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Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. I. Band.

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hier gab es eine Art russisch-byzantinischer Cultur, während die Gefilde zwischen
Dnjcster und Wolga sich mehr und mehr in eine mit den Trümmern alter
Herrlichkeit und Civilisation bedeckte Einöde verwandelten, Aus dieser Periode
datiren zahlreiche, dem russischen Nationalbewußtsein theure, in der That un-
vergeßliche Erinnerungen -- sie war aber zu kurz, um eine bleibende Bedeutung
erringen zu können. -- Nach Daniels Tode wurde das wesirussische Reich
wiederum zerstückelt, schon im ersten Vierte! des 14. Jahrhunderts sehen wir
den nordöstlichen Theil in die Hände Gedimins des Lithauers fallen. Im
Jahr 1336 stirbt Georg, der letzte Sprosse aus dem ruhmreichen Hause Daniels
von Halicz, Boleslav, der Herzog von Masovien wird zu seinem Nachfolger
gewählt, schon 1340 hat König Kasimir von Polen sich des ganzen Landes be¬
mächtigt und es seinem Reiche einverleibt. Zur Zeit der Einherrigkeit Polens
und Ungarns kam West- oder Nothrußland (russisch (ÜMrvoirn^g. ILussZ noch
zeitweise an Ungarn, wurde nach der Vereinigung Polens und Lithauens aber
wiederum der Republik einverleibt und bis zum Jahr 1772 als intcgrirendcr
Theil des polnischen Staats angesehen.

Bei der Ursprünglichkeit des Culturzustandes, in welchem galizische Russen
und Polen sich im 14. Jahrh, befanden, hätte sich eine Fusion dieser beiden slawi¬
schen Stämme leicht und mühelos vollziehen können. Während des Jahrhunderts,
das seit der mongolischen Invasion im östlichen Rußland vergangen war,
hatten lebhafte Beziehungen des vom Mutterlande isolirten westrussischen Staats
zu Polen und andern Ländern des Westens stattgefunden und eine gegenseitige
Annäherung zur Folge gehabt; dazu kam, daß die rothrussischen Bojaren ihren
Fürsten gegenüber eine Stellung eingenommen hatte", die der der polnischen
Aristokratie nicht unähnlich gewesen war. Ein entscheidender Umstand stand
aber von vornherein der internationalen Verschmelzung feindlich entgegen: die
Polen waren römische Katholiken, die Russen Anhänger der griech.-kath. Kirche,
die in die westrussischen Städte bereits eine gewisse Culturblüthe getragen hatte.

Der byzantinische Einfluß scheint in dem südwestlichen Nußland besonders
stark und nachhaltig gewesen zu sein, in den höheren Ständen war zuweilen
die Kenntniß der griechischen Sprache zu finden, die Geistlichkeit eifrig mit der
Uebersetzung und Verarbeitung theologischer Schriften, ritualer Handbücher und
kirchlicher Chroniken beschäftigt. Während des ersten halben Jahrhunderts der
polnischen Herrschaft verhielten sich die neuen Herrscher des Landes wie ihre
Beamten im Ganzen tolerant. Seit aber Jadwiga, König Ludwigs Tochter,
dem lithauischen Großfürsten Jagcllo die Hand gereicht und dadurch die Ver¬
einigung Lithauens und Polens bewirkt hatte, erwachte der Rvthrußland gegen¬
über zurückgehaltene propagandistische Eifer des katholischen Klerus mit dop¬
pelter Starke. Die Katholisirung der halb heidnischen, halb der orientalischen
Kirche unterworfenen lithauischen Lande eröffnete der katholischen Mission ein


hier gab es eine Art russisch-byzantinischer Cultur, während die Gefilde zwischen
Dnjcster und Wolga sich mehr und mehr in eine mit den Trümmern alter
Herrlichkeit und Civilisation bedeckte Einöde verwandelten, Aus dieser Periode
datiren zahlreiche, dem russischen Nationalbewußtsein theure, in der That un-
vergeßliche Erinnerungen — sie war aber zu kurz, um eine bleibende Bedeutung
erringen zu können. — Nach Daniels Tode wurde das wesirussische Reich
wiederum zerstückelt, schon im ersten Vierte! des 14. Jahrhunderts sehen wir
den nordöstlichen Theil in die Hände Gedimins des Lithauers fallen. Im
Jahr 1336 stirbt Georg, der letzte Sprosse aus dem ruhmreichen Hause Daniels
von Halicz, Boleslav, der Herzog von Masovien wird zu seinem Nachfolger
gewählt, schon 1340 hat König Kasimir von Polen sich des ganzen Landes be¬
mächtigt und es seinem Reiche einverleibt. Zur Zeit der Einherrigkeit Polens
und Ungarns kam West- oder Nothrußland (russisch (ÜMrvoirn^g. ILussZ noch
zeitweise an Ungarn, wurde nach der Vereinigung Polens und Lithauens aber
wiederum der Republik einverleibt und bis zum Jahr 1772 als intcgrirendcr
Theil des polnischen Staats angesehen.

Bei der Ursprünglichkeit des Culturzustandes, in welchem galizische Russen
und Polen sich im 14. Jahrh, befanden, hätte sich eine Fusion dieser beiden slawi¬
schen Stämme leicht und mühelos vollziehen können. Während des Jahrhunderts,
das seit der mongolischen Invasion im östlichen Rußland vergangen war,
hatten lebhafte Beziehungen des vom Mutterlande isolirten westrussischen Staats
zu Polen und andern Ländern des Westens stattgefunden und eine gegenseitige
Annäherung zur Folge gehabt; dazu kam, daß die rothrussischen Bojaren ihren
Fürsten gegenüber eine Stellung eingenommen hatte», die der der polnischen
Aristokratie nicht unähnlich gewesen war. Ein entscheidender Umstand stand
aber von vornherein der internationalen Verschmelzung feindlich entgegen: die
Polen waren römische Katholiken, die Russen Anhänger der griech.-kath. Kirche,
die in die westrussischen Städte bereits eine gewisse Culturblüthe getragen hatte.

Der byzantinische Einfluß scheint in dem südwestlichen Nußland besonders
stark und nachhaltig gewesen zu sein, in den höheren Ständen war zuweilen
die Kenntniß der griechischen Sprache zu finden, die Geistlichkeit eifrig mit der
Uebersetzung und Verarbeitung theologischer Schriften, ritualer Handbücher und
kirchlicher Chroniken beschäftigt. Während des ersten halben Jahrhunderts der
polnischen Herrschaft verhielten sich die neuen Herrscher des Landes wie ihre
Beamten im Ganzen tolerant. Seit aber Jadwiga, König Ludwigs Tochter,
dem lithauischen Großfürsten Jagcllo die Hand gereicht und dadurch die Ver¬
einigung Lithauens und Polens bewirkt hatte, erwachte der Rvthrußland gegen¬
über zurückgehaltene propagandistische Eifer des katholischen Klerus mit dop¬
pelter Starke. Die Katholisirung der halb heidnischen, halb der orientalischen
Kirche unterworfenen lithauischen Lande eröffnete der katholischen Mission ein


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_190158/256>, abgerufen am 23.12.2024.