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Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. I. Band.

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Schule unterhält, so muß er auch dafür Sorge tragen, daß die Kinder genügen¬
den Unterricht empfangen und daß die Gemeinde zu dem Ende einen tüchtigen
Lehrer hält, und es ist nicht genug, daß er durch Bildungsanstalten für Lehrer
für deren Heranziehung Rath schafft, sondern er ist dann auch verpflichtet, dem
Lehrer die Möglichkeit standesgemäßen Lebens im Gemeindedienste zu verschaffen.
Er muß eben deshalb die Gemeinden, denen er die Volksschule überträgt, auch
zur ausreichenden Besoldung der Lehrer nöthigen; erst damit erfüllt er seine
Pflicht gegen die Lehrer und sich selbst. --

Fassen wir, um dies an einem thatsächlichen Beispiel zu erkennen, die
Verhältnisse der Volksschulen im ehemaligen Königreiche Hannover näher ins
Auge.

Bis zum Jahre 1848 hatte der Staat sich wenig um das Volksschulwesen
bekümmert; es bestand allerdings in den meisten Provinzen ein auf älteren
Provinzialverordnungcn ruhender mehr oder minder strenger Schulzwang; die
Schulen wurden von den Gemeinden unterhalten und der Staat leistete dazu
in einzelnen Fällen Beihilfe, die häufig auf privatrechtlichen Verpflichtungen des
Domanii beruhten; es bestanden einige, aber bei weitem nicht ausreichende
öffentliche Bildungsanstalten für Schullehrer, und übte auch der Staat ein ge¬
wisses Aufsichtsrccht über Lehrer und Schulen, so war doch fast alles provinziell
verschiede", feste gesetzliche Grundlage mangelte.

Im Jahre 1845 wurde dann ein Gesetz über das "christliche Volksschul¬
wesen" erlassen, das im Wesentlichen den obige" Grundzügen entsprechend den
Schulunterricht zur Zwangspflicbt macht, die Unterhaltung der Schulen den
Schulgemeinden auferlegt, als Minimum jeder Schulstellc eine Einnahme von
30 Thaler mit, oder 80 Thaler ohne Reihetisch außer freier Wohnung und
Feuerung für das Schullocal festsetzt. ferner normirt, daß ein Lehrer der Regel
nach mehr als 120 Kinder nicht unterrichte" soll und eine Anzahl anderweiter
hier weniger intercssirendcr Bestimmungen enthält.

Die Dicnsteinnahme betreffend war aber, abgesehen von der eben erwähnten
Bestimmung des Minimalsatzcs, noch vorgeschrieben, daß die Regierung befugt
sein solle, falls besondere Umstände eine Erhöhung des Einkommens erforderten
und diese vom Schulverbandc verweigert würden, eine Erhöhung der Dienst¬
einnahme, soweit sie nothwendig sei, für Land- und Fieckengcmeinden bis auf
jährlich ISO Thaler, für Städte bis auf 300 Thaler zu verfügen. Die Stände
stellten der Regierung gleichzeitig mit Erlaß des Gesetzes eine angemessene Summe
zur Disposition, um denjenigen Gemeinden, die zur erforderlichen Dotirung der
Schulstellen außer Stande seien. Beihilfe" zu gewähren.

Die angestellten Ermittelungen ergaben, daß unter den 3,426 vorhandenen
Schulstellen. deren durchschnittliches Einkommen sich allerdings aus 132 Thaler
jährlich belief, nicht weniger als 244 unter 30 Thaler mit Neihctisch und 1,252


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Schule unterhält, so muß er auch dafür Sorge tragen, daß die Kinder genügen¬
den Unterricht empfangen und daß die Gemeinde zu dem Ende einen tüchtigen
Lehrer hält, und es ist nicht genug, daß er durch Bildungsanstalten für Lehrer
für deren Heranziehung Rath schafft, sondern er ist dann auch verpflichtet, dem
Lehrer die Möglichkeit standesgemäßen Lebens im Gemeindedienste zu verschaffen.
Er muß eben deshalb die Gemeinden, denen er die Volksschule überträgt, auch
zur ausreichenden Besoldung der Lehrer nöthigen; erst damit erfüllt er seine
Pflicht gegen die Lehrer und sich selbst. —

Fassen wir, um dies an einem thatsächlichen Beispiel zu erkennen, die
Verhältnisse der Volksschulen im ehemaligen Königreiche Hannover näher ins
Auge.

Bis zum Jahre 1848 hatte der Staat sich wenig um das Volksschulwesen
bekümmert; es bestand allerdings in den meisten Provinzen ein auf älteren
Provinzialverordnungcn ruhender mehr oder minder strenger Schulzwang; die
Schulen wurden von den Gemeinden unterhalten und der Staat leistete dazu
in einzelnen Fällen Beihilfe, die häufig auf privatrechtlichen Verpflichtungen des
Domanii beruhten; es bestanden einige, aber bei weitem nicht ausreichende
öffentliche Bildungsanstalten für Schullehrer, und übte auch der Staat ein ge¬
wisses Aufsichtsrccht über Lehrer und Schulen, so war doch fast alles provinziell
verschiede», feste gesetzliche Grundlage mangelte.

Im Jahre 1845 wurde dann ein Gesetz über das „christliche Volksschul¬
wesen" erlassen, das im Wesentlichen den obige» Grundzügen entsprechend den
Schulunterricht zur Zwangspflicbt macht, die Unterhaltung der Schulen den
Schulgemeinden auferlegt, als Minimum jeder Schulstellc eine Einnahme von
30 Thaler mit, oder 80 Thaler ohne Reihetisch außer freier Wohnung und
Feuerung für das Schullocal festsetzt. ferner normirt, daß ein Lehrer der Regel
nach mehr als 120 Kinder nicht unterrichte» soll und eine Anzahl anderweiter
hier weniger intercssirendcr Bestimmungen enthält.

Die Dicnsteinnahme betreffend war aber, abgesehen von der eben erwähnten
Bestimmung des Minimalsatzcs, noch vorgeschrieben, daß die Regierung befugt
sein solle, falls besondere Umstände eine Erhöhung des Einkommens erforderten
und diese vom Schulverbandc verweigert würden, eine Erhöhung der Dienst¬
einnahme, soweit sie nothwendig sei, für Land- und Fieckengcmeinden bis auf
jährlich ISO Thaler, für Städte bis auf 300 Thaler zu verfügen. Die Stände
stellten der Regierung gleichzeitig mit Erlaß des Gesetzes eine angemessene Summe
zur Disposition, um denjenigen Gemeinden, die zur erforderlichen Dotirung der
Schulstellen außer Stande seien. Beihilfe» zu gewähren.

Die angestellten Ermittelungen ergaben, daß unter den 3,426 vorhandenen
Schulstellen. deren durchschnittliches Einkommen sich allerdings aus 132 Thaler
jährlich belief, nicht weniger als 244 unter 30 Thaler mit Neihctisch und 1,252


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[0181] Schule unterhält, so muß er auch dafür Sorge tragen, daß die Kinder genügen¬ den Unterricht empfangen und daß die Gemeinde zu dem Ende einen tüchtigen Lehrer hält, und es ist nicht genug, daß er durch Bildungsanstalten für Lehrer für deren Heranziehung Rath schafft, sondern er ist dann auch verpflichtet, dem Lehrer die Möglichkeit standesgemäßen Lebens im Gemeindedienste zu verschaffen. Er muß eben deshalb die Gemeinden, denen er die Volksschule überträgt, auch zur ausreichenden Besoldung der Lehrer nöthigen; erst damit erfüllt er seine Pflicht gegen die Lehrer und sich selbst. — Fassen wir, um dies an einem thatsächlichen Beispiel zu erkennen, die Verhältnisse der Volksschulen im ehemaligen Königreiche Hannover näher ins Auge. Bis zum Jahre 1848 hatte der Staat sich wenig um das Volksschulwesen bekümmert; es bestand allerdings in den meisten Provinzen ein auf älteren Provinzialverordnungcn ruhender mehr oder minder strenger Schulzwang; die Schulen wurden von den Gemeinden unterhalten und der Staat leistete dazu in einzelnen Fällen Beihilfe, die häufig auf privatrechtlichen Verpflichtungen des Domanii beruhten; es bestanden einige, aber bei weitem nicht ausreichende öffentliche Bildungsanstalten für Schullehrer, und übte auch der Staat ein ge¬ wisses Aufsichtsrccht über Lehrer und Schulen, so war doch fast alles provinziell verschiede», feste gesetzliche Grundlage mangelte. Im Jahre 1845 wurde dann ein Gesetz über das „christliche Volksschul¬ wesen" erlassen, das im Wesentlichen den obige» Grundzügen entsprechend den Schulunterricht zur Zwangspflicbt macht, die Unterhaltung der Schulen den Schulgemeinden auferlegt, als Minimum jeder Schulstellc eine Einnahme von 30 Thaler mit, oder 80 Thaler ohne Reihetisch außer freier Wohnung und Feuerung für das Schullocal festsetzt. ferner normirt, daß ein Lehrer der Regel nach mehr als 120 Kinder nicht unterrichte» soll und eine Anzahl anderweiter hier weniger intercssirendcr Bestimmungen enthält. Die Dicnsteinnahme betreffend war aber, abgesehen von der eben erwähnten Bestimmung des Minimalsatzcs, noch vorgeschrieben, daß die Regierung befugt sein solle, falls besondere Umstände eine Erhöhung des Einkommens erforderten und diese vom Schulverbandc verweigert würden, eine Erhöhung der Dienst¬ einnahme, soweit sie nothwendig sei, für Land- und Fieckengcmeinden bis auf jährlich ISO Thaler, für Städte bis auf 300 Thaler zu verfügen. Die Stände stellten der Regierung gleichzeitig mit Erlaß des Gesetzes eine angemessene Summe zur Disposition, um denjenigen Gemeinden, die zur erforderlichen Dotirung der Schulstellen außer Stande seien. Beihilfe» zu gewähren. Die angestellten Ermittelungen ergaben, daß unter den 3,426 vorhandenen Schulstellen. deren durchschnittliches Einkommen sich allerdings aus 132 Thaler jährlich belief, nicht weniger als 244 unter 30 Thaler mit Neihctisch und 1,252 22*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_190158/181>, abgerufen am 25.07.2024.