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Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. I. Band.

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dieser ganzen Zeit blieb mein schönes junges Mädchen mit ihrer Mutter in
dem benachbarten Zimmer, entweder mit Lectüre oder Stickerei oder mit andrer
Nadelarbeit beschäftigt, um stets bereit zu sein, beim ersten Glockenklang vor
mir zu erscheinen. Da sie fürchtete, mich in meiner Arbeit zu stören, saß sie
zuweilen unbeweglich, ohne den Mund zu öffnen, ohne mit den Augenlidern zu
blinzeln, den Blick starr auf meine Schreiberei geheftet, sanft athmend, anmuthig
lächelnd und zu Zeiten selbst zu Thränen geneigt scheinend über den Ausgang
der Arbeit, in welche ich vertieft war. Ich tluigclte schließlich weniger häusig,
um ihrer Dienste zu entbehren und mich nicht zu zerstreuen oder meine Zeit bei
ihrem Anschauen zu verlieren. So zwischen dem Wein von Totay, dem
Schnupftabak von Sevilla, der Klingel auf meinem Tische und der schönen
Deutschen, die der jüngsten der Musen glich, schrieb ich die erste Nacht für
Mozart die beiden ersten Scenen des Don Juan, zwei Acte vom Baum der
Diana und mehr als die Hälfte des ersten Actes von Tarare, welchen Titel ich
jedoch in den von Axur umänderte. Am nächsten Morgen trug ich die Arbeit
zu meinen drei Komponisten, die ihren Augen nicht recht trauen wollten. In
zwei Monaten waren Don Juan und der Baum der Diana beendigt, auch be¬
reits mehr als das Dritel des Axnr fertig."

Man sollte meinen, daß nach so zahlreichen Vorarbeiten, die da Ponte vor¬
lagen, ihm die Ausarbeitung des Librettos nur geringe Mühe machen konnte.
Aber abgesehen davon, daß schon die Wahl des Stoffes eine äußerst glückliche
genannt werden muß, so geben auch die Aenderungen, die er in den Gang der
Fabel brachte, Zeugniß von ungewöhnlicher Einsicht für das dramatisch Wirk¬
same und für ein ganz respectables poetisches Talent und ebenso ist der Fleiß
und die Sorgfalt, die er auf seine Verse verwandte, höchst anerkennenswerth.
Es gelang ihm, die im Laufe der Zeit zur gemeinen Burleske hcrabgesunkene
Fabel wiederum emporzuheben und aus der Hand eines talentvollen und geist¬
reichen Dichters ist so ein neues veredeltes Werk hervorgegangen, das fortan
der Theilnahme der gebildeten Welt sich würdig erwies und -- allerdings fällt
dabei auf Mozart die größte Summe des Antheils -- für alle kommenden
Zeiten Bewunderer finden wird. Wir wollen hier nicht weiter untersuchen,
welchen beachtenswerthen Förderer seiner Dichtung da Ponte in dem vortreff¬
lichen Tokayer und in seiner lieblichen Freundin fand, so viel ist unbestreitbar,
daß es wenig bessere Operntexte giebt als seineu Don Juan.*)



") Mit dem Erscheinen von da Pontes Don Juan verschwanden alte Glücke dieses
Titels von der Bühne und fortan war weder im Schauspiel, noch im Ballet oder der Posse
mehr von einem Stücke dieses Namens die Rede. Anders in der Literatur. Byrons großem
Gedichte liegt Fabel und Charakter unseres Don Juan zu Grunde. Der geniale, aber in
seiner Ueberschwenglichkeit fast ungenicsibare Christian Dietrich Gralibe schrieb bekanntlich eine
Tragödie: "Don Juan und Faust", in welcher er den einen als Scnsualiste", den andern
als Spiritnalistcn, oder wie man vielleicht besser sagt, den einen als Materialisten, den ander"

dieser ganzen Zeit blieb mein schönes junges Mädchen mit ihrer Mutter in
dem benachbarten Zimmer, entweder mit Lectüre oder Stickerei oder mit andrer
Nadelarbeit beschäftigt, um stets bereit zu sein, beim ersten Glockenklang vor
mir zu erscheinen. Da sie fürchtete, mich in meiner Arbeit zu stören, saß sie
zuweilen unbeweglich, ohne den Mund zu öffnen, ohne mit den Augenlidern zu
blinzeln, den Blick starr auf meine Schreiberei geheftet, sanft athmend, anmuthig
lächelnd und zu Zeiten selbst zu Thränen geneigt scheinend über den Ausgang
der Arbeit, in welche ich vertieft war. Ich tluigclte schließlich weniger häusig,
um ihrer Dienste zu entbehren und mich nicht zu zerstreuen oder meine Zeit bei
ihrem Anschauen zu verlieren. So zwischen dem Wein von Totay, dem
Schnupftabak von Sevilla, der Klingel auf meinem Tische und der schönen
Deutschen, die der jüngsten der Musen glich, schrieb ich die erste Nacht für
Mozart die beiden ersten Scenen des Don Juan, zwei Acte vom Baum der
Diana und mehr als die Hälfte des ersten Actes von Tarare, welchen Titel ich
jedoch in den von Axur umänderte. Am nächsten Morgen trug ich die Arbeit
zu meinen drei Komponisten, die ihren Augen nicht recht trauen wollten. In
zwei Monaten waren Don Juan und der Baum der Diana beendigt, auch be¬
reits mehr als das Dritel des Axnr fertig."

Man sollte meinen, daß nach so zahlreichen Vorarbeiten, die da Ponte vor¬
lagen, ihm die Ausarbeitung des Librettos nur geringe Mühe machen konnte.
Aber abgesehen davon, daß schon die Wahl des Stoffes eine äußerst glückliche
genannt werden muß, so geben auch die Aenderungen, die er in den Gang der
Fabel brachte, Zeugniß von ungewöhnlicher Einsicht für das dramatisch Wirk¬
same und für ein ganz respectables poetisches Talent und ebenso ist der Fleiß
und die Sorgfalt, die er auf seine Verse verwandte, höchst anerkennenswerth.
Es gelang ihm, die im Laufe der Zeit zur gemeinen Burleske hcrabgesunkene
Fabel wiederum emporzuheben und aus der Hand eines talentvollen und geist¬
reichen Dichters ist so ein neues veredeltes Werk hervorgegangen, das fortan
der Theilnahme der gebildeten Welt sich würdig erwies und — allerdings fällt
dabei auf Mozart die größte Summe des Antheils — für alle kommenden
Zeiten Bewunderer finden wird. Wir wollen hier nicht weiter untersuchen,
welchen beachtenswerthen Förderer seiner Dichtung da Ponte in dem vortreff¬
lichen Tokayer und in seiner lieblichen Freundin fand, so viel ist unbestreitbar,
daß es wenig bessere Operntexte giebt als seineu Don Juan.*)



") Mit dem Erscheinen von da Pontes Don Juan verschwanden alte Glücke dieses
Titels von der Bühne und fortan war weder im Schauspiel, noch im Ballet oder der Posse
mehr von einem Stücke dieses Namens die Rede. Anders in der Literatur. Byrons großem
Gedichte liegt Fabel und Charakter unseres Don Juan zu Grunde. Der geniale, aber in
seiner Ueberschwenglichkeit fast ungenicsibare Christian Dietrich Gralibe schrieb bekanntlich eine
Tragödie: „Don Juan und Faust", in welcher er den einen als Scnsualiste», den andern
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[0193] dieser ganzen Zeit blieb mein schönes junges Mädchen mit ihrer Mutter in dem benachbarten Zimmer, entweder mit Lectüre oder Stickerei oder mit andrer Nadelarbeit beschäftigt, um stets bereit zu sein, beim ersten Glockenklang vor mir zu erscheinen. Da sie fürchtete, mich in meiner Arbeit zu stören, saß sie zuweilen unbeweglich, ohne den Mund zu öffnen, ohne mit den Augenlidern zu blinzeln, den Blick starr auf meine Schreiberei geheftet, sanft athmend, anmuthig lächelnd und zu Zeiten selbst zu Thränen geneigt scheinend über den Ausgang der Arbeit, in welche ich vertieft war. Ich tluigclte schließlich weniger häusig, um ihrer Dienste zu entbehren und mich nicht zu zerstreuen oder meine Zeit bei ihrem Anschauen zu verlieren. So zwischen dem Wein von Totay, dem Schnupftabak von Sevilla, der Klingel auf meinem Tische und der schönen Deutschen, die der jüngsten der Musen glich, schrieb ich die erste Nacht für Mozart die beiden ersten Scenen des Don Juan, zwei Acte vom Baum der Diana und mehr als die Hälfte des ersten Actes von Tarare, welchen Titel ich jedoch in den von Axur umänderte. Am nächsten Morgen trug ich die Arbeit zu meinen drei Komponisten, die ihren Augen nicht recht trauen wollten. In zwei Monaten waren Don Juan und der Baum der Diana beendigt, auch be¬ reits mehr als das Dritel des Axnr fertig." Man sollte meinen, daß nach so zahlreichen Vorarbeiten, die da Ponte vor¬ lagen, ihm die Ausarbeitung des Librettos nur geringe Mühe machen konnte. Aber abgesehen davon, daß schon die Wahl des Stoffes eine äußerst glückliche genannt werden muß, so geben auch die Aenderungen, die er in den Gang der Fabel brachte, Zeugniß von ungewöhnlicher Einsicht für das dramatisch Wirk¬ same und für ein ganz respectables poetisches Talent und ebenso ist der Fleiß und die Sorgfalt, die er auf seine Verse verwandte, höchst anerkennenswerth. Es gelang ihm, die im Laufe der Zeit zur gemeinen Burleske hcrabgesunkene Fabel wiederum emporzuheben und aus der Hand eines talentvollen und geist¬ reichen Dichters ist so ein neues veredeltes Werk hervorgegangen, das fortan der Theilnahme der gebildeten Welt sich würdig erwies und — allerdings fällt dabei auf Mozart die größte Summe des Antheils — für alle kommenden Zeiten Bewunderer finden wird. Wir wollen hier nicht weiter untersuchen, welchen beachtenswerthen Förderer seiner Dichtung da Ponte in dem vortreff¬ lichen Tokayer und in seiner lieblichen Freundin fand, so viel ist unbestreitbar, daß es wenig bessere Operntexte giebt als seineu Don Juan.*) ") Mit dem Erscheinen von da Pontes Don Juan verschwanden alte Glücke dieses Titels von der Bühne und fortan war weder im Schauspiel, noch im Ballet oder der Posse mehr von einem Stücke dieses Namens die Rede. Anders in der Literatur. Byrons großem Gedichte liegt Fabel und Charakter unseres Don Juan zu Grunde. Der geniale, aber in seiner Ueberschwenglichkeit fast ungenicsibare Christian Dietrich Gralibe schrieb bekanntlich eine Tragödie: „Don Juan und Faust", in welcher er den einen als Scnsualiste», den andern als Spiritnalistcn, oder wie man vielleicht besser sagt, den einen als Materialisten, den ander»

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_190158/193>, abgerufen am 23.07.2024.