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Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. I. Band.

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und sei es auch nur, um in dem Augenblicke, in dem sich ein Krieg Aller wider
Alle vorzubereiten scheint, durch die Stimme der Wissenschaft der späteren Möglich¬
keit eines Verständnisses über gemeinsame Interessen den Weg zu bahnen." Und
auf die Bedeutung der Deutschen für Böhmen übergehend hieß es in der Rede:
"Wir stehen auf einem Boden, den Jahrhunderte lang deutsche Völker bewohnten,
gegen den Einbruch welthistorischer Eroberer vertheidigten und damit vor Folgen
bewahrten, die für Freiheit und Nationalität kommender Geschlechter unberechenbar
werden konnten. Erst nachdem mindestens ein halbes Jahrtausend seit diesen
Kämpfen verflossen war, drangen slavische Stämme in die von den Vojern
verlassenen Gegenden ein, ohne daß über den Zeitpunkt dieser Einwanderung
einheimische Quellen uns den mindesten Aufschluß gäben. In dem Augenblicke
aber, als die Geschichte Böhmens zu dämmern beginnt, erscheint das Land in
Abhängigkeit von dem Karolinger"eiche, dann von dem mährischen, endlich von
dem deutschen Reiche, abwechselnd selbst von Polen, bis die staatsrechtliche
Verbindung Böhmens mit dem deutschen Reiche bleibt und das Land
diesem Verhältnisse allmälig seine Machtstellung unter den Przemyslidcn. sein
Königthum und jene glanzcrfüllte Periode verdankt, die es bereits vor fünf¬
hundert Jahren als Sitz des deutschen Kaiserthums erlangte".....

Es ist leicht begreiflich, daß eine solche Sprache und solche Tendenzen den
Czechen, welche nur von der Herstellung der selbständigen "böhmischen Krone"
träumen und allen verständigen Gegenreden mit dem hussitischen "IIH LIovan6!"
beantworten, nicht sonderlich behagten und der Verein für Geschichte der Deutschen
war von seiner Gründung an das Object der gehässigsten Augriffe, der ge¬
meinsten Ausfälle und der verletzendsten Spöttereien von czcchischer Seite. Die
Regierung zeigte sich dem Vereine bei seiner Gründung hold, denn damals,
unter Schmerlings Regime, hatte man noch nicht den "slavischen Standpunkt
Oestreichs erkannt", und hatte die Parole vom deutschen Berufe Oestreichs noch
nicht aus dem Wortschatze gestrichen. Man sah es gern, daß die Deutschen
in Böhmen an Macht zunahmen, natürlich insofern, als sie der Negierung
eine bereitwillige Stütze gaben. Darum traten auch zahlreiche höhere Beamte
in den Verein und in Regierungstreiscn förderte man die Ausbreitung. Auch
der deutsche Klerus schloß sich bereitwillig dem Vereine an, nicht ohne die Ten¬
denz, ihn vor einer abschüssigen Richtung zu bewahren und den katholischen
Charakter in der Geschichtsforschung hervorzukehren.

Am regsten war aber die Betheiligung des deutschen Bürgerstandes im
ganzen Lande; denn dieser sah ein, daß hier ein Mittelpunkt zur Sammlung
alles dessen gegeben sei, was Förderung deutschen Wesens in Böhmen betrifft;
und war es doch auch ausgesprochene Tendenz, durch Herausgabe von Städte-
chrvniken alles, was auf Bürgerthum und Gewerbcfleiß sich bezieht, vorzugs¬
weise zum Gegenstand der publicistischen Thätigkeit zu machen.


und sei es auch nur, um in dem Augenblicke, in dem sich ein Krieg Aller wider
Alle vorzubereiten scheint, durch die Stimme der Wissenschaft der späteren Möglich¬
keit eines Verständnisses über gemeinsame Interessen den Weg zu bahnen." Und
auf die Bedeutung der Deutschen für Böhmen übergehend hieß es in der Rede:
„Wir stehen auf einem Boden, den Jahrhunderte lang deutsche Völker bewohnten,
gegen den Einbruch welthistorischer Eroberer vertheidigten und damit vor Folgen
bewahrten, die für Freiheit und Nationalität kommender Geschlechter unberechenbar
werden konnten. Erst nachdem mindestens ein halbes Jahrtausend seit diesen
Kämpfen verflossen war, drangen slavische Stämme in die von den Vojern
verlassenen Gegenden ein, ohne daß über den Zeitpunkt dieser Einwanderung
einheimische Quellen uns den mindesten Aufschluß gäben. In dem Augenblicke
aber, als die Geschichte Böhmens zu dämmern beginnt, erscheint das Land in
Abhängigkeit von dem Karolinger»eiche, dann von dem mährischen, endlich von
dem deutschen Reiche, abwechselnd selbst von Polen, bis die staatsrechtliche
Verbindung Böhmens mit dem deutschen Reiche bleibt und das Land
diesem Verhältnisse allmälig seine Machtstellung unter den Przemyslidcn. sein
Königthum und jene glanzcrfüllte Periode verdankt, die es bereits vor fünf¬
hundert Jahren als Sitz des deutschen Kaiserthums erlangte".....

Es ist leicht begreiflich, daß eine solche Sprache und solche Tendenzen den
Czechen, welche nur von der Herstellung der selbständigen „böhmischen Krone"
träumen und allen verständigen Gegenreden mit dem hussitischen „IIH LIovan6!"
beantworten, nicht sonderlich behagten und der Verein für Geschichte der Deutschen
war von seiner Gründung an das Object der gehässigsten Augriffe, der ge¬
meinsten Ausfälle und der verletzendsten Spöttereien von czcchischer Seite. Die
Regierung zeigte sich dem Vereine bei seiner Gründung hold, denn damals,
unter Schmerlings Regime, hatte man noch nicht den „slavischen Standpunkt
Oestreichs erkannt", und hatte die Parole vom deutschen Berufe Oestreichs noch
nicht aus dem Wortschatze gestrichen. Man sah es gern, daß die Deutschen
in Böhmen an Macht zunahmen, natürlich insofern, als sie der Negierung
eine bereitwillige Stütze gaben. Darum traten auch zahlreiche höhere Beamte
in den Verein und in Regierungstreiscn förderte man die Ausbreitung. Auch
der deutsche Klerus schloß sich bereitwillig dem Vereine an, nicht ohne die Ten¬
denz, ihn vor einer abschüssigen Richtung zu bewahren und den katholischen
Charakter in der Geschichtsforschung hervorzukehren.

Am regsten war aber die Betheiligung des deutschen Bürgerstandes im
ganzen Lande; denn dieser sah ein, daß hier ein Mittelpunkt zur Sammlung
alles dessen gegeben sei, was Förderung deutschen Wesens in Böhmen betrifft;
und war es doch auch ausgesprochene Tendenz, durch Herausgabe von Städte-
chrvniken alles, was auf Bürgerthum und Gewerbcfleiß sich bezieht, vorzugs¬
weise zum Gegenstand der publicistischen Thätigkeit zu machen.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_190158/217>, abgerufen am 28.09.2024.