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Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. I. Band.

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Umwohner Kiews, Tsehernigows und Poltawas. Schon Olav. der Nachfolger
Nuriks. unterwarf dieses Land seinem Scepter und nachdem es inzwischen eine
Zeit lang von polnischen Stämmen in Besitz genommen worden war, wurde
es von Wladimir dem Großen 981 wiedererobert und dem Fürstentum Kiew
einverleibt. Als das russische Großsürstcnthum nach Wladimirs Tode unter
dessen Söhne vertheilt wurde, erhob der mit Rothrußland belehnte Fürst
den Ort Przemyszl (russisch! Percmyschl) zu seiner Hauptstadt. In stetem
Kampf mit Polen und Ungarn behaupteten diese Fürsten durch drei Jahr¬
hunderte den russischen Charakter ihres Landes, indem sie den Großfürsten von
Kiew, der damaligen russischen Hauptstadt, als ihren Oberherrn anerkannten.
Bon 1190--98 herrschte das Haus Wolodars; wiederholt wurde das Fürsten-
thum altrussischen Brauche gemäß unter die Söhne der Herrscher vertheilt und
schon im zwölften Jahrhundert lassen sich vier s. g. Theilfürstenthümer Perc¬
myschl, Halicz, Wladimir und Lnczk (die beiden erstgenannten Städte liegen im
heutigen Galizien, die beiden letzteren in dem russischen Gouvernement Woly-
uien; aus dem Namen Wladimir (polnisch Wolodomirz) ist die Bezeichnung
Ludomerien entstanden) unterscheiden. Aus dem einen oder dem andern dieser
kleinen Staaten wurde der russische Herrscher immer wieder von einem polnischen
zeitweilig verdrängt; der russische Einfluß behielt aber doch die Oberhand, Als
die Mongolen Nußland im 13. Jahrhundert eroberten, löste sich der alte Zu¬
sammenhang zwischen Kiew und den rothrussischen Fürstentümern allmälig.
Daniel von Halicz, dem es gelungen war, den von Msislaw (dem Großvater
Daniels) zum Fürsten eingesetzien Schwager seines Vaters, den Prinzen An¬
dreas von Ungarn zu vertreiben und alle vier Kleinstaaten seinem Scepter zu
unterwerfen, nahm den Titel König von Nußland an und ließ sich von dem
Papst mit einer Krone beschenken. Wählend das östliche Nußland von den
Mongolen verwüstet und zu einer abhängigen Provinz gemacht wurde, wußte
Daniel, ob er dem Mongolenthum gleich Tribut zahlen mußte, eine gewaltige
Würde und Unabhängigkeit zu behaupten. Die entferntere Lage seines Landes,
die Bündnisse, welche er mit dem Papst und verschiedenen westeuropäischen
Herrschern eingegangen war. setzten ihn in den Stand, die Einmischung des Chans
in innere Angelegenheiten abzuweisen und die selbständige Cultur Wcstrußlands
zu wahren. Einen Augenblick schien es, als ob der Schwerpunkt russischen
Lebens in diesen glücklich gerettete" Winkel verlegt werden sollte, nur im Reiche
Daniels konnte der Russe frei und sicher auftreten, hier blühten Städte auf,


scheu Buch von IM" heiße" sie Nußnjäkc", Springers (Geschichte Oestreichs, Ti), I-, S. S81)
Protest dagegen, daß el" nach Millionen zählender Volksstamm "erfunden" worden, darf
nicht mißverstanden werde". Nicht der Unterschied vo" Rothrussen und Polen, der früher aller¬
dings ig"orirt worden war, ist vo" Stablo" erfunden worden, wohl aber eine Bezeichnung
"Ruthcne"", welche aus einem Theil der tleinrussischen Race einen eigenen Volksstamm machte.

Umwohner Kiews, Tsehernigows und Poltawas. Schon Olav. der Nachfolger
Nuriks. unterwarf dieses Land seinem Scepter und nachdem es inzwischen eine
Zeit lang von polnischen Stämmen in Besitz genommen worden war, wurde
es von Wladimir dem Großen 981 wiedererobert und dem Fürstentum Kiew
einverleibt. Als das russische Großsürstcnthum nach Wladimirs Tode unter
dessen Söhne vertheilt wurde, erhob der mit Rothrußland belehnte Fürst
den Ort Przemyszl (russisch! Percmyschl) zu seiner Hauptstadt. In stetem
Kampf mit Polen und Ungarn behaupteten diese Fürsten durch drei Jahr¬
hunderte den russischen Charakter ihres Landes, indem sie den Großfürsten von
Kiew, der damaligen russischen Hauptstadt, als ihren Oberherrn anerkannten.
Bon 1190—98 herrschte das Haus Wolodars; wiederholt wurde das Fürsten-
thum altrussischen Brauche gemäß unter die Söhne der Herrscher vertheilt und
schon im zwölften Jahrhundert lassen sich vier s. g. Theilfürstenthümer Perc¬
myschl, Halicz, Wladimir und Lnczk (die beiden erstgenannten Städte liegen im
heutigen Galizien, die beiden letzteren in dem russischen Gouvernement Woly-
uien; aus dem Namen Wladimir (polnisch Wolodomirz) ist die Bezeichnung
Ludomerien entstanden) unterscheiden. Aus dem einen oder dem andern dieser
kleinen Staaten wurde der russische Herrscher immer wieder von einem polnischen
zeitweilig verdrängt; der russische Einfluß behielt aber doch die Oberhand, Als
die Mongolen Nußland im 13. Jahrhundert eroberten, löste sich der alte Zu¬
sammenhang zwischen Kiew und den rothrussischen Fürstentümern allmälig.
Daniel von Halicz, dem es gelungen war, den von Msislaw (dem Großvater
Daniels) zum Fürsten eingesetzien Schwager seines Vaters, den Prinzen An¬
dreas von Ungarn zu vertreiben und alle vier Kleinstaaten seinem Scepter zu
unterwerfen, nahm den Titel König von Nußland an und ließ sich von dem
Papst mit einer Krone beschenken. Wählend das östliche Nußland von den
Mongolen verwüstet und zu einer abhängigen Provinz gemacht wurde, wußte
Daniel, ob er dem Mongolenthum gleich Tribut zahlen mußte, eine gewaltige
Würde und Unabhängigkeit zu behaupten. Die entferntere Lage seines Landes,
die Bündnisse, welche er mit dem Papst und verschiedenen westeuropäischen
Herrschern eingegangen war. setzten ihn in den Stand, die Einmischung des Chans
in innere Angelegenheiten abzuweisen und die selbständige Cultur Wcstrußlands
zu wahren. Einen Augenblick schien es, als ob der Schwerpunkt russischen
Lebens in diesen glücklich gerettete» Winkel verlegt werden sollte, nur im Reiche
Daniels konnte der Russe frei und sicher auftreten, hier blühten Städte auf,


scheu Buch von IM» heiße» sie Nußnjäkc», Springers (Geschichte Oestreichs, Ti), I-, S. S81)
Protest dagegen, daß el» nach Millionen zählender Volksstamm „erfunden" worden, darf
nicht mißverstanden werde». Nicht der Unterschied vo» Rothrussen und Polen, der früher aller¬
dings ig»orirt worden war, ist vo» Stablo» erfunden worden, wohl aber eine Bezeichnung
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_190158/255>, abgerufen am 23.12.2024.