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Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. I. Band.

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der Regierung, resp, dem Könige bestätigt werden, so würde es unseres Trach¬
tens angemessen sein, auch wenigstens bei Besetzung der Nichterstellen erster
Instanz irgendeine Mitwirkung der Gcrichtseingesesscnen. in den Städten der
Stadtverordneten, auf dem Lande der Kreisstände eintreten zu lassen. Die
jetzige rein büreaukratische Form der Besetzung der Nichterstellen besteht eigent¬
lich erst kurze Zeit, denn bis 1808 hatten in unserem Staate in den meisten
Städten die Magistrate das Recht der Wahl der Richter, welche meistens zum
Magistrat gehörten; auf dem Lande war bei den Patrimonialgerichten. die bis
1849 bestanden, die Wahl der Richter in den Händen der Gerichtsherren; so
wenig man nun daran denken kann, diese alte Art der Besetzung der Gerichte zu
erneuern, so sehr entspricht es dem Geiste unserer Zeit, den Gerichtseingessenen
wenigstens ebenso viele Mitwirkung in Bezug auf die Ernennung der Richter
erster Instanz einzuräumen, als sie jetzt in Bezug auf die Wahl der Verwal¬
tungsbeamten (Landräthe, Bürgermeister, Stadträthe) haben. --

Eine durchgreifende Aendening der Gerichtsverfassung ist indessen ohne
Aenderung des Gerichtsverfahrens nicht möglich. Da nun die Mängel unserer
Gerichtsverfassung von Jahr zu Jahr immer fühlbarer werden, muß auch das
ein Motiv für Reform unseres Gerichtsverfahrens sein.

Wenn somit die dringendste" Gründe für diese Reform sprechen, wenn es
ferner nicht zweifelhaft sein kann, daß die von Reinhardt. Koch, Waldeck und
Bornemann adoptirten und seit Jahrzehnten in Hannover und den Rheinlanden
mit bestem Erfolge angewandten Principien des französischen Processes unserem
neuen Verfahren zu Grunde zu legen sind, so darf über dem Streben nach
Besserung des preußischen Processes die Herbeiführung einer gemeinsamen Pro¬
ceßordnung für Deutschland nicht außer Acht gelassen werden. Die juristische
Commission des neuen Bundesraths soll dem Vernehmen nach die Autorität
sein, in deren Hand diese große Besserung unserer Rechtsverhältnisse gelegt wird.

Wir haben schon darauf aufmerksam gemacht, daß der in Hannover von
den Bevollmächtigten Oestreichs und der meisten kleineren Staaten abgefaßte
Entwurf einer deutschen t'ürgerlichen Proceßordnung in materieller Beziehung
in allen wesentlichen Punkten mit unserem preußischen EntWurfe übereinstimmt,
daß er dem letztem aber in formeller Beziehung wegen seiner größeren Präcision
und Kürze weit vorzuziehn ist.

Aber ganz abgesehen von den Vorzügen oder Mängeln dieser beiden Ent¬
würfe ist eine gemeinsame bürgerliche Proceßordnung für ganz Deutschland in
hohem Grade wünschenswerth. Es muß endlich der jetzige Zustand aufhören,
wo der rheinische Jurist das Proceßverfahren Frankreichs besser kennt als das
des übrigen preußischen Staats, wo die Juristen der alten Provinzen Preußens
nichts von dem Verfahren in Sachsen. Bayern, Würtemverg wissen.

Die Gemeinsamkeit der deutschen Rechtswissenschaft, die glücklicherweise nie


der Regierung, resp, dem Könige bestätigt werden, so würde es unseres Trach¬
tens angemessen sein, auch wenigstens bei Besetzung der Nichterstellen erster
Instanz irgendeine Mitwirkung der Gcrichtseingesesscnen. in den Städten der
Stadtverordneten, auf dem Lande der Kreisstände eintreten zu lassen. Die
jetzige rein büreaukratische Form der Besetzung der Nichterstellen besteht eigent¬
lich erst kurze Zeit, denn bis 1808 hatten in unserem Staate in den meisten
Städten die Magistrate das Recht der Wahl der Richter, welche meistens zum
Magistrat gehörten; auf dem Lande war bei den Patrimonialgerichten. die bis
1849 bestanden, die Wahl der Richter in den Händen der Gerichtsherren; so
wenig man nun daran denken kann, diese alte Art der Besetzung der Gerichte zu
erneuern, so sehr entspricht es dem Geiste unserer Zeit, den Gerichtseingessenen
wenigstens ebenso viele Mitwirkung in Bezug auf die Ernennung der Richter
erster Instanz einzuräumen, als sie jetzt in Bezug auf die Wahl der Verwal¬
tungsbeamten (Landräthe, Bürgermeister, Stadträthe) haben. —

Eine durchgreifende Aendening der Gerichtsverfassung ist indessen ohne
Aenderung des Gerichtsverfahrens nicht möglich. Da nun die Mängel unserer
Gerichtsverfassung von Jahr zu Jahr immer fühlbarer werden, muß auch das
ein Motiv für Reform unseres Gerichtsverfahrens sein.

Wenn somit die dringendste» Gründe für diese Reform sprechen, wenn es
ferner nicht zweifelhaft sein kann, daß die von Reinhardt. Koch, Waldeck und
Bornemann adoptirten und seit Jahrzehnten in Hannover und den Rheinlanden
mit bestem Erfolge angewandten Principien des französischen Processes unserem
neuen Verfahren zu Grunde zu legen sind, so darf über dem Streben nach
Besserung des preußischen Processes die Herbeiführung einer gemeinsamen Pro¬
ceßordnung für Deutschland nicht außer Acht gelassen werden. Die juristische
Commission des neuen Bundesraths soll dem Vernehmen nach die Autorität
sein, in deren Hand diese große Besserung unserer Rechtsverhältnisse gelegt wird.

Wir haben schon darauf aufmerksam gemacht, daß der in Hannover von
den Bevollmächtigten Oestreichs und der meisten kleineren Staaten abgefaßte
Entwurf einer deutschen t'ürgerlichen Proceßordnung in materieller Beziehung
in allen wesentlichen Punkten mit unserem preußischen EntWurfe übereinstimmt,
daß er dem letztem aber in formeller Beziehung wegen seiner größeren Präcision
und Kürze weit vorzuziehn ist.

Aber ganz abgesehen von den Vorzügen oder Mängeln dieser beiden Ent¬
würfe ist eine gemeinsame bürgerliche Proceßordnung für ganz Deutschland in
hohem Grade wünschenswerth. Es muß endlich der jetzige Zustand aufhören,
wo der rheinische Jurist das Proceßverfahren Frankreichs besser kennt als das
des übrigen preußischen Staats, wo die Juristen der alten Provinzen Preußens
nichts von dem Verfahren in Sachsen. Bayern, Würtemverg wissen.

Die Gemeinsamkeit der deutschen Rechtswissenschaft, die glücklicherweise nie


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[0231] der Regierung, resp, dem Könige bestätigt werden, so würde es unseres Trach¬ tens angemessen sein, auch wenigstens bei Besetzung der Nichterstellen erster Instanz irgendeine Mitwirkung der Gcrichtseingesesscnen. in den Städten der Stadtverordneten, auf dem Lande der Kreisstände eintreten zu lassen. Die jetzige rein büreaukratische Form der Besetzung der Nichterstellen besteht eigent¬ lich erst kurze Zeit, denn bis 1808 hatten in unserem Staate in den meisten Städten die Magistrate das Recht der Wahl der Richter, welche meistens zum Magistrat gehörten; auf dem Lande war bei den Patrimonialgerichten. die bis 1849 bestanden, die Wahl der Richter in den Händen der Gerichtsherren; so wenig man nun daran denken kann, diese alte Art der Besetzung der Gerichte zu erneuern, so sehr entspricht es dem Geiste unserer Zeit, den Gerichtseingessenen wenigstens ebenso viele Mitwirkung in Bezug auf die Ernennung der Richter erster Instanz einzuräumen, als sie jetzt in Bezug auf die Wahl der Verwal¬ tungsbeamten (Landräthe, Bürgermeister, Stadträthe) haben. — Eine durchgreifende Aendening der Gerichtsverfassung ist indessen ohne Aenderung des Gerichtsverfahrens nicht möglich. Da nun die Mängel unserer Gerichtsverfassung von Jahr zu Jahr immer fühlbarer werden, muß auch das ein Motiv für Reform unseres Gerichtsverfahrens sein. Wenn somit die dringendste» Gründe für diese Reform sprechen, wenn es ferner nicht zweifelhaft sein kann, daß die von Reinhardt. Koch, Waldeck und Bornemann adoptirten und seit Jahrzehnten in Hannover und den Rheinlanden mit bestem Erfolge angewandten Principien des französischen Processes unserem neuen Verfahren zu Grunde zu legen sind, so darf über dem Streben nach Besserung des preußischen Processes die Herbeiführung einer gemeinsamen Pro¬ ceßordnung für Deutschland nicht außer Acht gelassen werden. Die juristische Commission des neuen Bundesraths soll dem Vernehmen nach die Autorität sein, in deren Hand diese große Besserung unserer Rechtsverhältnisse gelegt wird. Wir haben schon darauf aufmerksam gemacht, daß der in Hannover von den Bevollmächtigten Oestreichs und der meisten kleineren Staaten abgefaßte Entwurf einer deutschen t'ürgerlichen Proceßordnung in materieller Beziehung in allen wesentlichen Punkten mit unserem preußischen EntWurfe übereinstimmt, daß er dem letztem aber in formeller Beziehung wegen seiner größeren Präcision und Kürze weit vorzuziehn ist. Aber ganz abgesehen von den Vorzügen oder Mängeln dieser beiden Ent¬ würfe ist eine gemeinsame bürgerliche Proceßordnung für ganz Deutschland in hohem Grade wünschenswerth. Es muß endlich der jetzige Zustand aufhören, wo der rheinische Jurist das Proceßverfahren Frankreichs besser kennt als das des übrigen preußischen Staats, wo die Juristen der alten Provinzen Preußens nichts von dem Verfahren in Sachsen. Bayern, Würtemverg wissen. Die Gemeinsamkeit der deutschen Rechtswissenschaft, die glücklicherweise nie

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_190158/231>, abgerufen am 27.09.2024.