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Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. I. Band.

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lind Schrifttums that, so trat sie wenigstens nicbt hindernd auf und das war
seit dem Jahre 1848 auch in Galizie" genug. Was die russischen Volksführer
in diesem Jahre gelernt hatten, vergessen sie nicht wilder und die ihnen damals
gemachten Concessionen genügten, um dauernd eine freiere und selbständigere
Bewegung der Geister zu ermöglichen: unter Stations Auspicien war zu Lem-
berg eine Radownska (kirchliche Volksversammlung) abgehalten worden, ver¬
schiedene Gelehrtcnvcrsammlungen hatten unter Theilnahme fremder Celebritäten
getagt, eine Literaturgesellschaft zur Verbreitung von Büchern in der National¬
sprache (die Halizko-rü?skaja Matiza) war gegründet, kurz ein ziemlich vollstän¬
diger Apparat für die Organisation volksthümlicher, literarisch-politischer Pro¬
paganda ins Leben gerufen. Dazu kam, das, die Negierung die Einführung
des russischen Idioms in den Gymnasien und die Begründung eines russischen
Lchrstuhls bei der lembcrger Universität zugestanden hatte und daß die Regie¬
rungsverordnungen in einer eigenen russischen Regierungszeitung veröffentlicht
wurden. Es begann eine Zeit regere" literarischen Strebens. Vou der 48er
Märzsvnnc ausgebrütet gab eine Anzahl junger Talente ihrem nationalen Eifer
in Versen und in Prosa Ausdruck und zahlreiche Journale winden gegründet,
welche zwar alle bald wieder untergingen, aber durch neue ersetzt wurden, die
allmälig auch bei dem sonst indifferenten Landvolk Einfluß zu üben begannen.

Consequentcs Festhalten an einem einmal aufgestellten Princip ist bekannt¬
lich niemals die Sache der östreichischen Negierung gewesen. Nachdem die
Russen fast ein Jahrzehnt lang auf Unkosten der Polen begünstigt worden waren,
trat zufolge des orientalischen Kneges und der zunehmenden Entfremdung zwischen
den Cabineten von Wien und Petersburg ein Umschlag ein, welcher der in
Fluß gekommenen Bewegung der russischen Geister ein Halt zuzurufen versuchte.
Graf Agenor Golnchowski, einer der Führer des hohen polnischen Adels, ein
Mann, der für freisinnig und für einen Gönner der Russen galt, trat an die
Spitze der Verwaltung. Erfüllt vou dem Gedanken, daß die Rettung der pol¬
nischen Nationalität nur von Oestreich ausgehen könne, wies er der Regierung
die Gefährlichkeit der ruthenischen Propaganda nach, die ihren lokalen Charakter
aufgegeben und einen russisch-mvslowitischcn angenommen habe, um der von
Rußland begünstigten Sache des Panslawismus in die Hände zu arbeiten.
Seinem Einfluß gelang es. den russischen Sprachunterricht bei den Gymnasien
aus der Reihe der obligatorischen Unterrichtsgegenstände zu streichen und zu einem
facultativen zu machen; die Thätigkeit der Matiza und der vorgeschritteneren
Organe der Presse wurde genauer überwacht, strenger gezügelt, die polnische
Nationalität allenthalben begünstigt und in der Bureaukratie bevorzugt.

Goluchowkis Hauptsorge wandte sich gegen die Verbreitung der moskauer
und Petersburger Presse in Gallizien und gegen den zunehmenden Gebrauch der
neurussischen, in Nußland gebräuchlichen Typen. Das gegenwärtige russische


lind Schrifttums that, so trat sie wenigstens nicbt hindernd auf und das war
seit dem Jahre 1848 auch in Galizie» genug. Was die russischen Volksführer
in diesem Jahre gelernt hatten, vergessen sie nicht wilder und die ihnen damals
gemachten Concessionen genügten, um dauernd eine freiere und selbständigere
Bewegung der Geister zu ermöglichen: unter Stations Auspicien war zu Lem-
berg eine Radownska (kirchliche Volksversammlung) abgehalten worden, ver¬
schiedene Gelehrtcnvcrsammlungen hatten unter Theilnahme fremder Celebritäten
getagt, eine Literaturgesellschaft zur Verbreitung von Büchern in der National¬
sprache (die Halizko-rü?skaja Matiza) war gegründet, kurz ein ziemlich vollstän¬
diger Apparat für die Organisation volksthümlicher, literarisch-politischer Pro¬
paganda ins Leben gerufen. Dazu kam, das, die Negierung die Einführung
des russischen Idioms in den Gymnasien und die Begründung eines russischen
Lchrstuhls bei der lembcrger Universität zugestanden hatte und daß die Regie¬
rungsverordnungen in einer eigenen russischen Regierungszeitung veröffentlicht
wurden. Es begann eine Zeit regere» literarischen Strebens. Vou der 48er
Märzsvnnc ausgebrütet gab eine Anzahl junger Talente ihrem nationalen Eifer
in Versen und in Prosa Ausdruck und zahlreiche Journale winden gegründet,
welche zwar alle bald wieder untergingen, aber durch neue ersetzt wurden, die
allmälig auch bei dem sonst indifferenten Landvolk Einfluß zu üben begannen.

Consequentcs Festhalten an einem einmal aufgestellten Princip ist bekannt¬
lich niemals die Sache der östreichischen Negierung gewesen. Nachdem die
Russen fast ein Jahrzehnt lang auf Unkosten der Polen begünstigt worden waren,
trat zufolge des orientalischen Kneges und der zunehmenden Entfremdung zwischen
den Cabineten von Wien und Petersburg ein Umschlag ein, welcher der in
Fluß gekommenen Bewegung der russischen Geister ein Halt zuzurufen versuchte.
Graf Agenor Golnchowski, einer der Führer des hohen polnischen Adels, ein
Mann, der für freisinnig und für einen Gönner der Russen galt, trat an die
Spitze der Verwaltung. Erfüllt vou dem Gedanken, daß die Rettung der pol¬
nischen Nationalität nur von Oestreich ausgehen könne, wies er der Regierung
die Gefährlichkeit der ruthenischen Propaganda nach, die ihren lokalen Charakter
aufgegeben und einen russisch-mvslowitischcn angenommen habe, um der von
Rußland begünstigten Sache des Panslawismus in die Hände zu arbeiten.
Seinem Einfluß gelang es. den russischen Sprachunterricht bei den Gymnasien
aus der Reihe der obligatorischen Unterrichtsgegenstände zu streichen und zu einem
facultativen zu machen; die Thätigkeit der Matiza und der vorgeschritteneren
Organe der Presse wurde genauer überwacht, strenger gezügelt, die polnische
Nationalität allenthalben begünstigt und in der Bureaukratie bevorzugt.

Goluchowkis Hauptsorge wandte sich gegen die Verbreitung der moskauer
und Petersburger Presse in Gallizien und gegen den zunehmenden Gebrauch der
neurussischen, in Nußland gebräuchlichen Typen. Das gegenwärtige russische


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[0263] lind Schrifttums that, so trat sie wenigstens nicbt hindernd auf und das war seit dem Jahre 1848 auch in Galizie» genug. Was die russischen Volksführer in diesem Jahre gelernt hatten, vergessen sie nicht wilder und die ihnen damals gemachten Concessionen genügten, um dauernd eine freiere und selbständigere Bewegung der Geister zu ermöglichen: unter Stations Auspicien war zu Lem- berg eine Radownska (kirchliche Volksversammlung) abgehalten worden, ver¬ schiedene Gelehrtcnvcrsammlungen hatten unter Theilnahme fremder Celebritäten getagt, eine Literaturgesellschaft zur Verbreitung von Büchern in der National¬ sprache (die Halizko-rü?skaja Matiza) war gegründet, kurz ein ziemlich vollstän¬ diger Apparat für die Organisation volksthümlicher, literarisch-politischer Pro¬ paganda ins Leben gerufen. Dazu kam, das, die Negierung die Einführung des russischen Idioms in den Gymnasien und die Begründung eines russischen Lchrstuhls bei der lembcrger Universität zugestanden hatte und daß die Regie¬ rungsverordnungen in einer eigenen russischen Regierungszeitung veröffentlicht wurden. Es begann eine Zeit regere» literarischen Strebens. Vou der 48er Märzsvnnc ausgebrütet gab eine Anzahl junger Talente ihrem nationalen Eifer in Versen und in Prosa Ausdruck und zahlreiche Journale winden gegründet, welche zwar alle bald wieder untergingen, aber durch neue ersetzt wurden, die allmälig auch bei dem sonst indifferenten Landvolk Einfluß zu üben begannen. Consequentcs Festhalten an einem einmal aufgestellten Princip ist bekannt¬ lich niemals die Sache der östreichischen Negierung gewesen. Nachdem die Russen fast ein Jahrzehnt lang auf Unkosten der Polen begünstigt worden waren, trat zufolge des orientalischen Kneges und der zunehmenden Entfremdung zwischen den Cabineten von Wien und Petersburg ein Umschlag ein, welcher der in Fluß gekommenen Bewegung der russischen Geister ein Halt zuzurufen versuchte. Graf Agenor Golnchowski, einer der Führer des hohen polnischen Adels, ein Mann, der für freisinnig und für einen Gönner der Russen galt, trat an die Spitze der Verwaltung. Erfüllt vou dem Gedanken, daß die Rettung der pol¬ nischen Nationalität nur von Oestreich ausgehen könne, wies er der Regierung die Gefährlichkeit der ruthenischen Propaganda nach, die ihren lokalen Charakter aufgegeben und einen russisch-mvslowitischcn angenommen habe, um der von Rußland begünstigten Sache des Panslawismus in die Hände zu arbeiten. Seinem Einfluß gelang es. den russischen Sprachunterricht bei den Gymnasien aus der Reihe der obligatorischen Unterrichtsgegenstände zu streichen und zu einem facultativen zu machen; die Thätigkeit der Matiza und der vorgeschritteneren Organe der Presse wurde genauer überwacht, strenger gezügelt, die polnische Nationalität allenthalben begünstigt und in der Bureaukratie bevorzugt. Goluchowkis Hauptsorge wandte sich gegen die Verbreitung der moskauer und Petersburger Presse in Gallizien und gegen den zunehmenden Gebrauch der neurussischen, in Nußland gebräuchlichen Typen. Das gegenwärtige russische

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_190158/263>, abgerufen am 22.12.2024.