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Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. I. Band.

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der Wahl, die hier und da vorgeschlagen ist, wird jedenfalls nicht stattfinden, so
sehr auch zu erwarten ist, daß ein großer Theil des Volks, besonders auf dem
Lande, aus Verstimmung und Trägheit sein Wahlrecht nicht ausüben wird.
Auch der Vorschlag, daß sich die Vertreter Schleswig-Holsteins blos zu dem
Ende ins Parlament begeben sollen, um zu protestiren und dann auszutreten,
wird schwerlich ausgeführt werden, obwohl sich der große Gustav Rasch erboten
hat, unter solchen Umständen ein Mandat anzunehmen. Leider hat seine Kan¬
didatur auch bei den Particularistcn so wenig Chance, daß den Gegnern die
großen Vortheile, welche seine Aufstellung geben würde, verloren gehn. Man
wird im Ganzen sich dafür entscheiden, daß die zu Wählenden der strengen
Durchführung des Einigungswcrkes von Seiten der Negierung alle möglichen
Hindernisse in den Weg legen sollen. Eine Handhabe dazu glaubt man hier
wie anderswo in der deutschen Reichsverfassung gefunden zu haben, von der
man jetzt in manchen Kreisen in einem ähnlichen Tone spricht, wie früher von
dem Schleswig-holsteinischen Staatsgrundgesetz.

Auch die preußisch Gesinnten sind durchaus noch nicht völlig einig. Das
Odium.welches sich die kleinenationalePartei vornunmehr zwei Jahren durch ihren
"Abfall" zugezogen hat. ist selbst bei vielen von denen nicht geschwunden, welche
allmälig die augustenburgische Fahne gleichfalls verlassen haben und jetzt na¬
türlich viel weiter gehen, als die nationalen damals gehen kouaten. Man
muß wissen, wie wenig man hier zu Lande gewohnt ist, die Sachen von den
Personen zu trennen, welchen Einfluß hier, wo jeder irgend hervorragende
Mann nach seinen Vorzügen und Schwächen von jedem gekannt wird, eine per¬
sönliche Verbitterung hat, wie sie in den Streitigkeiten der letzten Zeit leicht
entstanden, man muß die ganze Kleinlichkeit unserer Verhältnisse kennen, um
begreiflich zu finden, daß in der politischen Hauptstadt des Landes, in Kiel,
neben einander zwei in allen wesentlichen Zügen übereinstimmende Wahlanfruse
entstanden sind, welche die entschiedene Zurückweisung der Reichsverfassung ge¬
mein haben. So schlimm, wie es. hiernach zu urtheilen, in Kiel ist, haben wir
es freilich nicht leicht an einem andern Orte, und auch dort wird man in der
Hauptsache, der Abstimmung, ohne Zweifel zusammenhalten.

Die durchaus nothwendige Vereinigung mit der eigentlich conservativen
(ritterschaftlichen) Partei wird schon dadurch erleichtert, daß letztere fast nur in
solchen Gegenden Einfluß hat, in denen von einer liberaleren preußischen Partei
kaum die Rede sein kann, so daß man also durch Theilung eine Uebercin-
siimmung hinsichtlich solcher Kandidaten erreichen wird "welche die deutsche Po¬
litik der Regierung unterstützen wollen", wie die sehr glücklich gewählte Formel
lautet.

Bei Gelegenheit des kieler "Umschlages" kommen alljährlich von ganz
Schleswig-Holstein nicht blos alle größeren Grundbesitzer, sondern auch zahl-


der Wahl, die hier und da vorgeschlagen ist, wird jedenfalls nicht stattfinden, so
sehr auch zu erwarten ist, daß ein großer Theil des Volks, besonders auf dem
Lande, aus Verstimmung und Trägheit sein Wahlrecht nicht ausüben wird.
Auch der Vorschlag, daß sich die Vertreter Schleswig-Holsteins blos zu dem
Ende ins Parlament begeben sollen, um zu protestiren und dann auszutreten,
wird schwerlich ausgeführt werden, obwohl sich der große Gustav Rasch erboten
hat, unter solchen Umständen ein Mandat anzunehmen. Leider hat seine Kan¬
didatur auch bei den Particularistcn so wenig Chance, daß den Gegnern die
großen Vortheile, welche seine Aufstellung geben würde, verloren gehn. Man
wird im Ganzen sich dafür entscheiden, daß die zu Wählenden der strengen
Durchführung des Einigungswcrkes von Seiten der Negierung alle möglichen
Hindernisse in den Weg legen sollen. Eine Handhabe dazu glaubt man hier
wie anderswo in der deutschen Reichsverfassung gefunden zu haben, von der
man jetzt in manchen Kreisen in einem ähnlichen Tone spricht, wie früher von
dem Schleswig-holsteinischen Staatsgrundgesetz.

Auch die preußisch Gesinnten sind durchaus noch nicht völlig einig. Das
Odium.welches sich die kleinenationalePartei vornunmehr zwei Jahren durch ihren
„Abfall" zugezogen hat. ist selbst bei vielen von denen nicht geschwunden, welche
allmälig die augustenburgische Fahne gleichfalls verlassen haben und jetzt na¬
türlich viel weiter gehen, als die nationalen damals gehen kouaten. Man
muß wissen, wie wenig man hier zu Lande gewohnt ist, die Sachen von den
Personen zu trennen, welchen Einfluß hier, wo jeder irgend hervorragende
Mann nach seinen Vorzügen und Schwächen von jedem gekannt wird, eine per¬
sönliche Verbitterung hat, wie sie in den Streitigkeiten der letzten Zeit leicht
entstanden, man muß die ganze Kleinlichkeit unserer Verhältnisse kennen, um
begreiflich zu finden, daß in der politischen Hauptstadt des Landes, in Kiel,
neben einander zwei in allen wesentlichen Zügen übereinstimmende Wahlanfruse
entstanden sind, welche die entschiedene Zurückweisung der Reichsverfassung ge¬
mein haben. So schlimm, wie es. hiernach zu urtheilen, in Kiel ist, haben wir
es freilich nicht leicht an einem andern Orte, und auch dort wird man in der
Hauptsache, der Abstimmung, ohne Zweifel zusammenhalten.

Die durchaus nothwendige Vereinigung mit der eigentlich conservativen
(ritterschaftlichen) Partei wird schon dadurch erleichtert, daß letztere fast nur in
solchen Gegenden Einfluß hat, in denen von einer liberaleren preußischen Partei
kaum die Rede sein kann, so daß man also durch Theilung eine Uebercin-
siimmung hinsichtlich solcher Kandidaten erreichen wird „welche die deutsche Po¬
litik der Regierung unterstützen wollen", wie die sehr glücklich gewählte Formel
lautet.

Bei Gelegenheit des kieler „Umschlages" kommen alljährlich von ganz
Schleswig-Holstein nicht blos alle größeren Grundbesitzer, sondern auch zahl-


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[0177] der Wahl, die hier und da vorgeschlagen ist, wird jedenfalls nicht stattfinden, so sehr auch zu erwarten ist, daß ein großer Theil des Volks, besonders auf dem Lande, aus Verstimmung und Trägheit sein Wahlrecht nicht ausüben wird. Auch der Vorschlag, daß sich die Vertreter Schleswig-Holsteins blos zu dem Ende ins Parlament begeben sollen, um zu protestiren und dann auszutreten, wird schwerlich ausgeführt werden, obwohl sich der große Gustav Rasch erboten hat, unter solchen Umständen ein Mandat anzunehmen. Leider hat seine Kan¬ didatur auch bei den Particularistcn so wenig Chance, daß den Gegnern die großen Vortheile, welche seine Aufstellung geben würde, verloren gehn. Man wird im Ganzen sich dafür entscheiden, daß die zu Wählenden der strengen Durchführung des Einigungswcrkes von Seiten der Negierung alle möglichen Hindernisse in den Weg legen sollen. Eine Handhabe dazu glaubt man hier wie anderswo in der deutschen Reichsverfassung gefunden zu haben, von der man jetzt in manchen Kreisen in einem ähnlichen Tone spricht, wie früher von dem Schleswig-holsteinischen Staatsgrundgesetz. Auch die preußisch Gesinnten sind durchaus noch nicht völlig einig. Das Odium.welches sich die kleinenationalePartei vornunmehr zwei Jahren durch ihren „Abfall" zugezogen hat. ist selbst bei vielen von denen nicht geschwunden, welche allmälig die augustenburgische Fahne gleichfalls verlassen haben und jetzt na¬ türlich viel weiter gehen, als die nationalen damals gehen kouaten. Man muß wissen, wie wenig man hier zu Lande gewohnt ist, die Sachen von den Personen zu trennen, welchen Einfluß hier, wo jeder irgend hervorragende Mann nach seinen Vorzügen und Schwächen von jedem gekannt wird, eine per¬ sönliche Verbitterung hat, wie sie in den Streitigkeiten der letzten Zeit leicht entstanden, man muß die ganze Kleinlichkeit unserer Verhältnisse kennen, um begreiflich zu finden, daß in der politischen Hauptstadt des Landes, in Kiel, neben einander zwei in allen wesentlichen Zügen übereinstimmende Wahlanfruse entstanden sind, welche die entschiedene Zurückweisung der Reichsverfassung ge¬ mein haben. So schlimm, wie es. hiernach zu urtheilen, in Kiel ist, haben wir es freilich nicht leicht an einem andern Orte, und auch dort wird man in der Hauptsache, der Abstimmung, ohne Zweifel zusammenhalten. Die durchaus nothwendige Vereinigung mit der eigentlich conservativen (ritterschaftlichen) Partei wird schon dadurch erleichtert, daß letztere fast nur in solchen Gegenden Einfluß hat, in denen von einer liberaleren preußischen Partei kaum die Rede sein kann, so daß man also durch Theilung eine Uebercin- siimmung hinsichtlich solcher Kandidaten erreichen wird „welche die deutsche Po¬ litik der Regierung unterstützen wollen", wie die sehr glücklich gewählte Formel lautet. Bei Gelegenheit des kieler „Umschlages" kommen alljährlich von ganz Schleswig-Holstein nicht blos alle größeren Grundbesitzer, sondern auch zahl-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_190158/177>, abgerufen am 25.07.2024.