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Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. I. Band.

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ihre Besitzungen unter "loyale" Bauern zu vertheilen. Demokratisch.socialistisch
gesinnte Beamte, die durch hohe Gehalte an die westliche Grenze gelockt sind
und sich der lange gesuchten Gelegenheit zur Verwirklichung ihrer Utopien er¬
freuen, wetteifern mit fanatischen Geistlichen der russisch-griechischen Kirche in rück¬
sichtsloser Bekämpfung des "aristokratischen" westeuropäischen Elements, das die
Polen repräsentiren, um dann in den Spalten der allgewaltigen Moskaner Zeitung
als "Missionäre der guten Sache" gepriesen zu werden. Das Verzeichnis) der
confiscirten, sequestrirten und parcellirten Güter in den westlichen Gouvernements
ist noch immer im Zunehmen begriffen, und da die erwarteten Käufer aus dem
Innern des heiligen Rußlands sich immer noch nicht finden wollen, wird eine
Bank zur Unterstützung russischer Güterkciufer^ in Litthauen gegründet. Parallel
mit dem Register der eingezogenen Güter läuft das der Convertiten und die
Bauern und kleinen Gutsbesitzer, welche von der katholischen zur griechisch-
orthodoxen Kirche übergetreten sind, werden schon nach Tausenden gezählt.

Ein Ukas Vom 10. December verbietet die Erwerbung in den westlichen
Gouvernements belegener Güter durch Personen polnischer Herkunft und decretirt,
daß das Grundeigenthum sämmtlicher durch den letzten Aufstand compromittirter
Polen binnen zwei Jahren verkauft sein soll. Beinahe gleichzeitig fühlt der
Minister des Innern sich bewogen, auch gegen andere "nichtrussische" Theile des
Reichs strengere Saiten aufzuziehen, ein Circularbeschl an die Censoren Liv-, Eheb¬
und Kurlands macht es diesen Beamten zur Pflicht, den Kampf der deutschen
Presse jener Provinzen gegen die russisicatorische Tendenz der moskauer und Peters-
burger Journale strengstens zu überwachen und jede Aeußerung zu unterdrücken,
welche von einer Verkennung des engen Zusammenhangs jener Provinzen mit
dem großen Reich zeuge. Der demokratische Domäncnminister Selenny ernennt
-- gegen die unvordenkliche Praxis -- einen Russen zum Chef der baltischen
Domänenverwaltung und nährt durch Vermittelung dieses die Intriguen der
jung-keltisch-panslavistischen Partei gegen das deutsche Element an der Ostsee;
um den wankenden Einfluß der griechischen Kirche in Livland zu kräftigen, schlägt
er vor, die Höfe der Domänengüter jenes Landes zu zerschlagen und Parcellen
derselben an der griechisck-russischen Konfession angehörige Bauernknechte zu ver¬
theilen, um auf diese Weise die "Glaubenstreue" jener Convertiten zu stärken
und zugleich dem Princip des russischen Gemeindebesitzes auch an den Stätten
deutscher Cultur die Wege zu bereiten.

Der überfluthende Einfluß der in den Brüdern Miljutin und ihrem Freunde
Selenny repräsentirten vüreaukratisch-demokratischen Partei, die aus ihrem Haß
gegen den russischen Adel und den großen Grundbesitz kein Hehl machte und
laut verkündete, der mit dem Volke verbündete Absolutismus müsse, um con-
sequent zu sein, mit der russischen Aristokratie ebenso rein Haus machen, wie
mit der polnischen -- wurde von den Bvjarenkreisen Moskaus und Petersburgs


ihre Besitzungen unter „loyale" Bauern zu vertheilen. Demokratisch.socialistisch
gesinnte Beamte, die durch hohe Gehalte an die westliche Grenze gelockt sind
und sich der lange gesuchten Gelegenheit zur Verwirklichung ihrer Utopien er¬
freuen, wetteifern mit fanatischen Geistlichen der russisch-griechischen Kirche in rück¬
sichtsloser Bekämpfung des „aristokratischen" westeuropäischen Elements, das die
Polen repräsentiren, um dann in den Spalten der allgewaltigen Moskaner Zeitung
als „Missionäre der guten Sache" gepriesen zu werden. Das Verzeichnis) der
confiscirten, sequestrirten und parcellirten Güter in den westlichen Gouvernements
ist noch immer im Zunehmen begriffen, und da die erwarteten Käufer aus dem
Innern des heiligen Rußlands sich immer noch nicht finden wollen, wird eine
Bank zur Unterstützung russischer Güterkciufer^ in Litthauen gegründet. Parallel
mit dem Register der eingezogenen Güter läuft das der Convertiten und die
Bauern und kleinen Gutsbesitzer, welche von der katholischen zur griechisch-
orthodoxen Kirche übergetreten sind, werden schon nach Tausenden gezählt.

Ein Ukas Vom 10. December verbietet die Erwerbung in den westlichen
Gouvernements belegener Güter durch Personen polnischer Herkunft und decretirt,
daß das Grundeigenthum sämmtlicher durch den letzten Aufstand compromittirter
Polen binnen zwei Jahren verkauft sein soll. Beinahe gleichzeitig fühlt der
Minister des Innern sich bewogen, auch gegen andere „nichtrussische" Theile des
Reichs strengere Saiten aufzuziehen, ein Circularbeschl an die Censoren Liv-, Eheb¬
und Kurlands macht es diesen Beamten zur Pflicht, den Kampf der deutschen
Presse jener Provinzen gegen die russisicatorische Tendenz der moskauer und Peters-
burger Journale strengstens zu überwachen und jede Aeußerung zu unterdrücken,
welche von einer Verkennung des engen Zusammenhangs jener Provinzen mit
dem großen Reich zeuge. Der demokratische Domäncnminister Selenny ernennt
— gegen die unvordenkliche Praxis — einen Russen zum Chef der baltischen
Domänenverwaltung und nährt durch Vermittelung dieses die Intriguen der
jung-keltisch-panslavistischen Partei gegen das deutsche Element an der Ostsee;
um den wankenden Einfluß der griechischen Kirche in Livland zu kräftigen, schlägt
er vor, die Höfe der Domänengüter jenes Landes zu zerschlagen und Parcellen
derselben an der griechisck-russischen Konfession angehörige Bauernknechte zu ver¬
theilen, um auf diese Weise die „Glaubenstreue" jener Convertiten zu stärken
und zugleich dem Princip des russischen Gemeindebesitzes auch an den Stätten
deutscher Cultur die Wege zu bereiten.

Der überfluthende Einfluß der in den Brüdern Miljutin und ihrem Freunde
Selenny repräsentirten vüreaukratisch-demokratischen Partei, die aus ihrem Haß
gegen den russischen Adel und den großen Grundbesitz kein Hehl machte und
laut verkündete, der mit dem Volke verbündete Absolutismus müsse, um con-
sequent zu sein, mit der russischen Aristokratie ebenso rein Haus machen, wie
mit der polnischen — wurde von den Bvjarenkreisen Moskaus und Petersburgs


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_190158/16>, abgerufen am 25.08.2024.