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Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. I. Band.

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liberaler war als jedes andere Regiment, das jemals in Halicz oder Süd-
tudomcrien gewaltet hatte.

Daß die Schale der russischen Sache seit 1846 wieder steigen mußte, ver¬
stand sich für die östreichische Negierung von selbst. Franz Stadion, der den
rathlosen Erzherzog Ferdinand 1847 im Amte eines k, k. Statthalters ersetzte,
wurde eifrigster Anwalt der russischen Regungen: mit staatsmännischem Scharf¬
blick übersah er den Gewinn, welcher sich für das östreichische Interesse aus
den polenfeindlichcn Tendenzen des Landvolks ziehen ließ, wenn dasselbe nur
vor jeder Berührung mit den Stammverwandten jenseit der russischen Grenze
bewahrt bleiben konnte. So "erfand" er den Volksstamm der "Ruthcnen". der
in Wahrheit niemals existirt hatte. In Deutschland wurde der Name zuerst
während des Jahres 1848 genannt, wo sie zu den treuesten Verfechtern der
Sache des Hauses Lothringen-Habsburg innerhalb wie außerhalb des Par¬
laments gehörten. Die Sprache, welche einer ihrer Vertreter, der Bauer Ka-
puszak bei Gelegenheit des berühmten Kudlichschen Antrags auf sofortige Ab¬
schaffung aller ländlichen Frohnen und Lasten führte, wird manchem der Zeitungs-
leser jenes denkwürdigen Jahres noch erinnerlich sein. Den Geistlichen (Popen)
und Bauern, welche das galizische "Volk" nach Wien und Krcmsier entsendet
hatte, war von ihren Wählern nur ein Mandat mitgegeben worden: Abschaffung
des Robot und möglichste Unabhängigkeit von den Herren. Nachdem diese Ziele
erreicht waren, traten die galizischen Deputirten, welche in der Nvbotfrage mit
der äußersten Linken gestimmt hatten, direct und bedingungslos in das Lager
der Reaction über, um mit ihrem Kaiser, dem Manne, dessen Rechte die ver¬
haßten "Herren" verkürzen wollten, durch Dick und Dünn zu gehen. Der tolle
prager Slawcncongreß (Mai 1849) führte neben anderen Farcen auch die
einer feierlichen Aussöhnung der Polen und der galizischen Russen auf, die
einander gegenseitig politische und kirchliche Parität garantirten und sodann
einen Bruderbund schlossen. Nichts desto weniger war der Antagonismus
zwischen diesen beiden Stämmen, von denen der eine für den zuverlässigsten, der
andere für den unzuverlässigsten Anhänger Oestreichs galt, während der ge¬
stimmten Revolutionszeit ein besonders entschiedener: die Einnahme Wiens
durch den Fürsten Windischgrätz (Nov. 1848) wurde von dem einen Volk ge¬
feiert, von dem andern beklagt; während der galizische Adel die Sache des
ungarischen Aufstandes insgeheim nach Kräften unicrstünte, boten die Vor¬
steher der an den Karpathen liegenden russischen Dorfgemeinden ihre Jugend
zum kaiserlichen Landsturm auf.

Unter solchen Umständen war es erklärlich, daß die Unterstützung " ruthc-
nischer" Bestrebungen in Galizien während der gesammten Bach-schwarzenberg-
schen Neactionspcriode für ein Axiom der östreichischen Staatskunst galt.
Wenn die Regierung auch wenig Positives zu Gunsten des russischen Volks


liberaler war als jedes andere Regiment, das jemals in Halicz oder Süd-
tudomcrien gewaltet hatte.

Daß die Schale der russischen Sache seit 1846 wieder steigen mußte, ver¬
stand sich für die östreichische Negierung von selbst. Franz Stadion, der den
rathlosen Erzherzog Ferdinand 1847 im Amte eines k, k. Statthalters ersetzte,
wurde eifrigster Anwalt der russischen Regungen: mit staatsmännischem Scharf¬
blick übersah er den Gewinn, welcher sich für das östreichische Interesse aus
den polenfeindlichcn Tendenzen des Landvolks ziehen ließ, wenn dasselbe nur
vor jeder Berührung mit den Stammverwandten jenseit der russischen Grenze
bewahrt bleiben konnte. So „erfand" er den Volksstamm der „Ruthcnen". der
in Wahrheit niemals existirt hatte. In Deutschland wurde der Name zuerst
während des Jahres 1848 genannt, wo sie zu den treuesten Verfechtern der
Sache des Hauses Lothringen-Habsburg innerhalb wie außerhalb des Par¬
laments gehörten. Die Sprache, welche einer ihrer Vertreter, der Bauer Ka-
puszak bei Gelegenheit des berühmten Kudlichschen Antrags auf sofortige Ab¬
schaffung aller ländlichen Frohnen und Lasten führte, wird manchem der Zeitungs-
leser jenes denkwürdigen Jahres noch erinnerlich sein. Den Geistlichen (Popen)
und Bauern, welche das galizische „Volk" nach Wien und Krcmsier entsendet
hatte, war von ihren Wählern nur ein Mandat mitgegeben worden: Abschaffung
des Robot und möglichste Unabhängigkeit von den Herren. Nachdem diese Ziele
erreicht waren, traten die galizischen Deputirten, welche in der Nvbotfrage mit
der äußersten Linken gestimmt hatten, direct und bedingungslos in das Lager
der Reaction über, um mit ihrem Kaiser, dem Manne, dessen Rechte die ver¬
haßten „Herren" verkürzen wollten, durch Dick und Dünn zu gehen. Der tolle
prager Slawcncongreß (Mai 1849) führte neben anderen Farcen auch die
einer feierlichen Aussöhnung der Polen und der galizischen Russen auf, die
einander gegenseitig politische und kirchliche Parität garantirten und sodann
einen Bruderbund schlossen. Nichts desto weniger war der Antagonismus
zwischen diesen beiden Stämmen, von denen der eine für den zuverlässigsten, der
andere für den unzuverlässigsten Anhänger Oestreichs galt, während der ge¬
stimmten Revolutionszeit ein besonders entschiedener: die Einnahme Wiens
durch den Fürsten Windischgrätz (Nov. 1848) wurde von dem einen Volk ge¬
feiert, von dem andern beklagt; während der galizische Adel die Sache des
ungarischen Aufstandes insgeheim nach Kräften unicrstünte, boten die Vor¬
steher der an den Karpathen liegenden russischen Dorfgemeinden ihre Jugend
zum kaiserlichen Landsturm auf.

Unter solchen Umständen war es erklärlich, daß die Unterstützung „ ruthc-
nischer" Bestrebungen in Galizien während der gesammten Bach-schwarzenberg-
schen Neactionspcriode für ein Axiom der östreichischen Staatskunst galt.
Wenn die Regierung auch wenig Positives zu Gunsten des russischen Volks


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_190158/262>, abgerufen am 22.12.2024.