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Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. I. Band.

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In einem absolut regierten Staate wird der eigentliche Veamtenstand immer
für ehrenvoller gelten, als der Stand der Advocaten, die gewissermaßen zwischen
Beamten und Privatleuten in der Mein stehn. Je mehr aber die Beamten
glauben, alles zu wissen und zu können, desto mehr werden ihnen die Advocaten
als unnütz und entbehrlich erscheinen, desto mehr werden sie geneigt sein, den
Beruf der Advocaten zu verachten und herabzusehen.

Sicher ist, daß in der zweiten Hälfte des vorigen Jahrhunderts fast in
ganz Deutschland Abneigung gegen die Advocaten herrschte und daß damals
der Beruf der Advocatur dem eigentlichen Staatsdienste in der Regel nnr von
Leuten vorgezogen wurde, die wenig Ehrgefühl und Ehrgeiz hatten.

Diese allgemeinen Zciiverhältnisse darf man bei Beurtheilung der carmcr-
schen Proceßordnung nicht außer Acht lassen. Schon im Jahre 1783 sah sich
übrigens Carmcr genöthigt, die im Jahre 1781 eingeführte Institution wesent¬
lich abzuändern.

Um nämlich den Parteien doch nicht ganz die Möglichkeit der Zuziehung
von Nechtsbciständen zu versagen, hatte er ein neues Institut, nämlich das
der Assistcnzräthe eingeführt. Diese sollten den Parteien Rath geben, ihnen
assistiren, aber sie sollten nicht frei von den Parteien gewählt, sondern vom
Richter zugeordnet werden, anch nicht von den Parteien bezahlt werden, sondern
ein festes Gehalt beziehn. Dies Institut erwies sich nun als so völlig unprak¬
tisch, daß man es schon im Jahre 1783 wieder abschaffte und die Advocaten
unter dem Namen Justizcommissaricn mit allerdings sehr beschränkten Rechten
wieder einführte. Mit dieser Modifikation bestand nun die carmersche Proceß-
ordnnng lange Jahre; die im Jahre 1794 publicirte Allgemeine Gerichtsordnung
war nur eine wenig veränderte Bearbeitung derselben.

Als Preußen im Jahre 1815 die Rheinlande erworben hatte, in welchen
man bis auf Weiteres das französische Gerichtsverfahren beibehielt, fand man
eine Revision wie der ganzen preußischen Gesetzgebung, so auch des Civilproccsses
nöthig. Unter Leitung des Justizministers Grafen Dankelmann ward Rein¬
hardt, damals Anwalt beim rheinischen Revisionshof zu Berlin, mit Revision
des Civilprocesscs beauftragt. Reinhardt arbeitete nun aber eine Proceßordnung
aus, welche sich in den meisten wesentlichen Punkten an die Grundsätze des in
der Rheinprovinz giltigen französischen Civilprocesscs anschloß. Der letztere ist
bekanntlich in dem 1806 publicirten cveta; d" pi-oevilurv civil" notificirt. Dieses
Gesetzbuch ist aber nur eine wenig veränderte Bearbeitung einer bereits im
Jahre 1667 erlassenen Orclcmnkmev Ludwigs des Vierzehnten, welche in den
Meisten Punkten auch nicht neuerfundene N>ab>e>Satze enthielt, sondern nur das
bereits seit langer Zeit bei den französischen Parlamenten übliche Verfahren
zusammenfaßte. Der französische Eivilprvceß verdankt also nicht wie die car-
"u'ische Pioceßlndnung seinen Ursprung der individuelle" Ansicht eines einzelnen


In einem absolut regierten Staate wird der eigentliche Veamtenstand immer
für ehrenvoller gelten, als der Stand der Advocaten, die gewissermaßen zwischen
Beamten und Privatleuten in der Mein stehn. Je mehr aber die Beamten
glauben, alles zu wissen und zu können, desto mehr werden ihnen die Advocaten
als unnütz und entbehrlich erscheinen, desto mehr werden sie geneigt sein, den
Beruf der Advocaten zu verachten und herabzusehen.

Sicher ist, daß in der zweiten Hälfte des vorigen Jahrhunderts fast in
ganz Deutschland Abneigung gegen die Advocaten herrschte und daß damals
der Beruf der Advocatur dem eigentlichen Staatsdienste in der Regel nnr von
Leuten vorgezogen wurde, die wenig Ehrgefühl und Ehrgeiz hatten.

Diese allgemeinen Zciiverhältnisse darf man bei Beurtheilung der carmcr-
schen Proceßordnung nicht außer Acht lassen. Schon im Jahre 1783 sah sich
übrigens Carmcr genöthigt, die im Jahre 1781 eingeführte Institution wesent¬
lich abzuändern.

Um nämlich den Parteien doch nicht ganz die Möglichkeit der Zuziehung
von Nechtsbciständen zu versagen, hatte er ein neues Institut, nämlich das
der Assistcnzräthe eingeführt. Diese sollten den Parteien Rath geben, ihnen
assistiren, aber sie sollten nicht frei von den Parteien gewählt, sondern vom
Richter zugeordnet werden, anch nicht von den Parteien bezahlt werden, sondern
ein festes Gehalt beziehn. Dies Institut erwies sich nun als so völlig unprak¬
tisch, daß man es schon im Jahre 1783 wieder abschaffte und die Advocaten
unter dem Namen Justizcommissaricn mit allerdings sehr beschränkten Rechten
wieder einführte. Mit dieser Modifikation bestand nun die carmersche Proceß-
ordnnng lange Jahre; die im Jahre 1794 publicirte Allgemeine Gerichtsordnung
war nur eine wenig veränderte Bearbeitung derselben.

Als Preußen im Jahre 1815 die Rheinlande erworben hatte, in welchen
man bis auf Weiteres das französische Gerichtsverfahren beibehielt, fand man
eine Revision wie der ganzen preußischen Gesetzgebung, so auch des Civilproccsses
nöthig. Unter Leitung des Justizministers Grafen Dankelmann ward Rein¬
hardt, damals Anwalt beim rheinischen Revisionshof zu Berlin, mit Revision
des Civilprocesscs beauftragt. Reinhardt arbeitete nun aber eine Proceßordnung
aus, welche sich in den meisten wesentlichen Punkten an die Grundsätze des in
der Rheinprovinz giltigen französischen Civilprocesscs anschloß. Der letztere ist
bekanntlich in dem 1806 publicirten cveta; d« pi-oevilurv civil« notificirt. Dieses
Gesetzbuch ist aber nur eine wenig veränderte Bearbeitung einer bereits im
Jahre 1667 erlassenen Orclcmnkmev Ludwigs des Vierzehnten, welche in den
Meisten Punkten auch nicht neuerfundene N>ab>e>Satze enthielt, sondern nur das
bereits seit langer Zeit bei den französischen Parlamenten übliche Verfahren
zusammenfaßte. Der französische Eivilprvceß verdankt also nicht wie die car-
»u'ische Pioceßlndnung seinen Ursprung der individuelle» Ansicht eines einzelnen


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[0225] In einem absolut regierten Staate wird der eigentliche Veamtenstand immer für ehrenvoller gelten, als der Stand der Advocaten, die gewissermaßen zwischen Beamten und Privatleuten in der Mein stehn. Je mehr aber die Beamten glauben, alles zu wissen und zu können, desto mehr werden ihnen die Advocaten als unnütz und entbehrlich erscheinen, desto mehr werden sie geneigt sein, den Beruf der Advocaten zu verachten und herabzusehen. Sicher ist, daß in der zweiten Hälfte des vorigen Jahrhunderts fast in ganz Deutschland Abneigung gegen die Advocaten herrschte und daß damals der Beruf der Advocatur dem eigentlichen Staatsdienste in der Regel nnr von Leuten vorgezogen wurde, die wenig Ehrgefühl und Ehrgeiz hatten. Diese allgemeinen Zciiverhältnisse darf man bei Beurtheilung der carmcr- schen Proceßordnung nicht außer Acht lassen. Schon im Jahre 1783 sah sich übrigens Carmcr genöthigt, die im Jahre 1781 eingeführte Institution wesent¬ lich abzuändern. Um nämlich den Parteien doch nicht ganz die Möglichkeit der Zuziehung von Nechtsbciständen zu versagen, hatte er ein neues Institut, nämlich das der Assistcnzräthe eingeführt. Diese sollten den Parteien Rath geben, ihnen assistiren, aber sie sollten nicht frei von den Parteien gewählt, sondern vom Richter zugeordnet werden, anch nicht von den Parteien bezahlt werden, sondern ein festes Gehalt beziehn. Dies Institut erwies sich nun als so völlig unprak¬ tisch, daß man es schon im Jahre 1783 wieder abschaffte und die Advocaten unter dem Namen Justizcommissaricn mit allerdings sehr beschränkten Rechten wieder einführte. Mit dieser Modifikation bestand nun die carmersche Proceß- ordnnng lange Jahre; die im Jahre 1794 publicirte Allgemeine Gerichtsordnung war nur eine wenig veränderte Bearbeitung derselben. Als Preußen im Jahre 1815 die Rheinlande erworben hatte, in welchen man bis auf Weiteres das französische Gerichtsverfahren beibehielt, fand man eine Revision wie der ganzen preußischen Gesetzgebung, so auch des Civilproccsses nöthig. Unter Leitung des Justizministers Grafen Dankelmann ward Rein¬ hardt, damals Anwalt beim rheinischen Revisionshof zu Berlin, mit Revision des Civilprocesscs beauftragt. Reinhardt arbeitete nun aber eine Proceßordnung aus, welche sich in den meisten wesentlichen Punkten an die Grundsätze des in der Rheinprovinz giltigen französischen Civilprocesscs anschloß. Der letztere ist bekanntlich in dem 1806 publicirten cveta; d« pi-oevilurv civil« notificirt. Dieses Gesetzbuch ist aber nur eine wenig veränderte Bearbeitung einer bereits im Jahre 1667 erlassenen Orclcmnkmev Ludwigs des Vierzehnten, welche in den Meisten Punkten auch nicht neuerfundene N>ab>e>Satze enthielt, sondern nur das bereits seit langer Zeit bei den französischen Parlamenten übliche Verfahren zusammenfaßte. Der französische Eivilprvceß verdankt also nicht wie die car- »u'ische Pioceßlndnung seinen Ursprung der individuelle» Ansicht eines einzelnen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_190158/225>, abgerufen am 22.12.2024.