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Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. I. Band.

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der Ortsgeschichte? im Wesen nichts andres als eine populär sein sollende Zu¬
sammenstellung von allerlei historischen Notizen, wie sie ausführlicher und
gelehrter begründet in den Landesgcschichten und Ortsgescbichten gewöhnlichen
Schlages zu finden sind. So weit sie allgemeinere Verhältnisse betreffen, insbe-
sondere die ältere und neuere Geschichte der einzelnen Landschaften, Territorien und
einzelner hervorragender Orte, mag ein gebildeter Leser manches Belehrende
finden, das er in weitzerstreuten und oft schwer zu erreichenden Büchern
zusammensuchen müßte. Doch genügt es natürlich nur für ,den ersten Anlauf:
der Mann vom Fache, ober wer gründliche Belehrung sucht, kann sich damit
nicht befriedigen und da die Verweisung auf die einschlägige Literatur
meist lückenhaft ist, kann er auch nicht einmal daran eine Grundlage für
Weiteres haben. Völlig mißlungen ist die jeder geschichtliche" Abtheilung zu-
Gegcbene Uebersicht der Local- und Specialgeschichte. die auch wieder in jedem
Bande mehr als hundert Seiten füllt. Sie ist nach den jetzt bestehenden Ver¬
waltungsbezirken, den Landgerichten gegliedert. Die "Bavaria" weiß sich sonst
so viel mit der "organischen Gruppirung", mit dem organisch Gewordenen und
gegebenen und dem andern Apparat der modernen Volkskunde, der manchmal
freilich einen etwas antiquirten Zusatz von der Romantik der weiland histori.
schen Schule nicht verläugnen kann. Diese bayerischen Landgerichte, von denen
eins durch ein allerhöchstes Nescnpt von 1860, ein anderes durch ein derglei"
chen von 1863 aus dem Nichts ins Dasein gerufen wurde, um gelegentlich
weiter "organisirt", verkleinert, vergiößert, bald dem einen, bald dem andern
Kreise zugelegt zu werden, von denen keines auch nur über die montgelassche
Periode hinüber datirt, werden somit hier auf einmal zu "organischen Gruppen"
gestempelt. Noch dazu werden diese zufälligen Eintagsgestalten in alphabeti¬
scher Reihenfolge, ohne Rücksicht auf Lage und Nachbarschaft aufgezählt und
abgehandelt. Allerdings vertragen sie keine andere Behandlung, aber wir
fragen noch einmal, wo kommt da die organische Gliederung des Landes- und
Volkslebens hin? -- Jedem einzelnen Landgerichte sind mehre Seiten ge¬
widmet und sie werden dazu benutzt, um die bedeutendsten Orte in seinem
Bezirke auszuführen und mit ein paar geschichtlichen Notizen abzuspeisen,
grabe so wie es die gewöhnlichen Landesstatistiken zu thun pflegen. Nur gehen
diese gründlicher und exacter zu Werke, denn hier in der Bavaria soll ja aller
trockene Notizenkram vermieden werden. Das ist denn auch geschehen und da¬
mit der einzige Vortheil entzogen, der in manchen Fällen, wo andere Hilfs¬
mittel gerade nicht zur Hand sind, durch irgendeine statistische oder historische
Notiz von greifbarer Zuverlässigkeit erwachsen könnte. Statt dessen wird uns
nicht einmal, sondern hundertmal mit der Wendung aufgewartet, daß N. N.
noch sehr viel über die Stadt, das Kloster, die Burg so und so sagen könnte,


der Ortsgeschichte? im Wesen nichts andres als eine populär sein sollende Zu¬
sammenstellung von allerlei historischen Notizen, wie sie ausführlicher und
gelehrter begründet in den Landesgcschichten und Ortsgescbichten gewöhnlichen
Schlages zu finden sind. So weit sie allgemeinere Verhältnisse betreffen, insbe-
sondere die ältere und neuere Geschichte der einzelnen Landschaften, Territorien und
einzelner hervorragender Orte, mag ein gebildeter Leser manches Belehrende
finden, das er in weitzerstreuten und oft schwer zu erreichenden Büchern
zusammensuchen müßte. Doch genügt es natürlich nur für ,den ersten Anlauf:
der Mann vom Fache, ober wer gründliche Belehrung sucht, kann sich damit
nicht befriedigen und da die Verweisung auf die einschlägige Literatur
meist lückenhaft ist, kann er auch nicht einmal daran eine Grundlage für
Weiteres haben. Völlig mißlungen ist die jeder geschichtliche» Abtheilung zu-
Gegcbene Uebersicht der Local- und Specialgeschichte. die auch wieder in jedem
Bande mehr als hundert Seiten füllt. Sie ist nach den jetzt bestehenden Ver¬
waltungsbezirken, den Landgerichten gegliedert. Die „Bavaria" weiß sich sonst
so viel mit der „organischen Gruppirung", mit dem organisch Gewordenen und
gegebenen und dem andern Apparat der modernen Volkskunde, der manchmal
freilich einen etwas antiquirten Zusatz von der Romantik der weiland histori.
schen Schule nicht verläugnen kann. Diese bayerischen Landgerichte, von denen
eins durch ein allerhöchstes Nescnpt von 1860, ein anderes durch ein derglei»
chen von 1863 aus dem Nichts ins Dasein gerufen wurde, um gelegentlich
weiter „organisirt", verkleinert, vergiößert, bald dem einen, bald dem andern
Kreise zugelegt zu werden, von denen keines auch nur über die montgelassche
Periode hinüber datirt, werden somit hier auf einmal zu „organischen Gruppen"
gestempelt. Noch dazu werden diese zufälligen Eintagsgestalten in alphabeti¬
scher Reihenfolge, ohne Rücksicht auf Lage und Nachbarschaft aufgezählt und
abgehandelt. Allerdings vertragen sie keine andere Behandlung, aber wir
fragen noch einmal, wo kommt da die organische Gliederung des Landes- und
Volkslebens hin? — Jedem einzelnen Landgerichte sind mehre Seiten ge¬
widmet und sie werden dazu benutzt, um die bedeutendsten Orte in seinem
Bezirke auszuführen und mit ein paar geschichtlichen Notizen abzuspeisen,
grabe so wie es die gewöhnlichen Landesstatistiken zu thun pflegen. Nur gehen
diese gründlicher und exacter zu Werke, denn hier in der Bavaria soll ja aller
trockene Notizenkram vermieden werden. Das ist denn auch geschehen und da¬
mit der einzige Vortheil entzogen, der in manchen Fällen, wo andere Hilfs¬
mittel gerade nicht zur Hand sind, durch irgendeine statistische oder historische
Notiz von greifbarer Zuverlässigkeit erwachsen könnte. Statt dessen wird uns
nicht einmal, sondern hundertmal mit der Wendung aufgewartet, daß N. N.
noch sehr viel über die Stadt, das Kloster, die Burg so und so sagen könnte,


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[0153] der Ortsgeschichte? im Wesen nichts andres als eine populär sein sollende Zu¬ sammenstellung von allerlei historischen Notizen, wie sie ausführlicher und gelehrter begründet in den Landesgcschichten und Ortsgescbichten gewöhnlichen Schlages zu finden sind. So weit sie allgemeinere Verhältnisse betreffen, insbe- sondere die ältere und neuere Geschichte der einzelnen Landschaften, Territorien und einzelner hervorragender Orte, mag ein gebildeter Leser manches Belehrende finden, das er in weitzerstreuten und oft schwer zu erreichenden Büchern zusammensuchen müßte. Doch genügt es natürlich nur für ,den ersten Anlauf: der Mann vom Fache, ober wer gründliche Belehrung sucht, kann sich damit nicht befriedigen und da die Verweisung auf die einschlägige Literatur meist lückenhaft ist, kann er auch nicht einmal daran eine Grundlage für Weiteres haben. Völlig mißlungen ist die jeder geschichtliche» Abtheilung zu- Gegcbene Uebersicht der Local- und Specialgeschichte. die auch wieder in jedem Bande mehr als hundert Seiten füllt. Sie ist nach den jetzt bestehenden Ver¬ waltungsbezirken, den Landgerichten gegliedert. Die „Bavaria" weiß sich sonst so viel mit der „organischen Gruppirung", mit dem organisch Gewordenen und gegebenen und dem andern Apparat der modernen Volkskunde, der manchmal freilich einen etwas antiquirten Zusatz von der Romantik der weiland histori. schen Schule nicht verläugnen kann. Diese bayerischen Landgerichte, von denen eins durch ein allerhöchstes Nescnpt von 1860, ein anderes durch ein derglei» chen von 1863 aus dem Nichts ins Dasein gerufen wurde, um gelegentlich weiter „organisirt", verkleinert, vergiößert, bald dem einen, bald dem andern Kreise zugelegt zu werden, von denen keines auch nur über die montgelassche Periode hinüber datirt, werden somit hier auf einmal zu „organischen Gruppen" gestempelt. Noch dazu werden diese zufälligen Eintagsgestalten in alphabeti¬ scher Reihenfolge, ohne Rücksicht auf Lage und Nachbarschaft aufgezählt und abgehandelt. Allerdings vertragen sie keine andere Behandlung, aber wir fragen noch einmal, wo kommt da die organische Gliederung des Landes- und Volkslebens hin? — Jedem einzelnen Landgerichte sind mehre Seiten ge¬ widmet und sie werden dazu benutzt, um die bedeutendsten Orte in seinem Bezirke auszuführen und mit ein paar geschichtlichen Notizen abzuspeisen, grabe so wie es die gewöhnlichen Landesstatistiken zu thun pflegen. Nur gehen diese gründlicher und exacter zu Werke, denn hier in der Bavaria soll ja aller trockene Notizenkram vermieden werden. Das ist denn auch geschehen und da¬ mit der einzige Vortheil entzogen, der in manchen Fällen, wo andere Hilfs¬ mittel gerade nicht zur Hand sind, durch irgendeine statistische oder historische Notiz von greifbarer Zuverlässigkeit erwachsen könnte. Statt dessen wird uns nicht einmal, sondern hundertmal mit der Wendung aufgewartet, daß N. N. noch sehr viel über die Stadt, das Kloster, die Burg so und so sagen könnte,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_190158/153>, abgerufen am 25.07.2024.