Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

hat ein dem Umstände nichts zu ändern vermocht, daß der katholische Pole in
diesem Lande als geborener Herr, als Vertreter eines höheren Culturelements
angesehen und -- willig oder widerwillig -- respectirt wird, -- Der Ade! und
die Städte Lithauens waren schon hundert Jahre nach der Heirath Iagellos
und Jadwigas, wenige Ausnahmen abgerechnet, polonistrt, die griechische Kirche
war aus ihrer Machtstellung verdrängt, unaufhörlich befehdet, an jedem inneren
Aufschwung verhindert; da man die griechischen Kirchenschulen und Seminare
niederhielt und ihre Ausbreitung möglichst erschwerte, war der Klerus ungebildet
und den überlegenen Waffen seiner katholischen Rivalen gegenüber wehrlos, nur
das Landvolk hielt, besonders in Weißrußland, an der Religion seiner Väter
fest, die mehr und mehr zu einer Bauernreligion wurde und schon der Armuth
und Unwissenheit ihrer geistlichen und weltlichen Vertreter wegen verachtet war.

Das Schicksal Lithauens und Weißrußlands war zugleich das Wolynicns
und des rothrussischen Landes, welches wir zum Ausgangspunkt unserer Be¬
trachtung wählten. Die Bischöfe von Halicz, Lemberg, Luck n. s. w. sahen den
griechischen Metropoliten von Wilna als ihren geistlichen Oberhirten an -- das
Loos, das diesem und den übrigen Theilen der Metrovolitandiöccse bereitet war,
wurde von der griechisch-orthodoxen Kirche, welche am Fuße der Karpathen ge¬
herrscht hatte, vollständig getheilt. Nur durch den San von Kleinpolen getrennt,
wurde Rothrußland binnen kurzem zu einer polnischen Woyewodschaft, seine
Bojaren ahmten das in Wilna gegebene Beispiel nach, bekannten sich zur
katholischen Kirche, nahmen die polnische Sprache und mit dieser polnische An-
schauungen, Sitten und Bräuche an. Polnische Geistliche und Beamte über¬
schwemmten da? Land, dessen russischer Charakter dem mächtigen Strom der
westlichen Cultur kein dauerndes Bollwerk entgegenzusehen wußte. Der roth-
russische Ade! verschmolz un! dem polnischen so vollständig, daß die Begriffe
Edelmann und Pole bald ebenso identisch waren, w>e die Bezeichnungen Bauer
und Russe; wiederholt haben Edelleute russisch-galizischen Ursprungs (Wisnowiecki
und Sobiesli) den Thron der Piaster bestiege" und sich als eifrige Vorkämpfer
der Kirche und der Nationalttät bewiesen, welche ihren Vorfahren für die Erb¬
feinde des russische" Namens gegolten hatten, -- Während katholische Würden¬
träger des Landes, obwohl sie die Religion der Minorität repräsentirten, zu¬
gleich hohe Staatsämter bekleideten und als Senatoren fungirten, mußten die
griechisch-orthodoxen Geistlichen sich damit begnügen, die geduldeten Dorfpriestcr
der armen, gedrückten und verachteten Bauern zu sein, deren Loos sich gleich
dem der polnischen und lithauischen Bewohner des flachen Landes von Jahr zu
Jahr verschlimmerte. Der westliche Theil des Landes, die sogenannte Woyewod¬
schaft Rothrußland (mit den Hauptstädten Lemberg und Przemyszl) war durch
sechs Senatoren und achtzehn Slarvsten, Halicz durch zwei Senatoren und elf
Starosten Ms den Reichstagen vertreten; auf den Provinzialversammlungen


hat ein dem Umstände nichts zu ändern vermocht, daß der katholische Pole in
diesem Lande als geborener Herr, als Vertreter eines höheren Culturelements
angesehen und — willig oder widerwillig — respectirt wird, — Der Ade! und
die Städte Lithauens waren schon hundert Jahre nach der Heirath Iagellos
und Jadwigas, wenige Ausnahmen abgerechnet, polonistrt, die griechische Kirche
war aus ihrer Machtstellung verdrängt, unaufhörlich befehdet, an jedem inneren
Aufschwung verhindert; da man die griechischen Kirchenschulen und Seminare
niederhielt und ihre Ausbreitung möglichst erschwerte, war der Klerus ungebildet
und den überlegenen Waffen seiner katholischen Rivalen gegenüber wehrlos, nur
das Landvolk hielt, besonders in Weißrußland, an der Religion seiner Väter
fest, die mehr und mehr zu einer Bauernreligion wurde und schon der Armuth
und Unwissenheit ihrer geistlichen und weltlichen Vertreter wegen verachtet war.

Das Schicksal Lithauens und Weißrußlands war zugleich das Wolynicns
und des rothrussischen Landes, welches wir zum Ausgangspunkt unserer Be¬
trachtung wählten. Die Bischöfe von Halicz, Lemberg, Luck n. s. w. sahen den
griechischen Metropoliten von Wilna als ihren geistlichen Oberhirten an — das
Loos, das diesem und den übrigen Theilen der Metrovolitandiöccse bereitet war,
wurde von der griechisch-orthodoxen Kirche, welche am Fuße der Karpathen ge¬
herrscht hatte, vollständig getheilt. Nur durch den San von Kleinpolen getrennt,
wurde Rothrußland binnen kurzem zu einer polnischen Woyewodschaft, seine
Bojaren ahmten das in Wilna gegebene Beispiel nach, bekannten sich zur
katholischen Kirche, nahmen die polnische Sprache und mit dieser polnische An-
schauungen, Sitten und Bräuche an. Polnische Geistliche und Beamte über¬
schwemmten da? Land, dessen russischer Charakter dem mächtigen Strom der
westlichen Cultur kein dauerndes Bollwerk entgegenzusehen wußte. Der roth-
russische Ade! verschmolz un! dem polnischen so vollständig, daß die Begriffe
Edelmann und Pole bald ebenso identisch waren, w>e die Bezeichnungen Bauer
und Russe; wiederholt haben Edelleute russisch-galizischen Ursprungs (Wisnowiecki
und Sobiesli) den Thron der Piaster bestiege» und sich als eifrige Vorkämpfer
der Kirche und der Nationalttät bewiesen, welche ihren Vorfahren für die Erb¬
feinde des russische» Namens gegolten hatten, — Während katholische Würden¬
träger des Landes, obwohl sie die Religion der Minorität repräsentirten, zu¬
gleich hohe Staatsämter bekleideten und als Senatoren fungirten, mußten die
griechisch-orthodoxen Geistlichen sich damit begnügen, die geduldeten Dorfpriestcr
der armen, gedrückten und verachteten Bauern zu sein, deren Loos sich gleich
dem der polnischen und lithauischen Bewohner des flachen Landes von Jahr zu
Jahr verschlimmerte. Der westliche Theil des Landes, die sogenannte Woyewod¬
schaft Rothrußland (mit den Hauptstädten Lemberg und Przemyszl) war durch
sechs Senatoren und achtzehn Slarvsten, Halicz durch zwei Senatoren und elf
Starosten Ms den Reichstagen vertreten; auf den Provinzialversammlungen


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0258" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/190417"/>
          <p xml:id="ID_895" prev="#ID_894"> hat ein dem Umstände nichts zu ändern vermocht, daß der katholische Pole in<lb/>
diesem Lande als geborener Herr, als Vertreter eines höheren Culturelements<lb/>
angesehen und &#x2014; willig oder widerwillig &#x2014; respectirt wird, &#x2014; Der Ade! und<lb/>
die Städte Lithauens waren schon hundert Jahre nach der Heirath Iagellos<lb/>
und Jadwigas, wenige Ausnahmen abgerechnet, polonistrt, die griechische Kirche<lb/>
war aus ihrer Machtstellung verdrängt, unaufhörlich befehdet, an jedem inneren<lb/>
Aufschwung verhindert; da man die griechischen Kirchenschulen und Seminare<lb/>
niederhielt und ihre Ausbreitung möglichst erschwerte, war der Klerus ungebildet<lb/>
und den überlegenen Waffen seiner katholischen Rivalen gegenüber wehrlos, nur<lb/>
das Landvolk hielt, besonders in Weißrußland, an der Religion seiner Väter<lb/>
fest, die mehr und mehr zu einer Bauernreligion wurde und schon der Armuth<lb/>
und Unwissenheit ihrer geistlichen und weltlichen Vertreter wegen verachtet war.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_896" next="#ID_897"> Das Schicksal Lithauens und Weißrußlands war zugleich das Wolynicns<lb/>
und des rothrussischen Landes, welches wir zum Ausgangspunkt unserer Be¬<lb/>
trachtung wählten. Die Bischöfe von Halicz, Lemberg, Luck n. s. w. sahen den<lb/>
griechischen Metropoliten von Wilna als ihren geistlichen Oberhirten an &#x2014; das<lb/>
Loos, das diesem und den übrigen Theilen der Metrovolitandiöccse bereitet war,<lb/>
wurde von der griechisch-orthodoxen Kirche, welche am Fuße der Karpathen ge¬<lb/>
herrscht hatte, vollständig getheilt. Nur durch den San von Kleinpolen getrennt,<lb/>
wurde Rothrußland binnen kurzem zu einer polnischen Woyewodschaft, seine<lb/>
Bojaren ahmten das in Wilna gegebene Beispiel nach, bekannten sich zur<lb/>
katholischen Kirche, nahmen die polnische Sprache und mit dieser polnische An-<lb/>
schauungen, Sitten und Bräuche an. Polnische Geistliche und Beamte über¬<lb/>
schwemmten da? Land, dessen russischer Charakter dem mächtigen Strom der<lb/>
westlichen Cultur kein dauerndes Bollwerk entgegenzusehen wußte. Der roth-<lb/>
russische Ade! verschmolz un! dem polnischen so vollständig, daß die Begriffe<lb/>
Edelmann und Pole bald ebenso identisch waren, w&gt;e die Bezeichnungen Bauer<lb/>
und Russe; wiederholt haben Edelleute russisch-galizischen Ursprungs (Wisnowiecki<lb/>
und Sobiesli) den Thron der Piaster bestiege» und sich als eifrige Vorkämpfer<lb/>
der Kirche und der Nationalttät bewiesen, welche ihren Vorfahren für die Erb¬<lb/>
feinde des russische» Namens gegolten hatten, &#x2014; Während katholische Würden¬<lb/>
träger des Landes, obwohl sie die Religion der Minorität repräsentirten, zu¬<lb/>
gleich hohe Staatsämter bekleideten und als Senatoren fungirten, mußten die<lb/>
griechisch-orthodoxen Geistlichen sich damit begnügen, die geduldeten Dorfpriestcr<lb/>
der armen, gedrückten und verachteten Bauern zu sein, deren Loos sich gleich<lb/>
dem der polnischen und lithauischen Bewohner des flachen Landes von Jahr zu<lb/>
Jahr verschlimmerte. Der westliche Theil des Landes, die sogenannte Woyewod¬<lb/>
schaft Rothrußland (mit den Hauptstädten Lemberg und Przemyszl) war durch<lb/>
sechs Senatoren und achtzehn Slarvsten, Halicz durch zwei Senatoren und elf<lb/>
Starosten Ms den Reichstagen vertreten; auf den Provinzialversammlungen</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0258] hat ein dem Umstände nichts zu ändern vermocht, daß der katholische Pole in diesem Lande als geborener Herr, als Vertreter eines höheren Culturelements angesehen und — willig oder widerwillig — respectirt wird, — Der Ade! und die Städte Lithauens waren schon hundert Jahre nach der Heirath Iagellos und Jadwigas, wenige Ausnahmen abgerechnet, polonistrt, die griechische Kirche war aus ihrer Machtstellung verdrängt, unaufhörlich befehdet, an jedem inneren Aufschwung verhindert; da man die griechischen Kirchenschulen und Seminare niederhielt und ihre Ausbreitung möglichst erschwerte, war der Klerus ungebildet und den überlegenen Waffen seiner katholischen Rivalen gegenüber wehrlos, nur das Landvolk hielt, besonders in Weißrußland, an der Religion seiner Väter fest, die mehr und mehr zu einer Bauernreligion wurde und schon der Armuth und Unwissenheit ihrer geistlichen und weltlichen Vertreter wegen verachtet war. Das Schicksal Lithauens und Weißrußlands war zugleich das Wolynicns und des rothrussischen Landes, welches wir zum Ausgangspunkt unserer Be¬ trachtung wählten. Die Bischöfe von Halicz, Lemberg, Luck n. s. w. sahen den griechischen Metropoliten von Wilna als ihren geistlichen Oberhirten an — das Loos, das diesem und den übrigen Theilen der Metrovolitandiöccse bereitet war, wurde von der griechisch-orthodoxen Kirche, welche am Fuße der Karpathen ge¬ herrscht hatte, vollständig getheilt. Nur durch den San von Kleinpolen getrennt, wurde Rothrußland binnen kurzem zu einer polnischen Woyewodschaft, seine Bojaren ahmten das in Wilna gegebene Beispiel nach, bekannten sich zur katholischen Kirche, nahmen die polnische Sprache und mit dieser polnische An- schauungen, Sitten und Bräuche an. Polnische Geistliche und Beamte über¬ schwemmten da? Land, dessen russischer Charakter dem mächtigen Strom der westlichen Cultur kein dauerndes Bollwerk entgegenzusehen wußte. Der roth- russische Ade! verschmolz un! dem polnischen so vollständig, daß die Begriffe Edelmann und Pole bald ebenso identisch waren, w>e die Bezeichnungen Bauer und Russe; wiederholt haben Edelleute russisch-galizischen Ursprungs (Wisnowiecki und Sobiesli) den Thron der Piaster bestiege» und sich als eifrige Vorkämpfer der Kirche und der Nationalttät bewiesen, welche ihren Vorfahren für die Erb¬ feinde des russische» Namens gegolten hatten, — Während katholische Würden¬ träger des Landes, obwohl sie die Religion der Minorität repräsentirten, zu¬ gleich hohe Staatsämter bekleideten und als Senatoren fungirten, mußten die griechisch-orthodoxen Geistlichen sich damit begnügen, die geduldeten Dorfpriestcr der armen, gedrückten und verachteten Bauern zu sein, deren Loos sich gleich dem der polnischen und lithauischen Bewohner des flachen Landes von Jahr zu Jahr verschlimmerte. Der westliche Theil des Landes, die sogenannte Woyewod¬ schaft Rothrußland (mit den Hauptstädten Lemberg und Przemyszl) war durch sechs Senatoren und achtzehn Slarvsten, Halicz durch zwei Senatoren und elf Starosten Ms den Reichstagen vertreten; auf den Provinzialversammlungen

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_190158
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_190158/258
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_190158/258>, abgerufen am 23.12.2024.