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Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. I. Band.

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länger der Kampf gegen Napoleon dauerte und das schroffe Toryregiment,
welches Pitt folgte, behauptete sich noch zehn Jahre nach Abschluß des Friedens
gegen die allmälig immer stärker werdende Bewegung im Volke für eine ge¬
rechtere Vertretung im Parlament. An die Spitze dieser Bewegung hatten sich
die Whigs gestellt, ursprünglich waren sie ebenso starre Anhänger des alten
Systems als die Tones, weil bis gegen Ende des achtzehnten Jahrhunderts
grade die Zusammensetzung des Unterhauses ihren Führern, den sogenannten
^ren.t Revolution lÄmilies die Staatsleitung sicherte. Seitdem dieselbe aber
unter dem Einfluß der auswärtigen Politik auf die Tories übergegangen war,
lag für sie die einzige Chance wieder zur Macht zu gelangen, in einer Reform
des Unterhauses. Wären die Tories weise gewesen, so hätten sie sich der Noth¬
wendigkeit einer Reform nicht perschlosscn, es war ein Widersinn, daß Städte
wie Manchester, Leeds und Birmingham, welche schon Vorübergehend unter
Cromwell Wahlrecht gehabt hatten, jetzt, wo sie zu mächtigen Gemeinwesen
erwachsen waren, ohne Vertretung dastanden, während unbedeutende Burgflccken
zwei Abgeordnete sandten. Aber unter dem Einfluß des Herzogs von Wellington
blieben die Tories blind in ihrem Kampfe für das Bestehende, der Herzog sah
die Frage nur als Minister und Soldat an, er fand, es ließe sich vortrefflich
mit dem gegenwärtigen Hause regieren, dasselbe gab der Regierung durch die
von ihr abhängigen Burgflecken eine feste Majorität und die Möglichkeit, alle
bedeutenden jungen Kräfte ins Parlament zu bringen, denn sowohl das jedes¬
malige Ministerium als die Opposition hatten immer Sitze zu unbedingter Ver¬
fügung, folglich, meinte der Herzog, sei ein Wechsel unnöthig.

Dies war ein verhängnißvoller Irrthum, hätten die Tories die Reform in
die Hand genommen, so wären sie stark genug gewesen, einen ihnen günstigen
Compromiß durchzusetzen. Indem sie die falsche Stellung nahmen, ein im Ganzen
unhaltbares System zu vertheidigen, setzten sie sich einer vollen Niederlage aus,
die Reformbill ward ein Sieg der Whigpartei.

Bis 1832 lag die Beschickung des Hauses überwiegend in den Händen

1) der Grafschaften, wo die Wähler Landedelleute oder kleine 40 LlMinZ-
treoliolckers waren, die von erstem abhängig;

2) der Burgflecken, welche unter dem Einfluß des aristokratischen Patrons
standen;

3) der Burgflccken, die in der Hand des jedesmaligen Ministeriums waren;

4) der großen Städte, in denen wesentlich die municipalen Behörden über
die Wahl entschieden.

Der Zweck der Reformbill war, die Wahlen diesem ganz überwiegenden
Einfluß der Aristokratie zu entziehen und in die Hände der gebildeten Mittel¬
klassen zu legen, demgemäß wurde

1) allen Burgflecken unter 2,000 Einwohner das Wahlrecht genommen


länger der Kampf gegen Napoleon dauerte und das schroffe Toryregiment,
welches Pitt folgte, behauptete sich noch zehn Jahre nach Abschluß des Friedens
gegen die allmälig immer stärker werdende Bewegung im Volke für eine ge¬
rechtere Vertretung im Parlament. An die Spitze dieser Bewegung hatten sich
die Whigs gestellt, ursprünglich waren sie ebenso starre Anhänger des alten
Systems als die Tones, weil bis gegen Ende des achtzehnten Jahrhunderts
grade die Zusammensetzung des Unterhauses ihren Führern, den sogenannten
^ren.t Revolution lÄmilies die Staatsleitung sicherte. Seitdem dieselbe aber
unter dem Einfluß der auswärtigen Politik auf die Tories übergegangen war,
lag für sie die einzige Chance wieder zur Macht zu gelangen, in einer Reform
des Unterhauses. Wären die Tories weise gewesen, so hätten sie sich der Noth¬
wendigkeit einer Reform nicht perschlosscn, es war ein Widersinn, daß Städte
wie Manchester, Leeds und Birmingham, welche schon Vorübergehend unter
Cromwell Wahlrecht gehabt hatten, jetzt, wo sie zu mächtigen Gemeinwesen
erwachsen waren, ohne Vertretung dastanden, während unbedeutende Burgflccken
zwei Abgeordnete sandten. Aber unter dem Einfluß des Herzogs von Wellington
blieben die Tories blind in ihrem Kampfe für das Bestehende, der Herzog sah
die Frage nur als Minister und Soldat an, er fand, es ließe sich vortrefflich
mit dem gegenwärtigen Hause regieren, dasselbe gab der Regierung durch die
von ihr abhängigen Burgflecken eine feste Majorität und die Möglichkeit, alle
bedeutenden jungen Kräfte ins Parlament zu bringen, denn sowohl das jedes¬
malige Ministerium als die Opposition hatten immer Sitze zu unbedingter Ver¬
fügung, folglich, meinte der Herzog, sei ein Wechsel unnöthig.

Dies war ein verhängnißvoller Irrthum, hätten die Tories die Reform in
die Hand genommen, so wären sie stark genug gewesen, einen ihnen günstigen
Compromiß durchzusetzen. Indem sie die falsche Stellung nahmen, ein im Ganzen
unhaltbares System zu vertheidigen, setzten sie sich einer vollen Niederlage aus,
die Reformbill ward ein Sieg der Whigpartei.

Bis 1832 lag die Beschickung des Hauses überwiegend in den Händen

1) der Grafschaften, wo die Wähler Landedelleute oder kleine 40 LlMinZ-
treoliolckers waren, die von erstem abhängig;

2) der Burgflecken, welche unter dem Einfluß des aristokratischen Patrons
standen;

3) der Burgflccken, die in der Hand des jedesmaligen Ministeriums waren;

4) der großen Städte, in denen wesentlich die municipalen Behörden über
die Wahl entschieden.

Der Zweck der Reformbill war, die Wahlen diesem ganz überwiegenden
Einfluß der Aristokratie zu entziehen und in die Hände der gebildeten Mittel¬
klassen zu legen, demgemäß wurde

1) allen Burgflecken unter 2,000 Einwohner das Wahlrecht genommen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_190158/212>, abgerufen am 01.10.2024.