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Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. I. Band.

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von Fehlern aufdeckt, welche durch Zugrundelegung zweier himburgscher Nach¬
drucke in eine neue, von Goethe selbst besorgte Ausgabe und damit in die fol¬
genden Drucke hineingekommen sind.

Reinhold Köhler bespricht in einem Schriftchen "Herders Cid und seine
französische Quelle". Unsere Kritiker haben hiernach, obgleich sie es theilweise
besser wissen konnten, fälschlich angenommen, daß Herder direct nach den spani¬
schen Originalen schuf. Düntzer nahm sogar an, unser Dichter habe in Timcne
seiner Gattin Caroline el" Denkmal setzen wollen. Heute ist es zweifellos, daß
Herders Cid nichts Anderes ist als eine mehr oder weniger getreue metrische
Uebersetzung einer Prosabearbeitung der spanischen Cidromanzcn, welche ein
ungenannter Mitarbeiter der bibliotköciuiz universelle nich roms-us (1783) ver-
öffcnilichte. Für Freunde R. Wagners besonders ist F. Müllers "Lohengrin und
die Gral- und Schwansage. Ein Skizzenblld auf Grund der Wort- und Ton¬
dichtung R. Wagners" von Interesse. Endlich mag hier der 9. Band der
"Deutschen Bibliothek", welcher den zweiten Theil von Fischarts sämmtlichen
Dichtungen enthält, rühmend erwähnt sein.

Zwei Briefwechsel von he>vvrrage"der Bedeutung brachten die letzten
Wochen: "Briefe von Beethoven an Marie, Gräfin Erdödy, geb. Gräfin Niszt'y
und Magister Biauchle", herausgegeben von A. Schöne und "Maria Theresia
und Joseph der Zweite. Ihre Eorrcspondenz sammt Briefe" Josephs an seinen
Bruder Leopold", von welcher Sammlung der erste Band, die Jahre 1761 bis
1772 enthaltend, Vorliegt. --

Mit dem Berichterstatter athmet der Leser auf, wenn er eine ansehnliche
Reihe von Titeln hinter sich hat und er sich von einer Anzahl würdiger, in
stattlichem Umfang einherschrcitender wissenschaftlicher Schriften wende" kann zu
besser anmuthc"den Kindel" aus der Ehe des Dichters mit den verschiedenen
Musen, die mit Literaten ans besonders vertrautem Fuß stehen, Schade nur,
daß hier so wenig von Gutem zu berichten ist, und daß nicht einmal das immer
glänzt, was für den Augenblick geboren ward. Wie manchem unserer heutigen
"Elassiler" -- auch ein beliebter buchhändlerischel Ausdruck -- könnte man als
Grabschnfc den Vers empfehle":


"Hier ruht ein Mann, der, eh er starb,
Achthundert Nies Papier verdarb."

Heute haben wir außer der Fülle von Belletristik in Prosa und Versen
wenigstens im Vorübergehen einer buchhändlerischen Erscheinung zu gedenke",
die das neue Jahr hervorruft. Es sind das die Kalender von Auerbach, Horn,
Gubitz u. ni. Sie führen im Grunde nnr mit Unrecht ihren Namen, da sie ja
häufig, um die Stempelsteuer zu umgehen, ohne Calendarium ausgegeben wer¬
den: ein Beweis, welch überflüssiges Beiwerk dieses ist. Wie groß ist der
Unterschied zwischen ihnen und den alten Taschenkalendern unserer Großältern,


von Fehlern aufdeckt, welche durch Zugrundelegung zweier himburgscher Nach¬
drucke in eine neue, von Goethe selbst besorgte Ausgabe und damit in die fol¬
genden Drucke hineingekommen sind.

Reinhold Köhler bespricht in einem Schriftchen „Herders Cid und seine
französische Quelle". Unsere Kritiker haben hiernach, obgleich sie es theilweise
besser wissen konnten, fälschlich angenommen, daß Herder direct nach den spani¬
schen Originalen schuf. Düntzer nahm sogar an, unser Dichter habe in Timcne
seiner Gattin Caroline el» Denkmal setzen wollen. Heute ist es zweifellos, daß
Herders Cid nichts Anderes ist als eine mehr oder weniger getreue metrische
Uebersetzung einer Prosabearbeitung der spanischen Cidromanzcn, welche ein
ungenannter Mitarbeiter der bibliotköciuiz universelle nich roms-us (1783) ver-
öffcnilichte. Für Freunde R. Wagners besonders ist F. Müllers „Lohengrin und
die Gral- und Schwansage. Ein Skizzenblld auf Grund der Wort- und Ton¬
dichtung R. Wagners" von Interesse. Endlich mag hier der 9. Band der
„Deutschen Bibliothek", welcher den zweiten Theil von Fischarts sämmtlichen
Dichtungen enthält, rühmend erwähnt sein.

Zwei Briefwechsel von he>vvrrage»der Bedeutung brachten die letzten
Wochen: „Briefe von Beethoven an Marie, Gräfin Erdödy, geb. Gräfin Niszt'y
und Magister Biauchle", herausgegeben von A. Schöne und „Maria Theresia
und Joseph der Zweite. Ihre Eorrcspondenz sammt Briefe» Josephs an seinen
Bruder Leopold", von welcher Sammlung der erste Band, die Jahre 1761 bis
1772 enthaltend, Vorliegt. —

Mit dem Berichterstatter athmet der Leser auf, wenn er eine ansehnliche
Reihe von Titeln hinter sich hat und er sich von einer Anzahl würdiger, in
stattlichem Umfang einherschrcitender wissenschaftlicher Schriften wende» kann zu
besser anmuthc»den Kindel» aus der Ehe des Dichters mit den verschiedenen
Musen, die mit Literaten ans besonders vertrautem Fuß stehen, Schade nur,
daß hier so wenig von Gutem zu berichten ist, und daß nicht einmal das immer
glänzt, was für den Augenblick geboren ward. Wie manchem unserer heutigen
„Elassiler" — auch ein beliebter buchhändlerischel Ausdruck — könnte man als
Grabschnfc den Vers empfehle»:


„Hier ruht ein Mann, der, eh er starb,
Achthundert Nies Papier verdarb."

Heute haben wir außer der Fülle von Belletristik in Prosa und Versen
wenigstens im Vorübergehen einer buchhändlerischen Erscheinung zu gedenke»,
die das neue Jahr hervorruft. Es sind das die Kalender von Auerbach, Horn,
Gubitz u. ni. Sie führen im Grunde nnr mit Unrecht ihren Namen, da sie ja
häufig, um die Stempelsteuer zu umgehen, ohne Calendarium ausgegeben wer¬
den: ein Beweis, welch überflüssiges Beiwerk dieses ist. Wie groß ist der
Unterschied zwischen ihnen und den alten Taschenkalendern unserer Großältern,


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[0282] von Fehlern aufdeckt, welche durch Zugrundelegung zweier himburgscher Nach¬ drucke in eine neue, von Goethe selbst besorgte Ausgabe und damit in die fol¬ genden Drucke hineingekommen sind. Reinhold Köhler bespricht in einem Schriftchen „Herders Cid und seine französische Quelle". Unsere Kritiker haben hiernach, obgleich sie es theilweise besser wissen konnten, fälschlich angenommen, daß Herder direct nach den spani¬ schen Originalen schuf. Düntzer nahm sogar an, unser Dichter habe in Timcne seiner Gattin Caroline el» Denkmal setzen wollen. Heute ist es zweifellos, daß Herders Cid nichts Anderes ist als eine mehr oder weniger getreue metrische Uebersetzung einer Prosabearbeitung der spanischen Cidromanzcn, welche ein ungenannter Mitarbeiter der bibliotköciuiz universelle nich roms-us (1783) ver- öffcnilichte. Für Freunde R. Wagners besonders ist F. Müllers „Lohengrin und die Gral- und Schwansage. Ein Skizzenblld auf Grund der Wort- und Ton¬ dichtung R. Wagners" von Interesse. Endlich mag hier der 9. Band der „Deutschen Bibliothek", welcher den zweiten Theil von Fischarts sämmtlichen Dichtungen enthält, rühmend erwähnt sein. Zwei Briefwechsel von he>vvrrage»der Bedeutung brachten die letzten Wochen: „Briefe von Beethoven an Marie, Gräfin Erdödy, geb. Gräfin Niszt'y und Magister Biauchle", herausgegeben von A. Schöne und „Maria Theresia und Joseph der Zweite. Ihre Eorrcspondenz sammt Briefe» Josephs an seinen Bruder Leopold", von welcher Sammlung der erste Band, die Jahre 1761 bis 1772 enthaltend, Vorliegt. — Mit dem Berichterstatter athmet der Leser auf, wenn er eine ansehnliche Reihe von Titeln hinter sich hat und er sich von einer Anzahl würdiger, in stattlichem Umfang einherschrcitender wissenschaftlicher Schriften wende» kann zu besser anmuthc»den Kindel» aus der Ehe des Dichters mit den verschiedenen Musen, die mit Literaten ans besonders vertrautem Fuß stehen, Schade nur, daß hier so wenig von Gutem zu berichten ist, und daß nicht einmal das immer glänzt, was für den Augenblick geboren ward. Wie manchem unserer heutigen „Elassiler" — auch ein beliebter buchhändlerischel Ausdruck — könnte man als Grabschnfc den Vers empfehle»: „Hier ruht ein Mann, der, eh er starb, Achthundert Nies Papier verdarb." Heute haben wir außer der Fülle von Belletristik in Prosa und Versen wenigstens im Vorübergehen einer buchhändlerischen Erscheinung zu gedenke», die das neue Jahr hervorruft. Es sind das die Kalender von Auerbach, Horn, Gubitz u. ni. Sie führen im Grunde nnr mit Unrecht ihren Namen, da sie ja häufig, um die Stempelsteuer zu umgehen, ohne Calendarium ausgegeben wer¬ den: ein Beweis, welch überflüssiges Beiwerk dieses ist. Wie groß ist der Unterschied zwischen ihnen und den alten Taschenkalendern unserer Großältern,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_190158/282>, abgerufen am 23.12.2024.