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Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. I. Band.

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dagegen hängt es ganz von seinem Ermessen ab, wen er zum Rechtsanwalt
ernennen will.

Unsere preußische Gerichtsverfassung steht nun im klarsten Widerspruch
nicht nur mit den Instituten aller anderen gebildeten Nationen, sondern auch
mit einem Grundsatze, der seit langer Zeit in der Wissenschaft als Axiom gilt
und in neuerer Zeit in unserem Staate in den meisten anderen Gebieten des
öffentlichen Lebens mehr und mehr praktische Anerkennung gefunden hat.

Wir meinen den zuerst von dem berühmten Nationalökonomen Adam Smith
aufgestellten Satz, daß der Staat durch seine Beamten nur das thun lassen
müsse, was durch Privatleute nicht geschehen könne, daß er möglichst viel der
Privatthätigkeit seiner Bürger überlassen soll.

Oeffentliche Arbeiten von der höchsten Bedeutung, namentlich Chausseen,
Kanäle, die noch vor einem halben Jahrhundert nur unter directer Leitung des
Staats unternommen wurden, werden jetzt meistens von Gemeinden, Kreisen
oder einem Verein von Privatleuten gebaut. Die Eisenbahnen sind zum größern
Theile durch die vom Staate nur beaufsichtigte Privatindustrie ins Leben ge¬
rufen. Der Bergbau war im vorigen Jahrhundert nicht nur der Oberaufsicht,
sondern auch der directen Leitung der Staatsbehörden unterworfen; man hat ihn
gegenwärtig, soweit es sich nicht um fiscalische Bergwerke handelt, ganz der
Leitung der Bergwerksbesitzer überlassen.

Warum soll nun das, was auf so vielen anderen Gebieten des Lebens
gilt, nicht auch auf den Civilproceß Anwendung finden? Es handelt sich im
Civilprocesse doch nur um Privatrechte der Parteien; ob die Partei klagen will,
steht auch jetzt in ihrem Belieben; man überlasse nun, wie fast in allen anderen
Ländern üblich ist, den Proceßbetneb den Parteien und den von ihnen an>
genommenen Anwälten und behalte dem Richter nur die Proceßleitung vor;
man gebe ferner, wie in Frankreich und am Rhein, die Verwaltung der Vor"
mundschaften, welche jetzt bei uns nach Carmcrs Anordnung eigentlich der
Richter hat. in die Hände der Vormünder und der Familien der Pflegebefohlenen,
und wir werden in den sogenannten alten Provinzen dasselbe numerische Ver-
hältniß der Richter und Anwälte haben können, wie in der Rheinprovinz. Ist
dies der Fall, so werden wieder, wie früher auch bei uns der Fall war, die
Richter aus der Zahl der Anwälte gewählt werden können; der Richterstand
wird nicht mehr eine Vorbereitung zur Advocatur sein; die Juristen, welche die
vorschriftsmäßigen Prüfungen machen, werden dadurch nur die Berechtigung
zur Advocatur erlangen und mit der Wahl der Richter aus der Zahl der Aovo-
caten wird man es dann ähnlich machen können, wie jetzt mit der Wahl
der Verwaltungsbeamten.

Sowie die Bürgermeister und Stadträthe in den Städten von den Stadt¬
verordneten, die Landräthe von den Kreisständen gewählt und demnächst von


dagegen hängt es ganz von seinem Ermessen ab, wen er zum Rechtsanwalt
ernennen will.

Unsere preußische Gerichtsverfassung steht nun im klarsten Widerspruch
nicht nur mit den Instituten aller anderen gebildeten Nationen, sondern auch
mit einem Grundsatze, der seit langer Zeit in der Wissenschaft als Axiom gilt
und in neuerer Zeit in unserem Staate in den meisten anderen Gebieten des
öffentlichen Lebens mehr und mehr praktische Anerkennung gefunden hat.

Wir meinen den zuerst von dem berühmten Nationalökonomen Adam Smith
aufgestellten Satz, daß der Staat durch seine Beamten nur das thun lassen
müsse, was durch Privatleute nicht geschehen könne, daß er möglichst viel der
Privatthätigkeit seiner Bürger überlassen soll.

Oeffentliche Arbeiten von der höchsten Bedeutung, namentlich Chausseen,
Kanäle, die noch vor einem halben Jahrhundert nur unter directer Leitung des
Staats unternommen wurden, werden jetzt meistens von Gemeinden, Kreisen
oder einem Verein von Privatleuten gebaut. Die Eisenbahnen sind zum größern
Theile durch die vom Staate nur beaufsichtigte Privatindustrie ins Leben ge¬
rufen. Der Bergbau war im vorigen Jahrhundert nicht nur der Oberaufsicht,
sondern auch der directen Leitung der Staatsbehörden unterworfen; man hat ihn
gegenwärtig, soweit es sich nicht um fiscalische Bergwerke handelt, ganz der
Leitung der Bergwerksbesitzer überlassen.

Warum soll nun das, was auf so vielen anderen Gebieten des Lebens
gilt, nicht auch auf den Civilproceß Anwendung finden? Es handelt sich im
Civilprocesse doch nur um Privatrechte der Parteien; ob die Partei klagen will,
steht auch jetzt in ihrem Belieben; man überlasse nun, wie fast in allen anderen
Ländern üblich ist, den Proceßbetneb den Parteien und den von ihnen an>
genommenen Anwälten und behalte dem Richter nur die Proceßleitung vor;
man gebe ferner, wie in Frankreich und am Rhein, die Verwaltung der Vor«
mundschaften, welche jetzt bei uns nach Carmcrs Anordnung eigentlich der
Richter hat. in die Hände der Vormünder und der Familien der Pflegebefohlenen,
und wir werden in den sogenannten alten Provinzen dasselbe numerische Ver-
hältniß der Richter und Anwälte haben können, wie in der Rheinprovinz. Ist
dies der Fall, so werden wieder, wie früher auch bei uns der Fall war, die
Richter aus der Zahl der Anwälte gewählt werden können; der Richterstand
wird nicht mehr eine Vorbereitung zur Advocatur sein; die Juristen, welche die
vorschriftsmäßigen Prüfungen machen, werden dadurch nur die Berechtigung
zur Advocatur erlangen und mit der Wahl der Richter aus der Zahl der Aovo-
caten wird man es dann ähnlich machen können, wie jetzt mit der Wahl
der Verwaltungsbeamten.

Sowie die Bürgermeister und Stadträthe in den Städten von den Stadt¬
verordneten, die Landräthe von den Kreisständen gewählt und demnächst von


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_190158/230>, abgerufen am 27.09.2024.