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Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. I. Band.

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erwartet werden kann, welche ein Werk von mehren Bänden in Anspruch nehmen
würde, so begnügen wir uns damit, in allgemeinen Zügen zu zeichnen, oder
kleine Einzelbilder an die Stelle eines ausgeführten Ganzen zu sehen. Mit der
Stadt Konstantinopel haben wir es vorzugsweise zu thun, und auch hier lassen
wir alle nickt türkischen Bestandtheile der Bevölkerung (Griechen, Armenier.
Juden, so stark ihr Contingent auch ist) bei Seite; um eine Charakteristik
der Türken handelt es sich. Dabei sollen die Handbücher der Statistik und
politischen Geographie unangetastet bleiben; was dort zu finden ist, mag dort
nachgelesen werden; wir hoffen dagegen, dem oben angedeuteten Gesichtspunkt,
apologetiscbe aber doch wahrheitsgetreue Beiträge zum Verständniß der türkischen
Zustande zu geben, am ersten treu zu bleiben, wenn wir erst aus die Schilde¬
rung der türkische" Nation nach ihrem Naturell und nach ihrem Bildungszustand
eine Betrachtung der vermeintlichen und der wirklichen Schäden des europäischen
Osmanenthums folgen lassen wie sie uns erscheinen.

Es giebt eine Charakteristik der Türken von einem neugriechischen Schrift¬
steller, den man also einer Parteilichkeit für die Osmanen gewiß nicht wird be¬
schuldigen können, in welcher er die verschiedenen Elemente der Bevölkerung der
europäischen Türkei und Konstantinopels vergleicht. Da heißt es lakonisch genug:
der Türke ist gerade und edclsinnig, der Grieche ehrgeizig und verschlagen, der
Armenier habgierig und ausdauernd, der Jude gewinnsüchtig und feig.*)

Das ist ganz außerordentlich treffend gesagt, und die Grundzüge des
osmanischen Charakters können nicht schärfer und richtiger hervorgehoben wer.
den als in jenen beiden Worten d. h. gerade, wahr, lauter, und "^'-
pwxos, d. h. edlen, muthvollen, kühnen, auch Wohl trotzigen und selbst wilden
Sinnes. Natürlicher Adel der Gesinnung, prononcirtes Selbstgefühl ohne Arro¬
ganz, Würde und Festigkeit sind die Eigenschaften nicht nur Einzelner, sondern
der ganzen Menge bis herab zum geringsten Schuhflicker und Bootführer. Da¬
her die prächtigen Gestalten, die ausdrucksvollen Physiognomien, welche so oft
imponiren und in wenig Ländern so häusig gefunden werden als grade in der
Türkei, und welche allein schon sprechende Beweise des tüchtigen Kerns und
Fonds sind, der in diesem Volke steckt. Jener natürliche Adel und die gehobene
Freiheit des Benehmens, weiche den Völkern des Südens so eigen ist und in
Gestalt, Gang. Gesten, Rede derselben sich abdrückt, ist auch hier heimisch. Ist
es dort bei den Italienern, Spaniern. Griechen mehr eine gewisse Freiheit und
Leichtigkeit deö Benehmens und Verkehrs, eine natürliche Grazie, -- so ist es
hier bei den Türken vor allem schweigsame Würde und ernste Grandezza, in
welche sich das volle Bewußtsein hineinlegt, Herren des Landes, Bekenner des
Propheten zu sein. Es giebt nichts Würdigeres als so ein bärtiges Greisen-



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erwartet werden kann, welche ein Werk von mehren Bänden in Anspruch nehmen
würde, so begnügen wir uns damit, in allgemeinen Zügen zu zeichnen, oder
kleine Einzelbilder an die Stelle eines ausgeführten Ganzen zu sehen. Mit der
Stadt Konstantinopel haben wir es vorzugsweise zu thun, und auch hier lassen
wir alle nickt türkischen Bestandtheile der Bevölkerung (Griechen, Armenier.
Juden, so stark ihr Contingent auch ist) bei Seite; um eine Charakteristik
der Türken handelt es sich. Dabei sollen die Handbücher der Statistik und
politischen Geographie unangetastet bleiben; was dort zu finden ist, mag dort
nachgelesen werden; wir hoffen dagegen, dem oben angedeuteten Gesichtspunkt,
apologetiscbe aber doch wahrheitsgetreue Beiträge zum Verständniß der türkischen
Zustande zu geben, am ersten treu zu bleiben, wenn wir erst aus die Schilde¬
rung der türkische» Nation nach ihrem Naturell und nach ihrem Bildungszustand
eine Betrachtung der vermeintlichen und der wirklichen Schäden des europäischen
Osmanenthums folgen lassen wie sie uns erscheinen.

Es giebt eine Charakteristik der Türken von einem neugriechischen Schrift¬
steller, den man also einer Parteilichkeit für die Osmanen gewiß nicht wird be¬
schuldigen können, in welcher er die verschiedenen Elemente der Bevölkerung der
europäischen Türkei und Konstantinopels vergleicht. Da heißt es lakonisch genug:
der Türke ist gerade und edclsinnig, der Grieche ehrgeizig und verschlagen, der
Armenier habgierig und ausdauernd, der Jude gewinnsüchtig und feig.*)

Das ist ganz außerordentlich treffend gesagt, und die Grundzüge des
osmanischen Charakters können nicht schärfer und richtiger hervorgehoben wer.
den als in jenen beiden Worten d. h. gerade, wahr, lauter, und «^'-
pwxos, d. h. edlen, muthvollen, kühnen, auch Wohl trotzigen und selbst wilden
Sinnes. Natürlicher Adel der Gesinnung, prononcirtes Selbstgefühl ohne Arro¬
ganz, Würde und Festigkeit sind die Eigenschaften nicht nur Einzelner, sondern
der ganzen Menge bis herab zum geringsten Schuhflicker und Bootführer. Da¬
her die prächtigen Gestalten, die ausdrucksvollen Physiognomien, welche so oft
imponiren und in wenig Ländern so häusig gefunden werden als grade in der
Türkei, und welche allein schon sprechende Beweise des tüchtigen Kerns und
Fonds sind, der in diesem Volke steckt. Jener natürliche Adel und die gehobene
Freiheit des Benehmens, weiche den Völkern des Südens so eigen ist und in
Gestalt, Gang. Gesten, Rede derselben sich abdrückt, ist auch hier heimisch. Ist
es dort bei den Italienern, Spaniern. Griechen mehr eine gewisse Freiheit und
Leichtigkeit deö Benehmens und Verkehrs, eine natürliche Grazie, — so ist es
hier bei den Türken vor allem schweigsame Würde und ernste Grandezza, in
welche sich das volle Bewußtsein hineinlegt, Herren des Landes, Bekenner des
Propheten zu sein. Es giebt nichts Würdigeres als so ein bärtiges Greisen-



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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_190158/267>, abgerufen am 22.12.2024.