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Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. I. Band.

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verschiedener Art, an denen seither denn in der Regel preußische Offiziere, später
auch Emigranten der ungarischen Revolution die Jnstrnctorcn abgaben, serner
eine Marineschule und schon damals auch eine medicinische, die den Bedürfnissen
der Armee diente, aber auch sonst mit wissenschaftlicher Heilkunde zum ersten
Mal bekannt machte. Es war ein cultui historischer Sieg, daß das Seciren von
Leichen, welches der Koran nicht gestattet, eingeführt wurde.

Im Verlauf der Reformen, besonders seit der Reorganisation des Unter-
richtswesens im Jahr 1847, folgte die Einrichtung einer Reihe von anderen
Lehranstalten, so einer Nvrnialschulc. (einer Art Mustcrgyinnasium zur Ausbil¬
dung von Lehrern für die Prvvinzialstäbte), zweier Institute zur Vorbereitung
für den Civildienst, eines Kollegiums für den Unterricht in den höhere" Zweigen
der Diplomatie und Stcllenverwaltung, einer Stiftung der Sultanin Mutter
Abdul Medschids, endlich einer Thicrarznci- und auch einer Ackerbauschule. Ja
die für die Reformen im Unterrichtswesen ernannte Commission beschloß sogar die
Errichtung einer Universität. In der Nähe der Sophienkirche. auf dem Platze
des Augustcums des alten Byzanz, und an der Stelle einer berühmten Janit-
scharcnkaserne des türkischen Stcunbul erhob sich ein stattliches Gebäude, welches
jeder andern Residenz Ehre machen würde. Die Grundsteinlegung war einer
der hervorragendsten Acte der jungen Reform; es blieb bei dem Aufbau; Waffen¬
lärm verscheuchte die Musen, noch ehe sie von der ihnen bereiteten Stätte Be¬
sitz nehmen konnten, in die kaum vollendeten Räume legten die Franzosen ein
Lazarett); jetzt ist die ehemalige - künftige Universität Sitz eines Ministeriums.
Man begriff, daß es unmöglich sei, eine Spitze zu bauen ohne Untergrund.
Eine Universität fände jetzt im Volk noch keine Lehrer, und fremdländische Kräfte,
die man zu meiden Grund hat, fänden im Volk noch keine brauchbaren Schüler.
Es wird noch geraumer Frist bedürfen, ehe das Volk auch nur zu rein rcccp-
lrvem Antheil an höherer wissenschaftlicher Arbeit rc>f ist; diese Erziehung aber
zu übernehmen, genügen jene genannten Spccialschulen zunächst vollkommen.
Im Uebrigen reicht es aus, eine größere Anzahl junger Leute alljährlich ins
Ausland zu senden, nach Franücich, England. Preußen, wo sie mehr haben,
als eine hohe Schule in Konstantinopel gewähren könnte. Vertraut mit den
Forderungen der europäischen Civilisation und mit Reformidecn erfüllt kehren
sie zurück, treten in den höheren Staatsdienst ihres Vaterlandes ein und werden
zu Pionieren der Cultur. Sämmtliche bedeutendere Staatsmänner, mit deren
Namen die jüngste Geschichte der Pforte verflochten ist, haben ihre letzte Aus¬
bildung im Auslande empfangen.

Aber es fehlt ihnen auch nicht an Interesse für Bildung, und wüßte die
Regierung nur in geeigneter Weise es zu nähren, so würde die Nation sehr
schnell den Proceß summarischer Aneignung allgemeiner europäischer Bildung
durchmachen.


verschiedener Art, an denen seither denn in der Regel preußische Offiziere, später
auch Emigranten der ungarischen Revolution die Jnstrnctorcn abgaben, serner
eine Marineschule und schon damals auch eine medicinische, die den Bedürfnissen
der Armee diente, aber auch sonst mit wissenschaftlicher Heilkunde zum ersten
Mal bekannt machte. Es war ein cultui historischer Sieg, daß das Seciren von
Leichen, welches der Koran nicht gestattet, eingeführt wurde.

Im Verlauf der Reformen, besonders seit der Reorganisation des Unter-
richtswesens im Jahr 1847, folgte die Einrichtung einer Reihe von anderen
Lehranstalten, so einer Nvrnialschulc. (einer Art Mustcrgyinnasium zur Ausbil¬
dung von Lehrern für die Prvvinzialstäbte), zweier Institute zur Vorbereitung
für den Civildienst, eines Kollegiums für den Unterricht in den höhere» Zweigen
der Diplomatie und Stcllenverwaltung, einer Stiftung der Sultanin Mutter
Abdul Medschids, endlich einer Thicrarznci- und auch einer Ackerbauschule. Ja
die für die Reformen im Unterrichtswesen ernannte Commission beschloß sogar die
Errichtung einer Universität. In der Nähe der Sophienkirche. auf dem Platze
des Augustcums des alten Byzanz, und an der Stelle einer berühmten Janit-
scharcnkaserne des türkischen Stcunbul erhob sich ein stattliches Gebäude, welches
jeder andern Residenz Ehre machen würde. Die Grundsteinlegung war einer
der hervorragendsten Acte der jungen Reform; es blieb bei dem Aufbau; Waffen¬
lärm verscheuchte die Musen, noch ehe sie von der ihnen bereiteten Stätte Be¬
sitz nehmen konnten, in die kaum vollendeten Räume legten die Franzosen ein
Lazarett); jetzt ist die ehemalige - künftige Universität Sitz eines Ministeriums.
Man begriff, daß es unmöglich sei, eine Spitze zu bauen ohne Untergrund.
Eine Universität fände jetzt im Volk noch keine Lehrer, und fremdländische Kräfte,
die man zu meiden Grund hat, fänden im Volk noch keine brauchbaren Schüler.
Es wird noch geraumer Frist bedürfen, ehe das Volk auch nur zu rein rcccp-
lrvem Antheil an höherer wissenschaftlicher Arbeit rc>f ist; diese Erziehung aber
zu übernehmen, genügen jene genannten Spccialschulen zunächst vollkommen.
Im Uebrigen reicht es aus, eine größere Anzahl junger Leute alljährlich ins
Ausland zu senden, nach Franücich, England. Preußen, wo sie mehr haben,
als eine hohe Schule in Konstantinopel gewähren könnte. Vertraut mit den
Forderungen der europäischen Civilisation und mit Reformidecn erfüllt kehren
sie zurück, treten in den höheren Staatsdienst ihres Vaterlandes ein und werden
zu Pionieren der Cultur. Sämmtliche bedeutendere Staatsmänner, mit deren
Namen die jüngste Geschichte der Pforte verflochten ist, haben ihre letzte Aus¬
bildung im Auslande empfangen.

Aber es fehlt ihnen auch nicht an Interesse für Bildung, und wüßte die
Regierung nur in geeigneter Weise es zu nähren, so würde die Nation sehr
schnell den Proceß summarischer Aneignung allgemeiner europäischer Bildung
durchmachen.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_190158/273>, abgerufen am 23.12.2024.