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Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. I. Band.

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Die Reform des Civilproeeffes durch den neuen Bund.

Die hohe Aufgabe des JahreS 1867 soll sein, die neuen Staatsverhältnisse,
welche aus den Kämpfen des vorigen Jahres hervorgegangen sind, durch die
wichtigsten Acte der Gesetzgebung zu befestigen. Der neue Bund hat in diesem
Jahr nicht nur die staatsrechtlichen Grundlagen seiner Existenz durch Verträge
und durch eine Verfassung zu sichern, auch für fast jedes Gebiet des Verkehrs-
leben" stehen großartige Umbildungen bevor, an denen der gesetzgeberische Beruf
unsrer Zeit sich zu erweisen hat. Die Grenzboten halten eS in diesen Monaten,
wo ein großer Theil unsrer Gesetzgebung in Fluß gekommen ist. für eine Pflicht,
der sie sich nicht entziehen dürfen, den Lesern Bericht zu geben über den ge¬
schichtlichen Verlauf und gegenwärtigen Stand unserer Gesetzgebung auf den
wichtigsten Gebieten unsers Verkehrslebens, sie beginnen diese Uebersicht mit
einer Darstellung der Reformbestrebungen in dem Civilproceß.

Die Klage über Langsamkeit, Kostspieligkeit und Schwerfälligkeit des Ver¬
fahrens im Civilproceß ist in Deutschland keine neue. Wir finden sie in ganz
Deutschland namentlich seit Errichtung des Reichskammergerichts, welches be¬
kanntlich von Anfang an den gemeinrechtlichen Civilproceß, der sich im Mittelalter
zuerst bei den geistlichen Gerichten in Italien ausgebildet hatte, seinem Ver¬
fahren zu Grunde legte.

Schon beim Reichstag zu Worms im Jahre 1621 war alles einig im
Tadel des Verfahrens des Reichskammergerichts. In dem Bericht des Abgesandten
einer Reichsstadt über diese Verhandlungen heißt es wörtlich:

"Man sitzt täglich über der Reformation des Kammergerichts, aber das ist
wie ein wildes Thier; jedermann kennt seine Stärke; niemand weiß, wie er
e" angreifen soll; der eine räth dahin, der andre dorthin."

Dieselbe Klage wiederholt sich auf den spätern Reichstagen. Bald nach
Beendigung de" dreißigjährigen Krieg"" ward duich den sogenannten jüngsten
Reichtabschitd eine Reform de" Civilproceffes versucht, eS ward dadurch in der
That auch manchen Mängeln des Verfahren" abgeholfen, indessen ging diese
Reform doch nicht weit genug, um eine wesentliche Besserung herbeizuführen.

In welchem traurigen Zustande sich da" Reichskammergericht und sei"
Proceß in der zweiten Hälfte de" vorigen Jahrhunderts befanden, ist aus der
Darstellung Goethes bei Beschreibung seines Aufenthalte" zu Wetzlar genügend
bekannt.

Drei Ursachen sind es hauptsächlich, welche die Langsamkeit des gemein-


Die Reform des Civilproeeffes durch den neuen Bund.

Die hohe Aufgabe des JahreS 1867 soll sein, die neuen Staatsverhältnisse,
welche aus den Kämpfen des vorigen Jahres hervorgegangen sind, durch die
wichtigsten Acte der Gesetzgebung zu befestigen. Der neue Bund hat in diesem
Jahr nicht nur die staatsrechtlichen Grundlagen seiner Existenz durch Verträge
und durch eine Verfassung zu sichern, auch für fast jedes Gebiet des Verkehrs-
leben» stehen großartige Umbildungen bevor, an denen der gesetzgeberische Beruf
unsrer Zeit sich zu erweisen hat. Die Grenzboten halten eS in diesen Monaten,
wo ein großer Theil unsrer Gesetzgebung in Fluß gekommen ist. für eine Pflicht,
der sie sich nicht entziehen dürfen, den Lesern Bericht zu geben über den ge¬
schichtlichen Verlauf und gegenwärtigen Stand unserer Gesetzgebung auf den
wichtigsten Gebieten unsers Verkehrslebens, sie beginnen diese Uebersicht mit
einer Darstellung der Reformbestrebungen in dem Civilproceß.

Die Klage über Langsamkeit, Kostspieligkeit und Schwerfälligkeit des Ver¬
fahrens im Civilproceß ist in Deutschland keine neue. Wir finden sie in ganz
Deutschland namentlich seit Errichtung des Reichskammergerichts, welches be¬
kanntlich von Anfang an den gemeinrechtlichen Civilproceß, der sich im Mittelalter
zuerst bei den geistlichen Gerichten in Italien ausgebildet hatte, seinem Ver¬
fahren zu Grunde legte.

Schon beim Reichstag zu Worms im Jahre 1621 war alles einig im
Tadel des Verfahrens des Reichskammergerichts. In dem Bericht des Abgesandten
einer Reichsstadt über diese Verhandlungen heißt es wörtlich:

„Man sitzt täglich über der Reformation des Kammergerichts, aber das ist
wie ein wildes Thier; jedermann kennt seine Stärke; niemand weiß, wie er
e» angreifen soll; der eine räth dahin, der andre dorthin."

Dieselbe Klage wiederholt sich auf den spätern Reichstagen. Bald nach
Beendigung de» dreißigjährigen Krieg»» ward duich den sogenannten jüngsten
Reichtabschitd eine Reform de» Civilproceffes versucht, eS ward dadurch in der
That auch manchen Mängeln des Verfahren» abgeholfen, indessen ging diese
Reform doch nicht weit genug, um eine wesentliche Besserung herbeizuführen.

In welchem traurigen Zustande sich da» Reichskammergericht und sei«
Proceß in der zweiten Hälfte de« vorigen Jahrhunderts befanden, ist aus der
Darstellung Goethes bei Beschreibung seines Aufenthalte» zu Wetzlar genügend
bekannt.

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[0222] Die Reform des Civilproeeffes durch den neuen Bund. Die hohe Aufgabe des JahreS 1867 soll sein, die neuen Staatsverhältnisse, welche aus den Kämpfen des vorigen Jahres hervorgegangen sind, durch die wichtigsten Acte der Gesetzgebung zu befestigen. Der neue Bund hat in diesem Jahr nicht nur die staatsrechtlichen Grundlagen seiner Existenz durch Verträge und durch eine Verfassung zu sichern, auch für fast jedes Gebiet des Verkehrs- leben» stehen großartige Umbildungen bevor, an denen der gesetzgeberische Beruf unsrer Zeit sich zu erweisen hat. Die Grenzboten halten eS in diesen Monaten, wo ein großer Theil unsrer Gesetzgebung in Fluß gekommen ist. für eine Pflicht, der sie sich nicht entziehen dürfen, den Lesern Bericht zu geben über den ge¬ schichtlichen Verlauf und gegenwärtigen Stand unserer Gesetzgebung auf den wichtigsten Gebieten unsers Verkehrslebens, sie beginnen diese Uebersicht mit einer Darstellung der Reformbestrebungen in dem Civilproceß. Die Klage über Langsamkeit, Kostspieligkeit und Schwerfälligkeit des Ver¬ fahrens im Civilproceß ist in Deutschland keine neue. Wir finden sie in ganz Deutschland namentlich seit Errichtung des Reichskammergerichts, welches be¬ kanntlich von Anfang an den gemeinrechtlichen Civilproceß, der sich im Mittelalter zuerst bei den geistlichen Gerichten in Italien ausgebildet hatte, seinem Ver¬ fahren zu Grunde legte. Schon beim Reichstag zu Worms im Jahre 1621 war alles einig im Tadel des Verfahrens des Reichskammergerichts. In dem Bericht des Abgesandten einer Reichsstadt über diese Verhandlungen heißt es wörtlich: „Man sitzt täglich über der Reformation des Kammergerichts, aber das ist wie ein wildes Thier; jedermann kennt seine Stärke; niemand weiß, wie er e» angreifen soll; der eine räth dahin, der andre dorthin." Dieselbe Klage wiederholt sich auf den spätern Reichstagen. Bald nach Beendigung de» dreißigjährigen Krieg»» ward duich den sogenannten jüngsten Reichtabschitd eine Reform de» Civilproceffes versucht, eS ward dadurch in der That auch manchen Mängeln des Verfahren» abgeholfen, indessen ging diese Reform doch nicht weit genug, um eine wesentliche Besserung herbeizuführen. In welchem traurigen Zustande sich da» Reichskammergericht und sei« Proceß in der zweiten Hälfte de« vorigen Jahrhunderts befanden, ist aus der Darstellung Goethes bei Beschreibung seines Aufenthalte» zu Wetzlar genügend bekannt. Drei Ursachen sind es hauptsächlich, welche die Langsamkeit des gemein-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_190158/222>, abgerufen am 22.12.2024.