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Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. I. Band.

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sich zunächst, das allgemeine Interesse derer, die es unmittelbar angeht, für den
Zweck zu erregen, es durch fortgesetzte Agitation, durch Aufklärung, Verbreitung
der richtigen Ansicht von der Sache zu erwärmen, um so einmal aus der frei¬
willigen Selbstbesteuerung wenigstens theilweise die ersten Mittel zum Anfang
der praktischen Verwirklichung des richtigen Gedankens zu gewinnen, und andrer¬
seits das immer nicht gering zu schätzende Gewicht der allgemeinen Ueberzeugung
zum bestimmenden Factor bei den Entscheidungen der Regierung zu erheben.
Unter den Zwecken, für welche man in Berlin agitirt, Vereine bildet, Vor¬
lesungen hält, sammelt und redet, ist selbstverständlich manches unklare, ja
lächerliche Object, das all des Aufwands von Aufregung und Rhetorik keines'
wegs werth ist. der von manch einem Männlein und Fräulein zu seinen Gunsten
gemacht wird. Aber ebenso wenig fehlt es an höchst vortrefflichen wohlgewählten
Zielen. Zu solchen Agitationen, deren schneller und vollständiger Erfolg der
ganzen vaterländischen Cultur zum hohen Segen gereichen würde, gehört be¬
sonders die, welche im Herbst des letzten Jahres in Berlin angeregt, auf die
Errichtung eines wirklichen nationalen Kur sti ut ustrie-Musen in s und damit
zu verbindende Kunstgewerblchranstalten ausgeht.

Die seltsame und überraschende Thatsache ist leider nicht zu läugnen, daß
grade der "Staat der Intelligenz" nicht nur unter den europäischen Genossen,
wie Frankreich und England, sondern auch unter den übrigen deutschen Haupt- und
Mittelsiaatcn in Bezug auf diese immer dringender nothwendig werdenden Ein¬
richtungen am allerweitesten zurückgeblieben, sich am allergleichgiltigsten gegen
das offenbare Bedürfniß Verhalten hat. Trotz der hohen Stufe der allgemeinen
Volksbildung, trotz der Gunst und Pflege, welche die specifische Kunst und die
Wissenschaft Seitens der preußischen Regierung erfahren hat, ist die Bildung
des Geschmacks, des praktisch-ästhetischen Sinns, die Fähigkeit, dasselbe gar
selbständig zu erzeugen, in der Masse der norddeutschen, also vorwiegend preu¬
ßischen Bevölkerung, der arbeitenden wie der sogenannten gebildeten, durch¬
schnittlich auf einer so wenig erfreulichen Stufe der Entwickelung, daß wir uns
über den Mangel nicht täuschen können, welcher vorwiegend in den zur Be¬
förderung dieser Seite der Cultur dienenden Instituten zu suchen ist. Zum
Vergleiche brauchen wir zunächst, wie gesagt, das Ausland gar nicht heranzu¬
ziehe". Schon Süddeutschland ist uns hierin weit voraus. Bayern hat in
Nürnberg jene "Kunstgewerbeschulc", welche, mit einem "Kunst- und Gewerbc-
museum" verbunden, unter des trefflichen Kreling Leitung bereits für die künst¬
lerische Veredlung der dort geübten Gewerbe, für Erziehung des ästhetisch."
Sinns ihrer Genossen sehr erfreulichen Einfluß bewährt. In Baden verfolgt
die 1865 zu Karlsruhe begründete Landesgewerbchalle "ach sehr vernünftigem
Plane die gleichen Zwecke. In Würtemberg sind ähnliche und noch vielseitiger
ausgedehnte Institute durch die Centtalstelle für Gewerbe und Handel ins Lebe"


sich zunächst, das allgemeine Interesse derer, die es unmittelbar angeht, für den
Zweck zu erregen, es durch fortgesetzte Agitation, durch Aufklärung, Verbreitung
der richtigen Ansicht von der Sache zu erwärmen, um so einmal aus der frei¬
willigen Selbstbesteuerung wenigstens theilweise die ersten Mittel zum Anfang
der praktischen Verwirklichung des richtigen Gedankens zu gewinnen, und andrer¬
seits das immer nicht gering zu schätzende Gewicht der allgemeinen Ueberzeugung
zum bestimmenden Factor bei den Entscheidungen der Regierung zu erheben.
Unter den Zwecken, für welche man in Berlin agitirt, Vereine bildet, Vor¬
lesungen hält, sammelt und redet, ist selbstverständlich manches unklare, ja
lächerliche Object, das all des Aufwands von Aufregung und Rhetorik keines'
wegs werth ist. der von manch einem Männlein und Fräulein zu seinen Gunsten
gemacht wird. Aber ebenso wenig fehlt es an höchst vortrefflichen wohlgewählten
Zielen. Zu solchen Agitationen, deren schneller und vollständiger Erfolg der
ganzen vaterländischen Cultur zum hohen Segen gereichen würde, gehört be¬
sonders die, welche im Herbst des letzten Jahres in Berlin angeregt, auf die
Errichtung eines wirklichen nationalen Kur sti ut ustrie-Musen in s und damit
zu verbindende Kunstgewerblchranstalten ausgeht.

Die seltsame und überraschende Thatsache ist leider nicht zu läugnen, daß
grade der „Staat der Intelligenz" nicht nur unter den europäischen Genossen,
wie Frankreich und England, sondern auch unter den übrigen deutschen Haupt- und
Mittelsiaatcn in Bezug auf diese immer dringender nothwendig werdenden Ein¬
richtungen am allerweitesten zurückgeblieben, sich am allergleichgiltigsten gegen
das offenbare Bedürfniß Verhalten hat. Trotz der hohen Stufe der allgemeinen
Volksbildung, trotz der Gunst und Pflege, welche die specifische Kunst und die
Wissenschaft Seitens der preußischen Regierung erfahren hat, ist die Bildung
des Geschmacks, des praktisch-ästhetischen Sinns, die Fähigkeit, dasselbe gar
selbständig zu erzeugen, in der Masse der norddeutschen, also vorwiegend preu¬
ßischen Bevölkerung, der arbeitenden wie der sogenannten gebildeten, durch¬
schnittlich auf einer so wenig erfreulichen Stufe der Entwickelung, daß wir uns
über den Mangel nicht täuschen können, welcher vorwiegend in den zur Be¬
förderung dieser Seite der Cultur dienenden Instituten zu suchen ist. Zum
Vergleiche brauchen wir zunächst, wie gesagt, das Ausland gar nicht heranzu¬
ziehe». Schon Süddeutschland ist uns hierin weit voraus. Bayern hat in
Nürnberg jene „Kunstgewerbeschulc", welche, mit einem „Kunst- und Gewerbc-
museum" verbunden, unter des trefflichen Kreling Leitung bereits für die künst¬
lerische Veredlung der dort geübten Gewerbe, für Erziehung des ästhetisch.»
Sinns ihrer Genossen sehr erfreulichen Einfluß bewährt. In Baden verfolgt
die 1865 zu Karlsruhe begründete Landesgewerbchalle »ach sehr vernünftigem
Plane die gleichen Zwecke. In Würtemberg sind ähnliche und noch vielseitiger
ausgedehnte Institute durch die Centtalstelle für Gewerbe und Handel ins Lebe"


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_190158/233>, abgerufen am 27.09.2024.