestimmen; aber damit ist die Frage nicht gelöst. Ein Zusatz zum Gesetze von 1824 verbot zwar jeden Zwang und Einschüchterung anderer Arbeiter, welche sich mit geringerem Lohne begnügen wollen, aber thatsächlich ward durch die triiäus unions bald eine unerhörte Tyrannei sowohl über ihre Mitglieder als gegen Ansicnsteher.de eingeführt. Ihre Leitung fiel gänzlich in die Hände der Chefs, welche, selbst ans der Gcscllschaftstassc unterhalten, den Arbeitern vorschrieben, zu welchen Lohnsätzen sie allein arbeiten dürften; jeder, der sich untersteht dieser Diktatur entgegenzuhandeln und lieber etwas weniger als nichts verdienen will, wird mit Bann belegt und in aller Weise verfolgt, nicht minder aber anch die außerhalb der Genossenschaft Stehenden. Im An¬ fang hat die Association unzweifelhaft das Verdienst gehabt, die niedrigen Löhne zu erhöhen, durch welche die Fabrikanten oft ungeheure Gewinne machten, in¬ deß die Steigerung des Lohnes hat ihre natürlichen Grenzen und wenn dem Unternehmer sein Capital nicht mehr leidlich rei'dire. so wird er nach den ein¬ fachsten ökonomischen Gesetzen lieber aufhören zu arbeiten, als sich Verlusten auszusetzen. Dies sieht aber die Beschränktheit der trnäLS umons nicht ein, hält vielmehr die Weigerung der Fabrikanten in solchem Falle stets für eigen¬ nützige Bosheit. So ward in diesen Tagen in einer Arbciterversammlnng heftig getadelt, daß eine Dvckgesellschaft 2 Procent Dividende Vertheilt: das Geld hätte zur Erhöhung der Löhne benutzt werden sollen! Als wenn die Capitalien ihr Geld für nichts hingäben. Eine Schiffsbaugcscllschast erklärt ihren Arbeitern, sie könne ihnen statt 7 Schilling nur V'/^ Schilling täglich geben und werde selbst dann keinen Gewinn machen, sondern nur eben ohne Verlust sich Hin¬ halten. Unter dem Druck der Union aber verweigern die Arbeiter diese Reduction, verdienen nun nichts und fallen der öffentlichen Mildthätigkeit zur Last; wenn man die einzelnen Leute fragt, so sind sie oft willig genug, sich den geringeren Satz gefallen zu lassen, aber sie haben beim Eintritt in die Union derselben unbedingten Gehorsam versprechen müssen und wagen demzufolge nicht zu thun, was sie möchten, ebenso wenig aber ist es für die Arbeitgeber möglich, fremde Leute zu engagiren, weil dieselben, wie mehrfache Versuche gezeigt haben, von den Einheimischen so verfolgt wurden, daß sie nach kurzer Zeit es selbst nicht

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_190158/298>, abgerufen am 04.07.2024.