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Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. I. Band.

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Leben, wie uns scheint tiefere und lehrreichere als jene ausführlichen Schilde¬
rungen seiner Gupfen und Mutzen. Letztere sind freilich mit geringerem Odium
begleitet, gewähren sogar dem Helden, d. h. eben diesem Volke, eine Art von
romantischem Relief, was durch eine verständige und wahrheitsgetreue Beleuch¬
tung seiner Criminalstatisiik -- wenn man auch weiter nichts geben wollte
-- fatal gestört würde. Parallelen nach den übrigen Theilen des deutschen
Volks hin zu ziehen, welche nicht zu den kerndeutschen Stämmen unter wittels-
bacher Scepter gehören, namentlich etwa zu den nur deutsch angcfunißten Blend¬
lingen im Norden und Nordosten, kann den Gelehrten der Bavaria natürlich
nicht zugemuthet werden. Uns anderen, die wir nicht zu dieser auserwählten
Zunft gehören, ist es aber bekannt, daß sich das bayerische Autochthoneuthum durch
eine ganz unverhältnißmcißig große Zahl der schwersten Criminalfälle auszeich¬
net, die es den Schwurgerichten bringt. Auch wissen wir über die Art derselben
einiges Specielle: es sind überwiegend die brutalsten Vergehen gegen das Leben
und die Sicherheit der Personen aus Zorn und Rache oder bloßem Uebermuth
und Völwei, in zweiter Linie gegen die öffentliche Sittlichkeit im engsten Wort¬
sinn, in dritter Raubmord, Straßenrand und gewaltsame Aneignung fremden
Eigenthums. Meineid, Fälschung, Betrug, Diebstahl, kurz alle die Verbrechen,
die entwickeltere Culturzustände und eine durchgearbeitctcre Intelligenz des Volkes
voraussetzen, treten dagegen zurück. Bekanntlich blicken die romantischen Partei¬
gänger des Urbayerthums mit Genugthuung auf diese Thatsachen. Wir anderen
urtheilen anders darüber und glauben z. B. auch, daß Meineid, Betrug, Dieb¬
stahl :c. hier bald ebenso zahlreich heimisch werden dürft, wie in den verworfe¬
nen Ländern nördlich der blauweißen Grenzpfähle. sobald nur die Cultur jene
Urbären etwas mehr beleckt hat, was doch nicht für immer ausbleiben kann.
Wenigstens zeigt sich in denjenigen Strichen Bayerns, in welchen die Volks-
bildung. die Industrie, der Verkehr ungefähr auf derselben Stufe wie außer¬
halb Bayern steht, in Franken und am Rhein, auch so ziemlich dieselbe Statistik
der Verbrechen. -- Praktischen Werth hätte eine solche Darstellung auch noch
insofern gehabt, als sich daraus vieles zur Erklärung sonst unerklärlicher Dinge,
die aber doch vor unseren Augen geschehen sind und, setzen wir hinzu, jeden
Tag unter ähnlichen Verhältnissen wieder geschehen können, hätte entnehmen
lassen, wir meinen das Auftreten der bayerischen Soldateska auf ihrem letzten
Feldzuge, ncuncntllch im eisenacher Oberlande. ES ist nur auf ein anderes Ge¬
biet übertragen dasselbe Ergebniß, welches eine wahrhaftige und aufrichtige --
wir betonen diese Prädicate -- Darstellung der Vvlkssittlichkeit für das innere
Volksleben liefern würde, wenn in Bayern jemand dazu den Muth und den
guten Willen hätte. --

Doch bleiben wir bei dem Vorhandenen, wie es ja die Sache jedes wohl¬
gesinnten Lesers und Beurtheilers ist. Vieles davon wird zu den wirklich ge-


Leben, wie uns scheint tiefere und lehrreichere als jene ausführlichen Schilde¬
rungen seiner Gupfen und Mutzen. Letztere sind freilich mit geringerem Odium
begleitet, gewähren sogar dem Helden, d. h. eben diesem Volke, eine Art von
romantischem Relief, was durch eine verständige und wahrheitsgetreue Beleuch¬
tung seiner Criminalstatisiik — wenn man auch weiter nichts geben wollte
— fatal gestört würde. Parallelen nach den übrigen Theilen des deutschen
Volks hin zu ziehen, welche nicht zu den kerndeutschen Stämmen unter wittels-
bacher Scepter gehören, namentlich etwa zu den nur deutsch angcfunißten Blend¬
lingen im Norden und Nordosten, kann den Gelehrten der Bavaria natürlich
nicht zugemuthet werden. Uns anderen, die wir nicht zu dieser auserwählten
Zunft gehören, ist es aber bekannt, daß sich das bayerische Autochthoneuthum durch
eine ganz unverhältnißmcißig große Zahl der schwersten Criminalfälle auszeich¬
net, die es den Schwurgerichten bringt. Auch wissen wir über die Art derselben
einiges Specielle: es sind überwiegend die brutalsten Vergehen gegen das Leben
und die Sicherheit der Personen aus Zorn und Rache oder bloßem Uebermuth
und Völwei, in zweiter Linie gegen die öffentliche Sittlichkeit im engsten Wort¬
sinn, in dritter Raubmord, Straßenrand und gewaltsame Aneignung fremden
Eigenthums. Meineid, Fälschung, Betrug, Diebstahl, kurz alle die Verbrechen,
die entwickeltere Culturzustände und eine durchgearbeitctcre Intelligenz des Volkes
voraussetzen, treten dagegen zurück. Bekanntlich blicken die romantischen Partei¬
gänger des Urbayerthums mit Genugthuung auf diese Thatsachen. Wir anderen
urtheilen anders darüber und glauben z. B. auch, daß Meineid, Betrug, Dieb¬
stahl :c. hier bald ebenso zahlreich heimisch werden dürft, wie in den verworfe¬
nen Ländern nördlich der blauweißen Grenzpfähle. sobald nur die Cultur jene
Urbären etwas mehr beleckt hat, was doch nicht für immer ausbleiben kann.
Wenigstens zeigt sich in denjenigen Strichen Bayerns, in welchen die Volks-
bildung. die Industrie, der Verkehr ungefähr auf derselben Stufe wie außer¬
halb Bayern steht, in Franken und am Rhein, auch so ziemlich dieselbe Statistik
der Verbrechen. — Praktischen Werth hätte eine solche Darstellung auch noch
insofern gehabt, als sich daraus vieles zur Erklärung sonst unerklärlicher Dinge,
die aber doch vor unseren Augen geschehen sind und, setzen wir hinzu, jeden
Tag unter ähnlichen Verhältnissen wieder geschehen können, hätte entnehmen
lassen, wir meinen das Auftreten der bayerischen Soldateska auf ihrem letzten
Feldzuge, ncuncntllch im eisenacher Oberlande. ES ist nur auf ein anderes Ge¬
biet übertragen dasselbe Ergebniß, welches eine wahrhaftige und aufrichtige —
wir betonen diese Prädicate — Darstellung der Vvlkssittlichkeit für das innere
Volksleben liefern würde, wenn in Bayern jemand dazu den Muth und den
guten Willen hätte. —

Doch bleiben wir bei dem Vorhandenen, wie es ja die Sache jedes wohl¬
gesinnten Lesers und Beurtheilers ist. Vieles davon wird zu den wirklich ge-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_190158/150>, abgerufen am 22.12.2024.