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Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. I. Band.

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Gebrauch der russischen Sprache beim gelehrten wie beim Volksuntenicht. Aber
nach weniger als drei Jahrzehnten östreichischer Herrschaft wandte sich das Blatt;
so lange es noch Ueberbleibsel des polnischen Staats gab, die sich einer gewissen
Selbständigkeit erfreuten, hatte man es in Wien nicht ungern gesehen, daß die
nationale Verschiedenheit zwischen der herrschenden und der dienenden Classe in
Ostgalizien genährt wurde, -- nach der dritten Theilung Polens (1798) schien
die Gefahr polnischer Unabhängigkcitsgelüste wenigstens vor der Hand beseitigt.
Dagegen ließ die zunehmende Macht des gefährlichen Nachbarn, der die östliche
Hälfte Polens und Lithauens verschlungen hatte, die Erstarkung eines russischen
Nationalgefühls innerhalb des östreichischen Staatsgebiets, zumal an der Ost-
grenze desselben bedenklich erscheinen.

Die dem " Königreich Galizien " im Jahre 1817 verliehene " Landesver¬
fassung" hielt die Verschmelzung der polnischen und der russischen Landestheile
aufrecht und entsprach schon dadurch dem polnischen Interesse; auf dem Land¬
tage war neben der Geistlichkeit und der Stadt Lemberg eigentlich nur der
Adel vertreten; die Mitglieder des Landtags aus s chusscs mußten der pol¬
nischen, deutschen und der lateinischen Sprache mächtig sein, von der russischen
war ebenso wenig die Rede, wie von bäuerlichen Deputaten. Das gleichzeitig
mit der Verfassung erlassene Gesetz über das Unterrichtswesen schloß die rus¬
sische Sprache von den höheren Lehranstalten, in welche sie sich einzubürgern
begonnen hatte, fast ganz aus -- nur für das griechisch-geistliche Seminar in
Lemberg blieb sie obligatorisch. Alle Bemühungen des lembcrger griechischen
Metropoliten 'Lewizty, der mindestens die Concessionen Josephs des Zweiten
gewahrt wissen wollte, scheiterten an der Abneigung der galizischen Landes¬
regierung, welche in ihrem an das Ministerium gerichteten Gutachten von 1816
direct aussprach, die Rücksicht auf Nußland und dessen ehrgeizige Pläne verbiete
die Förderung russisch-nationaler Bestrebungen, möchten dieselben auch nur
literarischer Natur sein, im Interesse des östreichischen Staats und seiner Inte¬
grität ein für alle Mal.

Von 1795 ab entzog die Negierung den russischen Nativnalbestrebungen
ihre Unterstützung. Auf ihre eigenen Kräfte angewiesen, vermochten die gali¬
zischen Nüssen dem wiedererwachten polnischen Einfluß keinen Damm entgegen¬
zusetzen; nach wie vor zö.^ das polnische Element alle strebsamen und intelli¬
genten Kräfte an sich, war der russische Bauer auf die wenigen kirchlichen
Bücher angewiesen, welche sein Priester ihm in die Hand gab, war der grie¬
chische Geistliche von den katholischen Bischöfen des Landes und dem römischen
Konsistorium abhängig, das zugleich die Oberschulbehörde war und den Volks¬
unterricht in Polnisch-katholischem Geiste leitete. Zwar traten einzelne russische
Schriftsteller wie Staszkicwicz. Kuziemski u. a. auf, um die Kenntniß der groß-
russischen Literatur zu verbreiten, Volkslieder und Chroniken zu sammeln und


Gebrauch der russischen Sprache beim gelehrten wie beim Volksuntenicht. Aber
nach weniger als drei Jahrzehnten östreichischer Herrschaft wandte sich das Blatt;
so lange es noch Ueberbleibsel des polnischen Staats gab, die sich einer gewissen
Selbständigkeit erfreuten, hatte man es in Wien nicht ungern gesehen, daß die
nationale Verschiedenheit zwischen der herrschenden und der dienenden Classe in
Ostgalizien genährt wurde, — nach der dritten Theilung Polens (1798) schien
die Gefahr polnischer Unabhängigkcitsgelüste wenigstens vor der Hand beseitigt.
Dagegen ließ die zunehmende Macht des gefährlichen Nachbarn, der die östliche
Hälfte Polens und Lithauens verschlungen hatte, die Erstarkung eines russischen
Nationalgefühls innerhalb des östreichischen Staatsgebiets, zumal an der Ost-
grenze desselben bedenklich erscheinen.

Die dem „ Königreich Galizien " im Jahre 1817 verliehene „ Landesver¬
fassung" hielt die Verschmelzung der polnischen und der russischen Landestheile
aufrecht und entsprach schon dadurch dem polnischen Interesse; auf dem Land¬
tage war neben der Geistlichkeit und der Stadt Lemberg eigentlich nur der
Adel vertreten; die Mitglieder des Landtags aus s chusscs mußten der pol¬
nischen, deutschen und der lateinischen Sprache mächtig sein, von der russischen
war ebenso wenig die Rede, wie von bäuerlichen Deputaten. Das gleichzeitig
mit der Verfassung erlassene Gesetz über das Unterrichtswesen schloß die rus¬
sische Sprache von den höheren Lehranstalten, in welche sie sich einzubürgern
begonnen hatte, fast ganz aus — nur für das griechisch-geistliche Seminar in
Lemberg blieb sie obligatorisch. Alle Bemühungen des lembcrger griechischen
Metropoliten 'Lewizty, der mindestens die Concessionen Josephs des Zweiten
gewahrt wissen wollte, scheiterten an der Abneigung der galizischen Landes¬
regierung, welche in ihrem an das Ministerium gerichteten Gutachten von 1816
direct aussprach, die Rücksicht auf Nußland und dessen ehrgeizige Pläne verbiete
die Förderung russisch-nationaler Bestrebungen, möchten dieselben auch nur
literarischer Natur sein, im Interesse des östreichischen Staats und seiner Inte¬
grität ein für alle Mal.

Von 1795 ab entzog die Negierung den russischen Nativnalbestrebungen
ihre Unterstützung. Auf ihre eigenen Kräfte angewiesen, vermochten die gali¬
zischen Nüssen dem wiedererwachten polnischen Einfluß keinen Damm entgegen¬
zusetzen; nach wie vor zö.^ das polnische Element alle strebsamen und intelli¬
genten Kräfte an sich, war der russische Bauer auf die wenigen kirchlichen
Bücher angewiesen, welche sein Priester ihm in die Hand gab, war der grie¬
chische Geistliche von den katholischen Bischöfen des Landes und dem römischen
Konsistorium abhängig, das zugleich die Oberschulbehörde war und den Volks¬
unterricht in Polnisch-katholischem Geiste leitete. Zwar traten einzelne russische
Schriftsteller wie Staszkicwicz. Kuziemski u. a. auf, um die Kenntniß der groß-
russischen Literatur zu verbreiten, Volkslieder und Chroniken zu sammeln und


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[0260] Gebrauch der russischen Sprache beim gelehrten wie beim Volksuntenicht. Aber nach weniger als drei Jahrzehnten östreichischer Herrschaft wandte sich das Blatt; so lange es noch Ueberbleibsel des polnischen Staats gab, die sich einer gewissen Selbständigkeit erfreuten, hatte man es in Wien nicht ungern gesehen, daß die nationale Verschiedenheit zwischen der herrschenden und der dienenden Classe in Ostgalizien genährt wurde, — nach der dritten Theilung Polens (1798) schien die Gefahr polnischer Unabhängigkcitsgelüste wenigstens vor der Hand beseitigt. Dagegen ließ die zunehmende Macht des gefährlichen Nachbarn, der die östliche Hälfte Polens und Lithauens verschlungen hatte, die Erstarkung eines russischen Nationalgefühls innerhalb des östreichischen Staatsgebiets, zumal an der Ost- grenze desselben bedenklich erscheinen. Die dem „ Königreich Galizien " im Jahre 1817 verliehene „ Landesver¬ fassung" hielt die Verschmelzung der polnischen und der russischen Landestheile aufrecht und entsprach schon dadurch dem polnischen Interesse; auf dem Land¬ tage war neben der Geistlichkeit und der Stadt Lemberg eigentlich nur der Adel vertreten; die Mitglieder des Landtags aus s chusscs mußten der pol¬ nischen, deutschen und der lateinischen Sprache mächtig sein, von der russischen war ebenso wenig die Rede, wie von bäuerlichen Deputaten. Das gleichzeitig mit der Verfassung erlassene Gesetz über das Unterrichtswesen schloß die rus¬ sische Sprache von den höheren Lehranstalten, in welche sie sich einzubürgern begonnen hatte, fast ganz aus — nur für das griechisch-geistliche Seminar in Lemberg blieb sie obligatorisch. Alle Bemühungen des lembcrger griechischen Metropoliten 'Lewizty, der mindestens die Concessionen Josephs des Zweiten gewahrt wissen wollte, scheiterten an der Abneigung der galizischen Landes¬ regierung, welche in ihrem an das Ministerium gerichteten Gutachten von 1816 direct aussprach, die Rücksicht auf Nußland und dessen ehrgeizige Pläne verbiete die Förderung russisch-nationaler Bestrebungen, möchten dieselben auch nur literarischer Natur sein, im Interesse des östreichischen Staats und seiner Inte¬ grität ein für alle Mal. Von 1795 ab entzog die Negierung den russischen Nativnalbestrebungen ihre Unterstützung. Auf ihre eigenen Kräfte angewiesen, vermochten die gali¬ zischen Nüssen dem wiedererwachten polnischen Einfluß keinen Damm entgegen¬ zusetzen; nach wie vor zö.^ das polnische Element alle strebsamen und intelli¬ genten Kräfte an sich, war der russische Bauer auf die wenigen kirchlichen Bücher angewiesen, welche sein Priester ihm in die Hand gab, war der grie¬ chische Geistliche von den katholischen Bischöfen des Landes und dem römischen Konsistorium abhängig, das zugleich die Oberschulbehörde war und den Volks¬ unterricht in Polnisch-katholischem Geiste leitete. Zwar traten einzelne russische Schriftsteller wie Staszkicwicz. Kuziemski u. a. auf, um die Kenntniß der groß- russischen Literatur zu verbreiten, Volkslieder und Chroniken zu sammeln und

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_190158/260>, abgerufen am 23.12.2024.