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Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. I. Band.

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Nach Jahresfrist zählte der Verein etwa 2,000 Mitglieder und verfügte
über so ansehnliche Geldmittel, daß er nebst der Vereinszeitschrift noch Special-
cnbeitcn aus dem Bereich der Geschichte der Deutschen in Böhmen auf seine
Kosten herausgeben konnte. Mi. regem Eifer und wissenschaftlicher Strebsam¬
keit betheiligten sich besonders die jüngeren Kräfte an den Arbeiten und die
"Mittheilungen", welche derselbe in periodischer Reihenfolge herausgiebt. ent¬
halten höchst schätzenswerthe literarische Beiträge: Historische Monographien ein¬
zelner Orte Deutschböhmens, charakteristische im Munde des deutsch-böhmischen
Landvolkes lebende Sagen von ästhetischem und historischem Interesse, Biogra¬
phien hervorragender Deutscher aus Böhmen, Episoden aus der deutschen und
böhmischen Geschichte, Mittheilungen über die Dialekte und die sprachliche Ent¬
wickelung, über Volksgebräuche und Feste, statistische Nachweise über die deutsche
Bevölkerung in den verschiedenen Bezirken u. s, w.

Einzelne dieser Aufsätze haben wesentlich praktische Bedeutung für die
gegenwärtige politische Tagesbewegung und es dürste nicht uninteressant sein,
einiges besonders Prägnante daraus hervorzuheben.

Da ist vor allem eine Arbeit von Hecken ann: "Das deutsch e Sprachen¬
ge biet in Böhmen", welche in schlagender Weise durch Ziffern statistisch dar¬
thut, daß Kerndeutsche Theil Böymens keineswegs ein so geringer Bruchtheil
ist. als es die Radvmontaden der czechischen Partei gern glauben machen wollen.
Das Gebiet der deutschen Sprache in Böhmen, im Allgemeinen den angrenzen¬
den drei deutschen Volksstämmen, im Norden und Osten dem sächsischen, im
Westen dem fränkischen und im super und Südwesten dem östreichisch-bayerischen
Stamme angehörig, umfaßt einen Flächenraum von 344,32 östreichischen Quadrat-
meilen mit circa 1,812,000 Bewohnern oder 38,70 Procent bei einer Gesammt-
bevölkerung von 4.706,000 Seelen nach der letzten Zählung. welche im Jahre
1857 vorgenommen wurde. In Hinsicht der Lage entfällt der größte Theil
oder circa 80 Procent des deutschen Sprachgebietes auf den Norden und Nord¬
westen, wo der ganze Egcrcr, der größte Theil des Saazer und Leitmeriper,
sowie der Bunzlauer und Pilsner Kreis zur Hälfte, deutsch sind. Von geringerer
Ausdehnung erscheint das deutsche Sprachgebiet im übrigen Lande, wo dasselbe
in mehren verschieden großen von einander getrennten Partien vorkommt.

Von hohem Interesse ist ferner eine Abhandlung von Dr. Jos. Winter
über die " Ferdinand eisch e La ut es ort n un g ". In jüngster Zeit beriefen
sich nämlich die Czechen stets auf die Fcrdinandesische Landesordnung. wenn
sie ihr "historisches Recht" forderten, wenn sie Generallandtage für Böhmen,
Mähren und Schlesien verlangten und auf Vereinigung der Länder "böhmischer
Krone" drangen, kurz wenn sie das ungarische Staatsrecht ins Czechische über¬
setzten und eine "böhmische Frage", ähnlich der ungarischen Frage auf die
Tagesordnung der europäischen Völkerdiscussivn einzuschmuggeln bemüht waren.


Nach Jahresfrist zählte der Verein etwa 2,000 Mitglieder und verfügte
über so ansehnliche Geldmittel, daß er nebst der Vereinszeitschrift noch Special-
cnbeitcn aus dem Bereich der Geschichte der Deutschen in Böhmen auf seine
Kosten herausgeben konnte. Mi. regem Eifer und wissenschaftlicher Strebsam¬
keit betheiligten sich besonders die jüngeren Kräfte an den Arbeiten und die
„Mittheilungen", welche derselbe in periodischer Reihenfolge herausgiebt. ent¬
halten höchst schätzenswerthe literarische Beiträge: Historische Monographien ein¬
zelner Orte Deutschböhmens, charakteristische im Munde des deutsch-böhmischen
Landvolkes lebende Sagen von ästhetischem und historischem Interesse, Biogra¬
phien hervorragender Deutscher aus Böhmen, Episoden aus der deutschen und
böhmischen Geschichte, Mittheilungen über die Dialekte und die sprachliche Ent¬
wickelung, über Volksgebräuche und Feste, statistische Nachweise über die deutsche
Bevölkerung in den verschiedenen Bezirken u. s, w.

Einzelne dieser Aufsätze haben wesentlich praktische Bedeutung für die
gegenwärtige politische Tagesbewegung und es dürste nicht uninteressant sein,
einiges besonders Prägnante daraus hervorzuheben.

Da ist vor allem eine Arbeit von Hecken ann: „Das deutsch e Sprachen¬
ge biet in Böhmen", welche in schlagender Weise durch Ziffern statistisch dar¬
thut, daß Kerndeutsche Theil Böymens keineswegs ein so geringer Bruchtheil
ist. als es die Radvmontaden der czechischen Partei gern glauben machen wollen.
Das Gebiet der deutschen Sprache in Böhmen, im Allgemeinen den angrenzen¬
den drei deutschen Volksstämmen, im Norden und Osten dem sächsischen, im
Westen dem fränkischen und im super und Südwesten dem östreichisch-bayerischen
Stamme angehörig, umfaßt einen Flächenraum von 344,32 östreichischen Quadrat-
meilen mit circa 1,812,000 Bewohnern oder 38,70 Procent bei einer Gesammt-
bevölkerung von 4.706,000 Seelen nach der letzten Zählung. welche im Jahre
1857 vorgenommen wurde. In Hinsicht der Lage entfällt der größte Theil
oder circa 80 Procent des deutschen Sprachgebietes auf den Norden und Nord¬
westen, wo der ganze Egcrcr, der größte Theil des Saazer und Leitmeriper,
sowie der Bunzlauer und Pilsner Kreis zur Hälfte, deutsch sind. Von geringerer
Ausdehnung erscheint das deutsche Sprachgebiet im übrigen Lande, wo dasselbe
in mehren verschieden großen von einander getrennten Partien vorkommt.

Von hohem Interesse ist ferner eine Abhandlung von Dr. Jos. Winter
über die „ Ferdinand eisch e La ut es ort n un g ". In jüngster Zeit beriefen
sich nämlich die Czechen stets auf die Fcrdinandesische Landesordnung. wenn
sie ihr „historisches Recht" forderten, wenn sie Generallandtage für Böhmen,
Mähren und Schlesien verlangten und auf Vereinigung der Länder „böhmischer
Krone" drangen, kurz wenn sie das ungarische Staatsrecht ins Czechische über¬
setzten und eine „böhmische Frage", ähnlich der ungarischen Frage auf die
Tagesordnung der europäischen Völkerdiscussivn einzuschmuggeln bemüht waren.


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[0218] Nach Jahresfrist zählte der Verein etwa 2,000 Mitglieder und verfügte über so ansehnliche Geldmittel, daß er nebst der Vereinszeitschrift noch Special- cnbeitcn aus dem Bereich der Geschichte der Deutschen in Böhmen auf seine Kosten herausgeben konnte. Mi. regem Eifer und wissenschaftlicher Strebsam¬ keit betheiligten sich besonders die jüngeren Kräfte an den Arbeiten und die „Mittheilungen", welche derselbe in periodischer Reihenfolge herausgiebt. ent¬ halten höchst schätzenswerthe literarische Beiträge: Historische Monographien ein¬ zelner Orte Deutschböhmens, charakteristische im Munde des deutsch-böhmischen Landvolkes lebende Sagen von ästhetischem und historischem Interesse, Biogra¬ phien hervorragender Deutscher aus Böhmen, Episoden aus der deutschen und böhmischen Geschichte, Mittheilungen über die Dialekte und die sprachliche Ent¬ wickelung, über Volksgebräuche und Feste, statistische Nachweise über die deutsche Bevölkerung in den verschiedenen Bezirken u. s, w. Einzelne dieser Aufsätze haben wesentlich praktische Bedeutung für die gegenwärtige politische Tagesbewegung und es dürste nicht uninteressant sein, einiges besonders Prägnante daraus hervorzuheben. Da ist vor allem eine Arbeit von Hecken ann: „Das deutsch e Sprachen¬ ge biet in Böhmen", welche in schlagender Weise durch Ziffern statistisch dar¬ thut, daß Kerndeutsche Theil Böymens keineswegs ein so geringer Bruchtheil ist. als es die Radvmontaden der czechischen Partei gern glauben machen wollen. Das Gebiet der deutschen Sprache in Böhmen, im Allgemeinen den angrenzen¬ den drei deutschen Volksstämmen, im Norden und Osten dem sächsischen, im Westen dem fränkischen und im super und Südwesten dem östreichisch-bayerischen Stamme angehörig, umfaßt einen Flächenraum von 344,32 östreichischen Quadrat- meilen mit circa 1,812,000 Bewohnern oder 38,70 Procent bei einer Gesammt- bevölkerung von 4.706,000 Seelen nach der letzten Zählung. welche im Jahre 1857 vorgenommen wurde. In Hinsicht der Lage entfällt der größte Theil oder circa 80 Procent des deutschen Sprachgebietes auf den Norden und Nord¬ westen, wo der ganze Egcrcr, der größte Theil des Saazer und Leitmeriper, sowie der Bunzlauer und Pilsner Kreis zur Hälfte, deutsch sind. Von geringerer Ausdehnung erscheint das deutsche Sprachgebiet im übrigen Lande, wo dasselbe in mehren verschieden großen von einander getrennten Partien vorkommt. Von hohem Interesse ist ferner eine Abhandlung von Dr. Jos. Winter über die „ Ferdinand eisch e La ut es ort n un g ". In jüngster Zeit beriefen sich nämlich die Czechen stets auf die Fcrdinandesische Landesordnung. wenn sie ihr „historisches Recht" forderten, wenn sie Generallandtage für Böhmen, Mähren und Schlesien verlangten und auf Vereinigung der Länder „böhmischer Krone" drangen, kurz wenn sie das ungarische Staatsrecht ins Czechische über¬ setzten und eine „böhmische Frage", ähnlich der ungarischen Frage auf die Tagesordnung der europäischen Völkerdiscussivn einzuschmuggeln bemüht waren.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_190158/218>, abgerufen am 28.09.2024.