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Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. I. Band.

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Preisrichter zu sein ist in der That kein dankbares Geschäft. Wenn es den
athenischen Brabenten, die nach den Aufführungen unter der unmittelbaren
Controle der ganzen Nation urtheilten, so erging, daß nicht nur die Dichter
sich über unerwünschte Entscheidung öffentlich beklagten, sondern daß nach mehr
als zwcitansendJahren auch wir, ohne ihre Gründe zu kennen, über sie (z.B.sofern
sie den Vögeln des Aristophancv nur den zweiten Preis zuerkannten) noch die
Köpfe schütteln, so kann man sich leicht vorstellen, wie wenig unser Publikum
geneigt sein wird, den vaterländischen Preisrichtern etwas zu schenken, einerseits
da man von ihrem Rufe alles erwartet und doch weder das volle Material,
das ihnen vorgelegen, noch die differirenden Richtungen im Schooße ihres Kol¬
legiums kennt, andrerseits, weil es heutzutage überhaupt kaum einen ideal auf¬
strebenden Jüngling giebt, der nicht selbst eine Tragödie verfaßt hätte und so¬
nach sich selbst als Mitrichter fühlte. Unseres Erachten? sollte der bessere Theil
des Publikums sich vereinigen, solchen Männern ihre Arbeit nicbt noch saurer
zu machen, als sie bereits ist, sondern das von ihnen Empfohlene, wenn auch
nicht als das absolut beste, so doch als gediegenes und ernster Beachtung wür¬
diges Erzeugnis; hinnehmen.

Avr vielen Seiten hat man es der Commission zum Borwurf gemacht,
wie sie nur-überhaupt wieder ein Drama mit antikem und nickt vielmehr eines
mit nationalem und womöglich modernem Stoffe habe erkiesen können. Die
Principienfrage, die sich hieran knüpft, ist zu oft erörtert worden, als daß ich
sie ausführlich besprechen dürfte; aber einige Bemerkungen unterdrücke ich nicht.
Es läßt sich behaupten, daß zur Förderung nationalen Sinnes die römische
Geschichte bei uns Deutschen vielfach wirksamer gewesen ist als die heimische
selbst. In den Zeiten, wo unser Vaterland nur in der traurigsten Zersplitterung
nud Zerrissenheit, unter den, Joch unzähliger kleinen Selbstherrscher existirte,
in Zuständen der drückendsten geistigen Bevormundung und Knechtung, durste
der deutsche Knabe, dem man noch dazu die vaterländische Geschichte oft nnr in
hohnwürdiger Verdrehung und particularistischer Verengung darbot, an dem
Bilde des gewaltigen Römerreichs die Idee eines großen, starken und freien
Vaterlands hege" und nähren, während ihm das seine in ron.xi aus deu Augen
gerückt war; und wenn man ihn bei allem heimischen Druck nicht verhindern
konnte, sich für den Sturz der Tyrannen in Athen und Nom oder für die
großartigen Verfassnngskämpfe jener Staaten zu begeistern, so erwarb er in
jenen Bildern Ideale, die ihn selbst unter dem trübsten Elend der Heimath zu
Gute kamen. Und heute noch achten wir es als Postulat künstlerischer und
wissenschaftlicher Erziehung, ideell oder wirklich heimisch geworden zu sein im
alten Rom, dessen Senat einst einer Versammlung von Königen glich und was
für alle Zeiten die erhabensten Typen individueller Charakterstärke und nationaler
Vollkraft hervorgebracht hat. Die dramatische Kunst aller modernen Völker.


Preisrichter zu sein ist in der That kein dankbares Geschäft. Wenn es den
athenischen Brabenten, die nach den Aufführungen unter der unmittelbaren
Controle der ganzen Nation urtheilten, so erging, daß nicht nur die Dichter
sich über unerwünschte Entscheidung öffentlich beklagten, sondern daß nach mehr
als zwcitansendJahren auch wir, ohne ihre Gründe zu kennen, über sie (z.B.sofern
sie den Vögeln des Aristophancv nur den zweiten Preis zuerkannten) noch die
Köpfe schütteln, so kann man sich leicht vorstellen, wie wenig unser Publikum
geneigt sein wird, den vaterländischen Preisrichtern etwas zu schenken, einerseits
da man von ihrem Rufe alles erwartet und doch weder das volle Material,
das ihnen vorgelegen, noch die differirenden Richtungen im Schooße ihres Kol¬
legiums kennt, andrerseits, weil es heutzutage überhaupt kaum einen ideal auf¬
strebenden Jüngling giebt, der nicht selbst eine Tragödie verfaßt hätte und so¬
nach sich selbst als Mitrichter fühlte. Unseres Erachten? sollte der bessere Theil
des Publikums sich vereinigen, solchen Männern ihre Arbeit nicbt noch saurer
zu machen, als sie bereits ist, sondern das von ihnen Empfohlene, wenn auch
nicht als das absolut beste, so doch als gediegenes und ernster Beachtung wür¬
diges Erzeugnis; hinnehmen.

Avr vielen Seiten hat man es der Commission zum Borwurf gemacht,
wie sie nur-überhaupt wieder ein Drama mit antikem und nickt vielmehr eines
mit nationalem und womöglich modernem Stoffe habe erkiesen können. Die
Principienfrage, die sich hieran knüpft, ist zu oft erörtert worden, als daß ich
sie ausführlich besprechen dürfte; aber einige Bemerkungen unterdrücke ich nicht.
Es läßt sich behaupten, daß zur Förderung nationalen Sinnes die römische
Geschichte bei uns Deutschen vielfach wirksamer gewesen ist als die heimische
selbst. In den Zeiten, wo unser Vaterland nur in der traurigsten Zersplitterung
nud Zerrissenheit, unter den, Joch unzähliger kleinen Selbstherrscher existirte,
in Zuständen der drückendsten geistigen Bevormundung und Knechtung, durste
der deutsche Knabe, dem man noch dazu die vaterländische Geschichte oft nnr in
hohnwürdiger Verdrehung und particularistischer Verengung darbot, an dem
Bilde des gewaltigen Römerreichs die Idee eines großen, starken und freien
Vaterlands hege» und nähren, während ihm das seine in ron.xi aus deu Augen
gerückt war; und wenn man ihn bei allem heimischen Druck nicht verhindern
konnte, sich für den Sturz der Tyrannen in Athen und Nom oder für die
großartigen Verfassnngskämpfe jener Staaten zu begeistern, so erwarb er in
jenen Bildern Ideale, die ihn selbst unter dem trübsten Elend der Heimath zu
Gute kamen. Und heute noch achten wir es als Postulat künstlerischer und
wissenschaftlicher Erziehung, ideell oder wirklich heimisch geworden zu sein im
alten Rom, dessen Senat einst einer Versammlung von Königen glich und was
für alle Zeiten die erhabensten Typen individueller Charakterstärke und nationaler
Vollkraft hervorgebracht hat. Die dramatische Kunst aller modernen Völker.


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[0240] Preisrichter zu sein ist in der That kein dankbares Geschäft. Wenn es den athenischen Brabenten, die nach den Aufführungen unter der unmittelbaren Controle der ganzen Nation urtheilten, so erging, daß nicht nur die Dichter sich über unerwünschte Entscheidung öffentlich beklagten, sondern daß nach mehr als zwcitansendJahren auch wir, ohne ihre Gründe zu kennen, über sie (z.B.sofern sie den Vögeln des Aristophancv nur den zweiten Preis zuerkannten) noch die Köpfe schütteln, so kann man sich leicht vorstellen, wie wenig unser Publikum geneigt sein wird, den vaterländischen Preisrichtern etwas zu schenken, einerseits da man von ihrem Rufe alles erwartet und doch weder das volle Material, das ihnen vorgelegen, noch die differirenden Richtungen im Schooße ihres Kol¬ legiums kennt, andrerseits, weil es heutzutage überhaupt kaum einen ideal auf¬ strebenden Jüngling giebt, der nicht selbst eine Tragödie verfaßt hätte und so¬ nach sich selbst als Mitrichter fühlte. Unseres Erachten? sollte der bessere Theil des Publikums sich vereinigen, solchen Männern ihre Arbeit nicbt noch saurer zu machen, als sie bereits ist, sondern das von ihnen Empfohlene, wenn auch nicht als das absolut beste, so doch als gediegenes und ernster Beachtung wür¬ diges Erzeugnis; hinnehmen. Avr vielen Seiten hat man es der Commission zum Borwurf gemacht, wie sie nur-überhaupt wieder ein Drama mit antikem und nickt vielmehr eines mit nationalem und womöglich modernem Stoffe habe erkiesen können. Die Principienfrage, die sich hieran knüpft, ist zu oft erörtert worden, als daß ich sie ausführlich besprechen dürfte; aber einige Bemerkungen unterdrücke ich nicht. Es läßt sich behaupten, daß zur Förderung nationalen Sinnes die römische Geschichte bei uns Deutschen vielfach wirksamer gewesen ist als die heimische selbst. In den Zeiten, wo unser Vaterland nur in der traurigsten Zersplitterung nud Zerrissenheit, unter den, Joch unzähliger kleinen Selbstherrscher existirte, in Zuständen der drückendsten geistigen Bevormundung und Knechtung, durste der deutsche Knabe, dem man noch dazu die vaterländische Geschichte oft nnr in hohnwürdiger Verdrehung und particularistischer Verengung darbot, an dem Bilde des gewaltigen Römerreichs die Idee eines großen, starken und freien Vaterlands hege» und nähren, während ihm das seine in ron.xi aus deu Augen gerückt war; und wenn man ihn bei allem heimischen Druck nicht verhindern konnte, sich für den Sturz der Tyrannen in Athen und Nom oder für die großartigen Verfassnngskämpfe jener Staaten zu begeistern, so erwarb er in jenen Bildern Ideale, die ihn selbst unter dem trübsten Elend der Heimath zu Gute kamen. Und heute noch achten wir es als Postulat künstlerischer und wissenschaftlicher Erziehung, ideell oder wirklich heimisch geworden zu sein im alten Rom, dessen Senat einst einer Versammlung von Königen glich und was für alle Zeiten die erhabensten Typen individueller Charakterstärke und nationaler Vollkraft hervorgebracht hat. Die dramatische Kunst aller modernen Völker.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_190158/240>, abgerufen am 24.07.2024.